Alois Vogel DER MALER UND GRAPHIKER OSKAR MATULLA Oskar Matulla wurde 1900 als Sohn eines kunstsinnigen Schlossermeisters in Wien geboren. Sein Vater stand in kaiserlichem Dienst und arbeitete unter anderem an den Gittern des Michaelertores und der Tore des Schlosses Schönbrunn. Bedenken wir, wie viele begabtejunge Menschen gleich Oskar Matulla in jenen für Europa so entscheidenden Jahren kurz vor und während des ersten Weltkrieges aufgewachsen sind und die wahrhaft revolutionären kulturellen Strömungen ihrer Umwelt wahrgenommen. ja an ihnen sogar aktiv teilgenommen haben, die schließlich aber doch von der Zeit Überlaufen, an den Rand geschwemmt worden sind oder in einer Doktrin festgebannt vereinsamten, so müssen wir mit Genugtuung feststellen, daß Matulla immer von neuem zum Ausschöpfen der Möglichkeiten. immer zu neuem Aufbruch bereit war. Schon sein Bildungs- weg zeigt seine unaufhörliche, immer von neuem beginnende, rastlase Eigenart. Denn nicht nur, daß er nach der Volks- und Bürgerschule die Lehrerbildungsanstalt und die Kunstgewerbeschule besuchte. 1927 finden wir ihn noch einmal auf der Kunstgewerbeschule in Wien, 1948 bis 1950 auf der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. 1949 bei Professor Dobrowsky auf der Akademie der bildenden Künste und noch 1955 bei F. Mourlot in Paris, wo er sich in den lithographischen Disziplinen weiterbildete. Betrachten wir nun des Künstlers Arbeiten, so müssen wir mit jenen Holzschnitten aus den Jahren 1918119 beginnen. Eine derbe Messerführung und klare Schwarz-Weiß-Gegenübersteliungen weisen auf den deutschen Expressionismus. Man könnte Kirchner, Heckel und Beckmann als Vergleich heranziehen. Auch in der Thematik finden wir eine Verwandtschaft zu den Blättern der deutschen Meister. Ein kleines Selbst- porträt des 19jährigen mit verzerrten Längen läßt an Kokoschka denken. Allmählich wird aber die Linien- führung Matullas feiner. verliert den groben Charakter. nimmt kultiviertere Formen an. Schließlich wendet sich der Künstler einer neuen Ausdrucksmöglichkeit zu. Nach einigem Tasten findet er sie in der .,Neuen Sachlichkeit". Der Strich wird - wir sprechen noch immer vom Holzschnitt e dünner, die Linien härter, die Flächen. reines Schwarz oder Weiß. gewinnen an Bedeutung. Waren vorher oft soziale Motive vor- herrschend, so tauchen nun immer häunger solche südlicher Landschaften und Architekturen auf. Man spürt bei jedem einzelnen Werk die Ausgewogenheit. Die Form wird bis ins Kleinste beherrscht. Diese präzise Durcharbeitung der Komposition. selbst in den kleinsten Blättern, führt zu außerordentlich kühlen Arbeiten. In der Malerei wird die Fläche zum wesentlichen Element. Verhciltene Farben. oft Ocker in verschiedenen Abstufungen. pastelle Grau- und Grüntöne beherrschen die Leinwand. Es sind distanzierende Bilder. die meist italienische Motive. Straßen, Häuser. Hafenausschnitte zum Thema haben. Die Himmel werden in ein unendlich fernes Gelb gerückt, fast überall sind kubische Elemente vorherrschend. In diese Zeit fallen auch einige experimentelle Versuche postpointillistischer Art. Ein großes Ölbild ,.Dalmatien" zeigt eine außerordentlich zart abgestufte Palette. Es gelingt Matulla, jenen Zauber auszulösen. der in der Auflösung der faßbaren Dinglichkeit liegt und dafür die Konstellation des Augenblicks bietet. Im Technischen ist dem Künstler das Arbeiten mit dieser Methode eine Bereicherung in der Kenntnis des Bildaufbaues, ein Gewinn an Erfahrung. Beim Holzschnitt. den Matulla weiter pflegt. sehen wir ein Ausfüllen der Flächen. Mit Akribie werden Details herausgearbeitet. Die Strukturen wirken nun oftmals gefältelt und geschummert. In großen Holz- schnitten aus dem slowakischen Waldland und der österreichischen Bergwelt werden ausgesprochen malerische Tönungen erzielt. Doch der Strich drängt immer mehr und mehr zur ornamentalen Füllung. Das technische Raftinement beginnt langsam die Aussage zu überwuchern. Der Künstler. von dieser Ent- wicklung unbefriedigt. wendet sich einer neuen Ausdrucksweise zu. Während in Öl in dieser Zeit nur einige Landschaften in strenger Linearität, die entfernt an Cezanne erinnern, entstehen. beginnt der Künstler jetzt in Pastell zu arbeiten. Schon