Wolfgang Fischer, London Egon Schiele in England und Amerika Das Ende der zweimonatigen Klimt-Schiele-Ausstellung. die Februar-März 1965 im Guggenheim-Museum (New York) gezeigt wurde, setzt den Schlußpunkt nach mehreren Konfrontationen der amerikanischen und englischen Kunstwelt mit dem Werk der öster- reichischen Expressionisten. Die Geschichte der zunächst enttäuschend zögernden Reaktion der englischen und amerikanischen Sammler beginnt genau mit der Ankunft jener österreichischen Emigranten (1938139), die entweder Werke 'des Malers oder wenigstens die Kenntnis seiner Werke aus ihrer alten Heimat mitbrachten. ,.Expressionisti- scher Stil" wurde aber vor allem in London mit „teutonischem und brutalem Stil" gleichgesetzt. Den Repräsentanten dieses Stils. Kokoschka mit einge- schlossen, begegnete man zurückhaltend und feindlich. Die politische Stimmung der vierziger Jahre mag mit- gespielt haben. obwohl gerade diese Künstler bereits in Österreich und Deutschland mit dem Stigma der "entarteten Kunst" gezeichnet waren. Mit der Distanz verschwimmen oft die feineren Unterschiede. und die damals noch unbestrittene Herrschaft der französischen Kunstprovinz im Geschmacksurteil der englisch sprechenden Länder darfnicht unterschätzt werden. Trotzdem versuchten Wiener Emigranten Zeich- nungen, Aquarelle und Bilder Schieles ihren neuen Sammlerfreunden und den hiesigen Museumsleuten vorzulegen. Die heute achtzigjährige Kunslhändlerin Lea Jaray (London, früher Galerie Wiirthle, Wien) versuchte von ihrer kleinen Londoner St. Georges Gallery aus immer wieder, Schiele-Blätter in englische Sammlungen zu bringen. Bis in die Mitte der fünfziger Jahre hatte sie damit wenig Erfolg, und die treuesten Kunden waren noch immer emigrierte Österreicher, die Schiele schon von Wien her kannten. Mehr Erfolg hatte Dr. Otto Kallir in New York, der vorher in Wien (Neue Galerie) seit 1923 das Werk Schieles betreut und ausgestellt hatte. Er ist auch der Verfasser des ersten großen Schiele-Oeuvre-Katalogs. der 1930 bei Zsolnay in Wien verlegt wurde und in Kürze imselben Verlag neu aufgelegtwird. Am13. November 1939 eröffnete Kallir seine iiGallery St. Etienne" in New York. die seither vor allem expressionistische Kunst zeigt und immer wieder das Werk Schieles herausstellt. Seit 1939 hat die Galerie St. Etienne vier Schiele-Ausstellungen veranstaltet (1941. 1948, 1957, 1965). Ein Markslein in der Sammlungsgeschichte Schieles in Amerika wird durch die Erwerbung des Porträts ..Paris von Giitersloh, 1918" vom Minneapolis Institute ofArt (1954) gesetzt,aber auch der inSammler- kreisen magische Name Mellon (Schiele-Aquarelle und Zeichnungen in der Sammlung Gertrud Mellon, Greenwich, Connecticut) hat seine Wirkung sicher nicht verfehlt. Die Arbeit Kallirs wird auch durch eine Gruppe ehemaliger Österreicher erleichtert, die Schiele-Sammler sind. wie z. B. der Filmregisseur Billy Wilder in Hollywood. Dr. Max Alfert. Friederike Beer-Monti, Samuel Gallu, Hans Popper und Ala Story. Die wesentliche Grundlage einer breiteren Diskussion des im angelsächsischen Raum wenig bekannten Phä- nomens Egon Schiele wurde aber erst mit den drei großen Museumsausstellungen in Kalifornien. Boston und New York und der ersten großen Schiele-Aus- stellung in London bei Morlborough Fine Art gelegt. Thomas M. Messer. ein gebürtiger Prager und jetzt Direktor des Guggenheim-Museums in New York, veranstaltete1960 eine Schiele-Ausstellung mit vierzehn Nummern im Institute of Contemporary Art. Boston (Abb. 1). Diese Ausstellung wanderte von Boston nach New York (Gallery St. Etienne) und anschließend nach Louisville, Pittsburgh und Minneapolis. Im Katalogvorwort sagt Messer: "While Austrians speak of Klimt-Schiele-Kokoschka in one breath. it is only the cast name in the Austrian triad that has been acclaimed inlernationally on an equal footing with the now famous German expressionists." 