plastiker Andrea Riccio 37) viel mehr vom Humanismus als vom abergläubischen Volk getragen war. Gerade in den frühesten Werken Altdorfers, zu denen das Hexen- blatt gehört, wird vernehmlich ein hu- manistischer Ton angeschlagen. Altdotfers Satyrn und Waldmalnner darf man mit den virgilischen Faunen und Satyrn und mit dem römischen Waldgott „Silvanus" ver- gleichen33, die 1501 im Linzer Schloß in einem von Celtis arrangierten „Ludus Dianae" vor dem Kaiser Maximilian und seiner mailändischen Gattin Bianca auf- traten 39. Die Natur und das „Natürliche", dessen Gestalt und Kräfte die Humanisten zu erfahren suchten, umfaßte damals mehr, als man sich heute gemeinhin darunter vorstellt: nicht nut die Landschaft, sondern auch die „natürliche" Erotik und urtüm- liche Leidenschaftlichkeit (Liebespaare und Landsknechte in der Landschaft), ja selbst alles Dämonische bei den Hexen oder den wilden Leuten, die nun nicht mehr spät- mittelalterlich domestiziert auftraten. In diesem weiten Sinne waren Altdorfer und Baldung beide Darsteller der Natur, deren Wege einen ähnlichen Ausgangspunkt hat- ten, zwar keineswegs parallel verliefen, aber doch als untereinander und mit dem Humanismus verwandte geistige Bemühun- gen verständlich sind. Unter solchem Gesichtspunkt verliert die Frage, 0b Baldungs Hexen-Holzschnitt von Altdorfers Zeichnung „beeini-lußt" sei, an Interesse. Von der lkonographie her ge- langte G. F. Hartlaub (etwas widerstrebend) zu der Annahme, „daß Baldung ganz ähnliche Zeichnungen von Altdorfer oder aus seinem Kreis kennengelernt haben muß"40. Ein Beweis dafür läßt sich wohl nie mehr erbringen. Ein schwaches Indiz blieb immerhin unbeachtet. 1504, als Maxi- milian im Bayrischen Erbfolgekrieg die Reichsvogtei Elsaß gewaltsam an sich brachte", zogen der Magister Hieronymus Pius Baldung, ein Bruder des Malers, und dessen Sohn Hieronymus nach Wien. Der Vater wurde hier ein Mitglied des von Celtis mit kaiserlichem Privileg ISOIIOZ gegründeten „Collegium poetarum et ma- thematicorum"; der Sohn immatrikulierte sich an der juristischen Fakultät der Universität" und spielte in Celtis' Ludus zum Sieg Maximilians über die böhmischen Söldner (im September 1504 unweit von Regensburg) die Rolle der Muse Urania. Hieronymus d. wurde 1506 Lektor für Poetik an der Universität Freiburg i. Br. und 1510 Rat der habs- burgischen Regierung im sundgauisch- elsässischen Städtchen Ensisheim43. 1513, als sich Baldungs Neigung zur Donaukunst am wachsten zeigte, erschien in Straßburg postum ein Hauptwerk Celtis', die Oden, mit einem von Baldung (in enger Anlehnung an einen Nürnberger Celtis- Druck von 1502) gezeichneten Titelholz- schnitt 44. Damals oder etwas später kopierte Baldung auch einen Holzschnitt aus einer Augsburger Celtis-Ausgabe von l5Ü745. Freilich ist Wien nicht identisch mit Regensburg, dem Wirkungsort Altdorfers. Aber es könnte einem der Angehörigen der gebildeten juristenfamilie Baldung, die zweifellos nur des Kaisers und der von ihm begünstigten Humanisten wegen an die Habsburger-Universität Wien gezogen sind, bekanntgeworden sein, daß Albrecht Altdorfer spätestens seit 1512 für Maxi- milian