durch das Material bedingt. vielleicht auch in einem unbewußten Gegensatz zur Strenge der vorangegangenen Epoche. werden die Farben sehr locker aufgetragen. Mit fortschreitender Beschäftigung Matullas in dieser Technik werden sie immer flockiger. Reine Impressionen eröffnen große Weiten. Wenige Töne, zart hingehaucht. geben Licht und Luft. vielfach auch zarte Wasserspiegelungen. Eines der letzten Blätter dieser Periode erinnert in seiner lockeren Durchführung schon an chinesische Landschaftsbilder. Im Graphischen beginnt sich Matulla mehr mit der Lithographie zu beschäftigen. Es sind die Jahre 1948 bis19SO. wo wir ihn auch in der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalttinden. Die Motive werden bewegter behandelt. Man merkt deutlich das Herkommen von der pastelltechnischen Auflösung. der Raum gewinnt an Tiefe. die Himmel sind vielgestalfiger. bewegter. Mit Tierstudien werden formale Ausdrucksmöglich- keiten angeschnitten: die sinnerhöhende Linie des Umrisses! Diese Blätter weisen schon auf die letzte Phase in Matullas graphischem Schaffen hin. Dazwischen schiebt sich aber noch eine kurze Periode. Essind einige Ölbilder mit ausgesprochen expressiven Anklängen. Eine „lrische Landschaft". 1950 entstanden, ist da zu nennen. Plötzlich tauchen in Matullas Palette unbekannte Rattöne auf. Kadmiumgelb zerreißt den Himmel, Chromoxydgrün beherrscht das Feld. Ein Zinnober gibt einen Akzent. Sicher durch seinen Pariser Aufenthalt stark geprägt und dann in wesentlich Eigenes umgesetzt. entsteht nun eine große Menge Farblithographien. die des Künstlers Namen in vielen Ausstellungen in aller Welt aufscheinen lassen. Bei der Biennale von Venedig 1950. in Sao Paulo195Z, in Cincinnati 1954. 19561958. in Laibach 1957.1959.1961. in Ausstellungen in Helsinki, Kopenhagen. Kairo. Istanbul, Tokio. Kamakura. Rom, Palermo, Turin. um nur einige der wichtigsten Orte zu nennen. ist Matulla vertreten. Wie schon angedeutet, gewinnt die Linie an Ausdruckskraft. War sie noch in der vorigen Periode haupt- sächlich im kompositorischen Aufbau und in die abbildliche Funktion gebunden, so wird sie jetzt noch zusätzlich zu einem wesentlichen Aussagemittel. Die Farben, wohl getönt, werden auch in der Lithographie kräftiger. ln der Struktur wird ein Zurückgreifen auf die frühen kubischen Formen ersichtlich. jedoch mit einer Einschließung aller dazwischenliegenden Erfahrungen. Geschmeidige, mit großer Sicherheit hin- gesetzte Linien korrespondieren mit den Flächen. Die Erscheinungen werden immer mehr und mehr abstrahiert. An Hand verschiedener. am jeweiligen Ort vor der Natur gezeichneter Landschaftsstudien entstehen im Atelier nach langer Zeit des Reifens gewissermaßen Quintessenzen, die das für den Künstler Wesentliche der Gegebenheiten festhalten. Während Matulla in der Lithographie diese Linie bis heute beibehält und in allen Jahren verdichtet. ist ihm aufder Leinwand die Temperamalerei begegnet. Wir müssen an dieser Stelle in das Jahr 197.9 zurück- greifen. in dem der Künstler einen Briefwechsel mit dem 1938 verstorbenen Holsteiner Meister Christian Rohlfs beginnt. Der lnhalt der Schreiben - die Korrespondenz reicht bis in das Jahr 1931 - bezieht sich meistens auf die Kaseinmalerei. Rohlfs gibt dem jüngeren Kollegen Ratschläge. teilt ihm seine Erfah- rungen mit. Für Matulla wird in den letzten Jahren die Fläche immer mehr und mehr das wesentliche Ausdrucksmittel. Sie ist der entscheidende Gestaltungsfaktor aller seiner Bilder geblieben. Die Ölfarbe wird pastoser auf- gesetzt, die Flächen bekommen eine gewisse Gerichtetheit. Die Bilder werden dadurch dynamisch. was sich besonders bei den Landschaften bemerkbar macht („Häuser im Karst". 1961 [Abb. 2]. "Trattenbacher Landschaft". 1962 [Abb. 3]). Die Palette wird intensiver. die Farbe reiner. Je jünger die Arbeiten sind. um so differenzierter wird der Farbauftrag. Durch polychrome Flächenbrechungen wird ein Volumen erreicht. ohne eine dritte Dimension vorzutäuschen. Matullas Spannweite reicht von feinempfundenen Farbnuoncierungen - etwa bei den Bildern aus Niederösterreich (..Wogram" und ähnliches) - bis zu kräftigen Kontrasten. wie wir sie besonders in der Behandlung einiger südlicher Motive finden. 41