Um den wichtigsten kritischen Einwand gleich vorwegzunehmen: die Ausstel- lung litt an ihrer Überfülle. Sie war offensichtlich zu breit geraten. enthielt zahlreiche Blätter, die künstlerisch kaum von Bedeutung sind und für sich selbst nur schwer bestehen, und brachte sich daher um einen Teil ihrer möglichen Wirkung. Daß Wotruba viel und mit Ausdauer zeichnet, wüßte man auch, wenn man den Umfang der Ausstellung reduziert und dafür die Auswahl kritischer vor- genommen hätte. Neben wenig ge- glückten Skizzen und mehreren zu dicht geratenen. verzeichneten Blättern aus jüngster Zeit hätte man aber auch auf die einer Reihe von Kleinplastiken gegenübergestellten Ölbilder verzichten können, die für Wotrubas Gesamtwerk in keiner Weise von Bedeutung sind. Es kann aber dennoch kein Zweifel darüber bestehen. daß die umfassende Albertina-Ausstellung im großen und ganzen ihrer Aufgabe gerecht wurde, vermittelte sie doch einen informativen Einblick in die Arbeits- und Denkweise des bedeutenden Bildhauers. in die verschiedenen Abschnitte seines reichen und fruchtbaren Schaffens. Darüber hinaus wurde die umfangreiche Re- trospektive dort zum spontanen Erlebnis, zur erregenden Reflexion für den Be- sucher, wo man in ihr - was sehr oft vorkam - genialen Zeichnungen be- gegnete. die in ihrer asketischen Herb- heit und Strenge, in ihrer knappen zeichnerischen Meisterschaft als voll- gültige Zeugnisse künstlerischen Tuns in Erscheinung treten. ,.Die menschliche Figur ist für mich nach wie vor Anlaß meiner Arbeit, sie steht am Beginn und wird am Ende stehen. lch sehe das Thema durch nichts be- schränkt und so aktuell als je." Dieses geradlinige Arbeitsdogma Wotrubas trifft für den Bildhauer genauso zu wie für den - anfangs von seinem Lehrer Hanak beeinflußten 7 Zeichner. Der Grad der Abstraktion und die Art der Artikulation unterliegen im Sinne einer immer stärkeren. wesenhafteren Ver- dichtung dem Wandel der Zeit, das Bekenntnis des Künstlers wurde da- durch allerdings nicht berührt und hat bis heute nichts von seiner Glaub- würdigkeit eingebüßt. Verhältnismäßig früh (Zeichnungen aus den Jahren 1930 bis 1932 lassen das schon erkennen) macht sich die für Wotrubas Stil typische Tendenz zur - anfänglich e röhrenartigen Form und - späteren 4 blockartigen. geschlos- senen, gleichsam gepanzerten Figurci- tion bemerkbar. Auch im Strich zeigt sich ein augen- fälliger, langsam und ohne Bruch von- statten gegangener Wandel. Die spar- same Umrißlinie. mit der Wotruba seine Figuren im wahrsten Sinne des Wortes maßvoll hinzeichnet. weicht in der Graphik der letzten Jahre immer mehr einer differenzierten spannungs- reichen Dynamik mit einem ausge- prägten Hang zum Architektonischen. ln der verhaltenen. herben, ja geradezu unauffälligen Schönheit liegt die Größe der Zeichnungen dieses Künstlers. Ihrem eingehenden Studium galt die zu zahllosen Vergleichen herausfor- dernde, an Spitzenwerken reiche Aus- stellung der Albertina, die in vorder- ster Linie mit dazu beitrug, Maßstäbe zu bilden und zu sehen (Abb. 3. 4). Peter Baum SECESSION: Malerei und Plastik aus Schweden Kollektiven Oskar Matullas und Jean de Bottons Die Formvollendetheit und gediegene Qualität skandinavischen Kunsthand- werks wird auf der ganzen Welt ge- schätzt und bewundert. Wer das nötige Empfinden und Einfühlungs- vermögen für einfache, organische Formgebung besitzt. greift gerne zu den Schöpfungen nordischer Künstler. und zwar auch dann, wenn der Preis, der dafür zu bezahlen ist, auf Grund hoher Zölle erheblich mehrbelastet wird. Weniger bekannt als die angewandte Kunst, die gediegenen Möbel und das schöne Kunsthandwerk ist hierzulande die freie bildende Kunst der skandinavi- schen Länder. Es war daher besonders begrüßenswert, daß vom Schwedischen Institut für kulturellen Austausch die Initiative zu einer großen Querschnitts- ausstellung zeitgenössischer schwedi- scher Malerei und Plastik in der Wiener Secession ergriffen wurde. Die locker und übersichtlich arrangierte Expo- sition wirkte dank der knappen Aus- wahl durchaus respektabel - manche der in Wien gezeigten Beiträge be- sitzen sogar europäisches Format. Der Hang zum Abstrakten ist auch bei den Schweden dominierend, die per- sönlichen Varianten und mit neuesten Tendenzen sympathisierenden Misch- formen, in denen er zum Ausdruck kommt, zeigen allerdings überraschend viel Eigenständigkeit. Die großen, skizzenhaften und doch alles eher denn unfertig wirkenden Abstraktionen des 1920 geborenen Lage Lindell sind