an den ideologisch hochbedeuten- den Triumphzügen mitgearbeitet hat. Wenn Baldung um 1510 von der Zeichenkunst Altdorfers Wind bekommen und mit ihr in seiner Art gewetteifert hätte, so würde dies auch eine Annäherung an den Kaiser und seine künstlerischen Unternehmungen bedeutet haben; es hätte dem Ehrgeiz seiner Familie und überhaupt dem hu- manistischen Hang zum Imperialen ent- sprochen. Wenige Jahre nach der Ent- stehung des Hexen-Holzschnittes, l5l4fl5, war Baldung neben Dürer (dem Leiter), Cranach, Burgkmair und Altdorfer einer der auserkorenen Mitarbeiter für das Ge- betbuch Maximilians. Wir können es nicht bei dem Vergleich der Hexendarstellungen von Baldung und Altdorfer belassen, ohne den Wesens- unterschied zu vermerken. Der Abstand der beiden Werke ist demjenigen gleich, der allgemein zwischen der donauländischen und der schweizerischen Kunst bestanden hat. Die Hexen Altdorfers bleiben trotz ihrer Wildheit und Ausgelassenheit ver- gleichsweise frei von derber, körperlicher Ißidenschaftlichkeit. Ihre Gebärden er- scheinen lyrisch „verfremdetf in der schwungvollsten Bewegtheit doch zuständ- lich, schwebend zwischen Impuls und Aktion. Bei Baldung staut sich animalische Triebhaftigkeit bis zum Explosionspunkt. Unter dem Druck öffnen sich die Ventile gerade so weit, daß der Dampf empor- schießt und der Schrei entweicht (ein typischer Renaissance-Schrei, den man von Mantegnas Stichen oder von Leonardos beriihmtem Reiterkampf um das Feld- zeichen her kennt). Die Kehrseite dieser dämonischen Vitalität, die bei Baldung wie bei den Schweizern nicht nur in hexenartigen Gestalten, sondern auch gern im Gewand der Landsknechre auftritt, ist das tief verwurzelte Bewußtsein des Todes: eines Todes nicht als Erlösung oder Übergang, sondern als eine das irdische Leben zunichte machende, unerbittliche und grausame, oft in grotesker Weise gegenwärtige Macht46. In dieser Nacktheit war er den Donaumeistern fremd". Im Pflanzenreich Altdorfers und llubers offen- bart sich eine höhere Einheit von Werden und Vergehen. Die Grenze zwischen Vera modern und neuem Sprießen verschwimmt. Nirgends in der Donaukunst raubt der Tod das Mädchen aus den Armen des Geliebten. Der tragische, stille Liebestod von Pyramus und Thisbe ist eine ferne, in ihrer poetischen Entrücktheit von den Donaumeistern geliebte Geschichte aus alter Sage oder aus dem Volkslied43. Bei Altdorfer und Huber wird der hl. Sebastian im Martyrium verklärt und erhebt die Arme im Gleichklang mit der Vegetation der Natur dem Licht entgegen (Hubers 1520 datierte Zeichnung - St. Florian, Kam-Nr. 289, basierend auf Alrdorfers Stich von 1511 - zeigt einen Sebastian ohne Pfeile: eine italienische IdeeI49); bei Baldung und vor allem bei Urs Graf ist Sebastian sadistisch erschossen worden und sackt schwer zu Boden. Selbst das Teuf- lische wirkt bei den Donaumeistern mär- chenhaft, bei Baldung und den Schweizern aber schockierend realistisch. Die Land! schaften von Baldung, Leu oder den oberrheinischen (Basler?) Monogrammisterr HF (Hans Franck?) von 1515 (Abb. 9) und CA von 1519 (Abb. 12)50, ja auch von Grunewald heben sich durch einen düsteren, diesseitigeren