1963 veranstaltete Herschel B. Chipp an der Berkeley- Univeisität in Kalifornien eine Ausstellung ,.Wiener Expressionismus. 1910-1924", die auch im Pasadena- Museum gezeigt wurde (Abb. 2). Neben Klimt und Kakoschka wurde auch Schiele mit 69 Werken vorge- stellt. , lmiOktober 1964 veranstaltete'ich mit Hilfe des Wiener Schiele-Kenners und fanatischen Sammlers Dr. Rudolf Leopold die erste Londoner Schiele-Aus- stellung bei Marlborough Fine Art (Abb. 3). 28 Öl- bilder, 20 Aquarelle und Gouachen und über 65 Zeichnungen wurden dem englischen Publikum gezeigt. Die Bilder aus der Sammlung Dr. Leopold wurden von London zur Guggenheim-Ausstellung geschickt. die im Februar 1965 eröffnet wurde. Die Guggenheim-Ausstellung zeigte 50 Bilder und 48 Zeichnungen und Aquarelle. Darunter befanden sich so wichtige Bilder wie das erwähnte Gütersloh- Porträt und neben den Werken österreichischer und amerikanischer öffentlicher Sammlungen auch viele bedeutende Bilder aus österreichischen und ameri- konischen Privatsammlungen. wie z. B. das berühmte Porträt von Friederike Beer-Monti. Thomas M. Messer, der schon 1960 für die Schiele-Ausstellung in Boston verantwortlich zeichnete, war wieder der Spiritus rector und schrieb auch das Vorwort. Wie kann man die Reaktion Londons und New Yorks auf die beiden Schiele-Ausstellungen kurz charak- terisieren? Die Londoner Ausstellung war ein Kritiker- erfolg, und das Kunstpublikum kam in unerwartet großer Zahl. Der Katalog der Ausstellung war nach 14 Tagen ausverkauft. Aber nur wenige Sammler und kein einziges englisches Museum konnten sich zum Kauf entschließen. ln New York war die Kritik lau und nichtssagend 7 POP, OP und kinetische Kunst beherrschen im Augenblick den Kunstge- schmack. aber amerikanische Sammler haben in den letzten 6 Monaten wieder eine Menge Schiele-Blätter für ihre Sammlungen erworben. Der Londoner Erfolg war so groß, dciß sich selbst eine so konservative Bildzeitschrift wie "London lllustrated News" zu einem doppelseitigen Bericht entschloß. Titel: "Egon Schiele - ein vergessener Künstler aus Österreich". Die "Architecural Review" verglich die Erotik in Schieles Werk mit der von D. H. Lawrence. Den erotischen Aspekt strich auch der Kritiker der "Sunday Times" heraus, während er Klimt als Landschaftsmaler über Schiele stellte. Der Kritiker des "Connoisseurs" verglich Schiele mit Modigliani und betonte die verwandte Fin-de-siecle- Stimmung, die sich im melodischen Rhythmus der Linie niederschlägt. Dennys Sutton hob in der Zeit- schrift "Apollo" das Verdienst der Marlborough- Galerie hervor, die mit dieser Ausstellung den Auf- takt zu neuer und tiefschürfender Beschäftigung mit dem „Wien um 1900" in London gab. Er bedauert, dal] die österreichische Malerei mit Ausnahme von Kokoschka hier noch unbekannt ist und Dichter wie Georg Trakl unübersetzt geblieben sind. Aber die Vorherrschaft des französischen Geschmacks sei bereits zu einem Ende gekommen und der Student von 1965 verfolgt jene Bereiche der kontinental- europäischen Kunstentwicklung außerhalb Frankreichs um so eifriger. lm "Studio lnternational" besprach der Germanist Michael Hamburger die literarische Situation zur Zeit Schieles und Otto Benesch das Leben und Werk des Malers. Der Kritiker des "Man- chester Guardian", Eric Newton. fand sogar ein Bonmot, um den Schock des Engländers vor der Geistigkeit Schieles zu charakterisieren: "Fledermaus tortures itself into the mood of Tosca" (Fledermaus quält sich ab. um in die Stimmung Toscas zu kommen). Edwin Mullins ("Sunday Telegraph") empfindet Schieles Werk als elektrischen Schock und empfiehlt es Sowjetideologen, die nach Beispielen für westliche 43