qualitätsvolle. spannungs- geladene Beispiele formalen Gestaltens. das auf einem soliden. verschieden deutbaren geistigen Fundament ruht. Die Temperabilder von Olle Angkvist haben etwas vom psychographischen Automatismus eines Twombly und den Strukturbildern des Deutschen Schu- macher an sich. Es sind feinnervige. detailreiche und stellenweise in Col- lagetechnik gehaltene Kompositionen in hellen Tönen von gleichermaßen grophischem wie malerischem Reiz. Bei Sten Duner verbinden sich ab- straktive Komponenten mit realistisch inspirierter Darstellung und deutlichen Pop-Art-Einflüssen zu einer überaus eigenwilligen Synthese. Die ganz und gar malerische Handschrift, ein Schuß Humor und die daraus resultierende Zeitkritik machen den Charakter dieser Bilder aus. Rune Janssons großflächige, mitwenigen Wischern und Bleistiftstrichen aufge- lockerte Formate mit ihrem Hang zum Landschaftlichen, zum Naturhaften in einem allgemeineren Sinn übertreffen die konventionelleren, expressionisti- schen Malereien von Evert Lundquist genauso wie die eigenartigen, doch recht oberflächlichen Tachismen von Karl Marin und manches andere. was sonst noch auf dem Sektor der Malerei zu sehen war, Wenig beeindruckt zeigte man sich hingegen von der schwedischen Plastik, wo neben Spielerischem (Per Olaf Ultvedts ,.Bildzerstörer") und ästheti- schen .,Optochromis" Eric H. Olsons die amorph wirkenden Gebilde Tony Ernilsons als diskussionswürdiger Bei- trag figurierten (Abb. 5-8). Eine gelungene kleinere Ausstellung widmete die Wiener Secession ihrem Mitglied Oskar Matulla. Sie umfaßte Ölbilder, Aquarelle. Forbholzschnitte, Hochätzungen, Radierungen und eine Reihe anderer Drucke, die die Viel- seitigkeit des Malers und Graphikers einmal mehr bewiesen. Die eigentliche Entdeckung der Schau waren vor allem sechs weitestgehend abstrahiene Aquarelle, deren gestalterische Kon- sequenz und künstlerische Qualität beeindruckten. Matulla. der in seinen durch den Ex- pressionismus und Kubismus inspirierten Ölbildern kälter und nüchterner wirkt, erreicht hier eine formale Prägnanz und farbige Sensibilität wie selten. Dichte, spannungsreiche Radierungen ZU Georg Brittings „Die Lebensge- schichte des dicken Mannes, der Hamlet hieß" und illustrative Hochätzungen zu jüngsten Werken der Dichter Alois Vogel, Alfred Gesswein und Siegfried Freiberg zählten ebenfalls zu den Aktivposten der Ausstellung. Geistige Verbundenheit und stilistische Abhängigkeit zur Ecole de Paris doku- mentierte der Maler. Bildhauer und Schriftsteller Jean de Botton mit einer Kollektive neuerer Ölmalereien. Botton ist fasziniert von der Vielfalt und Buntheit der Farben, Er besitzt viel Sinn für harmonisches Komponie- ren, für delikates Arrangement. Botton ist dem Heiteren, Ungezwungenen ver- haftet und nicht dem Grüblerischen, Problematischen und Intellektuellen. Wer das Dekorative sucht, kommt bei ihm voll auf die Rechnung. Stilleben a la Georges Braaue und geschickt abstrahierte Landschaften zeigen allent- halben großes handwerkliches Können und eine erstaunliche Virtuosität in der Handhabung formaler Elemente. KUNSTLERHAUS: Ausstellung Carlos W. Aliseris Dcr Geschäftsträger der Republik Uru- guay in Wien. Carlos W. Aliseris, ist nicht nur Maler, sondern auch Diplo- mat. Diese Umkehrung mag zwar etwas verwirren, besitzt aber gerade bei demjenigen Berechtigung, der in ähn- licher Weise wie Aliseris in erster Linie zum Künstler berufen ist und dabei dennoch einen verantwortungsvollen, viel Geschick erforderlichen ..Brot- beruf" ausübt. lm Französischen Saal des Wiener Künstlerhauses konnte sich jeder Interessierte davon überzeugen, wie sehr Carlos W. Aliseris Maler ist und von welcher spezifischen Eigenart seine Bilder sind, Der kleinkalibrig- rhythmische Bildkosmos, der sich in ihnen auftut, erinnert an Pflanzen- haftes. Vegetatives, an die reiche Blumen- und Tierwelt des südameri- kanischen Kontinents, Kraftvolle Far- ben, gegenständliche und abstrakte Elemente verbinden und verdichten sich insbesondere in den drei großen Triptychen zu eigenwilligen Schöpfun- gen. die einerseits an Hieronymus Bosch erinnern. anderseits aber auch etwas vom Heute. von der Zeitkritik unserer Tage in sich tragen. Man braucht viel Geduld. um die Bilder dieses Künstlers geistig zu durchwan- dern und ihren Symbolgehalt aufzu- decken (Abb. 9). GALERIE WÜRTHLE: Ehrung für Alfred Wickenburg Sowohl die Graphische Sammlung Albertina als auch die Gaterie Würthle nahmen den achtzigsten Geburtstag Alfred Wickenburgs zum Anlaß von 49