Alte Wohnräume, im Museum aufgestellt, sind eine problematische Sache. Nicht so sehr darum, weil sie, allzu fühlbar „deplaciert" und zweckentfremdet, dem Durchschnittsbesucher trübselig öde erschei- nen, als geisterte dort der fade Alltag von einst; zumeist ist ja nur die Einrichtung echt, das Gehäuse aber recht und schlecht nachgebildet, ein natürlicher Kern in künstlicher Schale, und diese leialbheit wird gerade der interessierte oder sachkundige Besucher unangenehm emptinden. Den Besuchern des llistorischen Museums der Stadt Wien präsentiert sich innerhalb der vor einigen Monaten eröffneten Schausamrnlung des 19. und 20. Jahrhunderts eines der schönsten Wiiener FImpire-Interieurs in voller Wirklichkeit: ein Salon aus dem heute noch bestehenden Palais Geymüller in der Xvallnerstraße, strahlend in Weiß und Gold und mit tiguralen und ornamcntalen Wanddekora- tiunen, die kunstvoll mit Temperafarben auf Seide gemalt sind. Den llaupteffekt bilden vier lebens- große, schwebende Frauengestalten, in zartfarbige Schleier gehüllt, die pompejanischen Fresken nach- gebildet sind. Um die vier Hauptfelder sind kleine proportionale Felder mit allegorischen Gestalten und längliche Ornamentfelder symmetrisch an- geordnet, und das ganze System wird durch Friese zusammengefaßt, oben durch einen Ornament- frics, unten durch einen Bilderfries mit regelmäßig wechselnden Motiven. Die spielenden Tritonen, die bunten Vögelchen und die reliefartigen Köpfe, die wir hier finden, sind ebenfalls aus der pompe- janischen Wandmalerei entlehnt. Die Felder aus brauner oder goldgelber Seide heben sich kräftig von dem Untergrund aus taubengrauer Seide ab, von dem sie überdies zartprofilierte weiß und goldene Llmrahrnungen trennen. Die Dekoration wird ver- vollständigt durch vier typisch klassizistische Supra- purten en grisaille, die vermutlich die Lebens- alter darstellen, durch zwei hohe Wandspiegel und einen Kamin aus grauem Bardigliomarmor mit Bronzebeschlägen und Fayenceverkleidung. Um Raumausschmückung zur vollen Geltung zu bringen, ist bei der Aufstellung im Museum auf Mobiliar weitgehend verzichtet worden - es beschränkt sich auf zwei Konsoltische und, nebst einigen anderen dekorativen Dingen, auf eine große Prunkvase der Wiener Porzellanmanufaktur von 1817. Übrigens waren derartige Gesellschaftsräume auch zu ihrer Zeit eher spärlich eingerichtet, aus Gründen, die tief im ästhetischen Empfinden der Epoche wurzelnl). Der Salon befand sich ehemals im ersten Stockwerk des rechtsseitigen Hoftraktes des Palais in der XVallnerstraße 8. Das um 1688 für Feldmarschall Graf Aeneas Sylvius Caprara errichtete Gebäude hat oftmals den Besitzer gewechseltl). im Dezember 1798 kauften es die Brüder Joh. Heinrich und Joh. Jakob Geymüller um 135.524 Gulden. Wenige Monate zuvor hatte dort Bernadotte als erster Bot- schafter der Republik Frankreich am Wiener Hof residiert, und hier war es auch am 13. April 1798 zu jenem berühmten Krawall um die erstmals in Wien gehißte Trikolore gekommen. Die aus Basel gebürtigen Brüder Geymüller, schon damals best- diese bekannte Bankiers, ließen das Palais oHenbar bald nach dem Ankauf im Geschmack ihrer Zeit um- gestalten; das Jahr des Umbaues und auch die damit beauftragten Künstler haben sich bisher nicht fest- stellen lassen. Damals ist unser Pompejanisches Zimmer entstanden. Über das verschwenderische Treiben im neugeadelten Hause Geymüller hat u. a. Castelli in seinen Memoiren berichtet. Man wetteiferte mit den alten Familien in Luxus und suchte sie zu übertreifen. Zuzeiten gehörte den Geymüller Schloß Pötzleinsdorf, der „Kaisergarten" (nachmals Palais Erzherzog Rainer) und, neun Jahre lang, auch das Schloß der Grafen Fries in Vöslau. Von diesen Besitztümern blieb nach dem Zusammenbruch des Bankhauses im Jahre 1841 nur das Palais in der Wallnerstraße im Besitz der Erben Joh. Heinrich Geymüllers, die erst 1897 an Franz Freiherrn von Puuthon verkauften. Von diesem erwarb es 1904 der niederösterreichische Landesausschuß, der dort einige Räume dem in Gründung befindlichen Niederösterreichischen Lan- desmuseum überließ. Bei den Instandsetzungsarbei- ten zwischen 1907 und 1909 ist unser Pompejanisches Zimmer recht eigentlich entdeckt worden: die Wanddekoration fand sich wohlverborgen hinter einer tapezierten Holzverschalung, eine sehr leb- hafte Dokumentation des raschen Geschmacks- Wandels im 19. Jahrhundert. Damals wurden auch in einem anderen Empire-Salon des Hauses antiki- sierende Fresken aufgedeckt. Arthur Roessler hat über die Auffindung der beiden Interieurs 1909 berichtet-l). Es ist trübselig, zu sagen, daß die gut erhaltenen Fresken vor kurzer Zeit mit Zustim- mung des Bundesdenkmalamtes neuerlich über- tüncht worden sind. Das Pompejanische Zimmer war als Gegenstand der Sammlungen des Niederösterr. Landesmuseums ab 1911 öifentlich zugänglich. Vancsa hat im Muse- umsführer von 1918 ein paar Worte darüber ge- schrieben4). Als das Landesmuseum 1923 in das Palais Clary-Aldringen, l., Herrengasse 9, über- siedelte, nahm es das Zimmer einfach mit. Die Wandverkleidung mit den Seidentapeten und den beiden Spiegelmotiven, die Türen, Spaletten und der Marmorkamin wurden aus dem Raum gelöst und im neuen Haus wieder aufgestellt, wobei die Fensterwand in Anpassung an dortige Gegebenheiten etwas verändert werden mußte. Im Palais Gey- müller verblieben die Fenster, die Verkleidung der Eingangstür und natürlich die Stuckdccke, ansonsten kahle Wände. S0 seltsam ausgeschlachtet zeigt sich der Raum noch heute. Im neuen Landes- museum hat man anscheinend dem Pompejanischen Zimmer keine besondere Bedeutung mehr beige- messen, der Museumsfiihrer von 1925 verschweigt es. Schließlich wollte man den Salon überhaupt los sein. 1940 wurde er über lntervention der damaligen Reichsstatthalterei vom damaligen Museum des Reichsgaues Nicderdonau den Städti- schen Sammlungen ins Eigentum übertragen; als Gegenleistung übergaben die Städt. Sammlungen den Kettlacher Fund (aus den Beständen der Samm- lung Franck) als Dauerleihgabe 5). Das kostbare und überaus empfindliche lnterieur lag dann jahrelang 21