Charakter ab. Es ist bezeichnend, daß Baldung die Donaustil- Flechten an den Bäumen sogleich, schon in dem um 1510 zu datierenden Wiener Vanitas- Bild, als Sinnbild des hinterhältigen, uner- wartet gegenwärtigen Todes konkretisiert und dem blühenden Leben einer jungen, ahnungslosen Frau gegenübergestellt hat. Der Schweizer Humanist Joachim Vadian nahm 1511 in Wien ein Gespräch mit dem Tod auf und mußte sich von diesem be- lehren lassen, daß der Tod das Leben gütig begleite und im Kreislauf vollende, daß er daher zu Unrecht von allen Menschen gefürchtet und gehaßt werde5l. ANMERKUNGEN (IBM 51 33 Silvanus in Gestalt eines spitmirtclalterlichcn wilden Mannes auf dem Titelholzschnit! in Sebastian Branls Ausgabe der Georgicz Virgils, Straßburg 1502 (W. Wor- ringer. Die altdeutschc Buchillusuation. 1919. Abb. 64 S. 105: Ausst. "Die wilden Leute des Mittelalmrs" Hamburg 196a, KaL-Nr. 3a mit Abb.) Vgl. Georgica u, Vers 49311 (Kontext z. T. wörtlich 2m Gedichte Ccltis' crinnemd). M w. c lcnnch. Geschichte des neuen-n DrnmnS. 1, 1918, s. 36 Dazu nehme man die Verherrlichung der Nymphen, Melusi . "Bcrglculli" und Riesen duxch Paracelsus - humanistisch oder nicht? Nova Acta Pnracclsicn V11. 1954, s. 150). Auch in hübsch-ritterlichen Kreisen fand man das Hexenwescn pikant: auf einer Rcnndeckc in Cranachs 1509 datierten: Holzschnitt des Lanzen-Tumiers (rechts vom) macht eine um Feuer und Qualm (J. Jahn, 14 Lucas Cramlth als Graphiker, 1955, Tal. 25; vgl. Kai. Sl. FlorianlLinz, Abb. 31). w Hanlnub, Hans Baldung Gricn, l-Iexcnbilder (weile- monographien zur hild. KHUSI in Rcdamx Universal- Bibl. Nr. a1), 1961, 5.15. H J. Becker, Die Rcichsvogtei iin Elsaß, 1905, 5.30112; H. Uhlmann, Kaiser Maximilian 1., BrLII, 1891. s. 211. 41 Die Matrikel elei Universität Wien, ll, 1959, s. 219. u s. Bauch: Die Reccption des Humanismus in Wien. 19o:,s.14n414a. M BaIdung-Ausslellung, Karlsruhe 1959, Kalt. s. 14er. mil Abha vgl. "Meister um A. Dürer", Ausstellung Nürn- berg 1961. Ka -Nr. 225. ß Koch N 11 . Bildung-Ausstellung, Karlsruhe 1959, 14.1 r. 136. M Vg. Härllallb, bei Tndcslraum des Hans Baldung seien. in: Anraios ll. 1960161, s. 13-25. 41 Vgl. Oettingtt, m; Wienerisch: in der bildenden Ktlnit, 194a, s. 181i". - Maximilians Toxenbildrlis (sx. Florian] Linz. KaL-Nr. 383) crklän sich aus dynastischcn Be- Ziehungen zu Burgund und Obcritzlicn (vgl. A. Piglcr, Porlraying rhc Dead. in: Am Hist. Artium Acad. scicntiarum Hungaricae IV. 1957. S. H11; H. Lutz. Connd Peutinger, wss, s. 125). Nicht konsultiert: L. Luchner, Die Dzrstcllung des Todes in der deutschen Malerei bis 1550. Diss. Innsbruck 1949. 4! H. Voß. Der Ursprung du Donauslils, 1907, S. 186; E. W. Brcdl, Albrecht Altdnrfer (Kunsthrcvier), 1919. s. 85-92 (ganzer Tcx! des Licdcs). w Barbari (Hind VII. Tal". 705). Stich nach Mnnlcgna (Hind VI. Tür. 521) LLFI. w Thieme-Beck: XXXVII. S. 3st: H. A. Schmid. Die m Festsaal des Klosters St. Gcorgcn in l936, S. 68. Das Baum-Motiv des Basic: „Onu hrius' WM! bui Lcu. 51 W. if. Vadian und scinc Stadt St. Gallen. "Hd. I. 1944, S. 31281; dazu H. (änllcb, Der Wiener Holzschnitt 1490;1550, 1926. Abb. 5.62.