Vojtech Til kovsky ZUR TRIENNALE DER NAIVEN KUNST Seit der Zeit, da Apollinaire in dem Zöllner Rousseau uncl Wilhelm Uhde in seiner Köchin Seraphine malerische Talente entdeckten. ist rund ein halbes Jahrhundert vergangen, in welchem das Schaffen der .,naiven" oder ,.primitiven" Künstler. der ,.Maler des heiligen Herzens" 7 oder wie sie auch immer genannt werden 7 nach und nach in das Blickfeld des öffentlichen Kunstinteresses geriet und stetig in seinem Wert gestiegen ist. Die Pariser Ausstellung der .,grol'len Fünf" (Rousseau. Seraphine Louis, Bauchant, Bombois und Vivin) im Jahre 1928 legalisierte dann auch diese vormals so heiß umstrittene Kunstart. Zehn Jahre später, 1938, wurde die Zahl der „salonfähigen" naiven Künstler auf acht erhöht. und diese erhielten die Benennung ,.Mailres populaires de la Realite". Die Aufwärtsentwicklung dieser Kunstgatlung nahm jedoch fortwährend zu, das Schaffen der Einzelgänger wurde zur Bewegung und auch zum Objekt der Spekulation. Das Museum of Modern Art in New York hat im Jahre 1938 schon mehr als 150 Werke von 23 Laienkunstlern ausgestellt, und gelegentlich der EXPO 1958 fand in Brüssel bereits die erste internationale Ausstellung naiver Kunst statt. Darauf folgte eine Ausstellung in Baden-Baden, die auch in Frankfurt und l-lan7 nover gezeigt wurde, sowie später dann in Basel, Rom, Rotterdam. Salzburg. Linz, München 7 und abermals in Paris, wo übrigens schon seit l94B ein Sondersaal des Museums fur moderne Kunst dieser Kunstart geweiht ist. Nun wurde vor kurzem in Bratislava (Preßburg) die erste institutionelle Triennole naiver Kunst veranstaltet, die sich alle drei Jahre wiederholen soll, um die besten Werke dieses Kunstschaffens vorzuführen, Gleichzeitig soll sie dazu berufen sein, die Hauptfragen der aus innerer Notwendigkeit ausgeübten, von ieder Kunsttradition freien schöpferischen Betätigung 7 die eine Art von lnsel in einer zivilisierten und technisierten Umwelt bedeutet 7 auf internationa- len Symposien abzuklären. Am ersten Symposien 7 im vergangenen Herbst 7 nahmen die besten Kenner der naiven Kunst Europas teil und diskutierten drei Tage lang über Wesen, Bedeutung, ästhetische Erscheinungs form und gesellschaftliche Bedingtheit der Kunst der modernen Primitiven. Trotzdem konnte die Aufgabe dieses großangelegten Zusammentreffens nicht restlos erfüllt werden, Die Kunst der Naiven unserer Zeit ist scheinbar nicht eindeutig erfaßbar: sie reicht nicht nur bis in das Gebiet der mystischen Phantastik und der schizophrenen Bildnerei, sie 7 nährt sich auch mit den Früchten einer oft archaisch irrationalen Umwelt. wobei sie sich vielfach einer utopistischen Symbolsprache der Volkskunst be- dient und nicht zuletzt auch manchmal bereits die Gefahrenzone des Kitschs überschreitet. Die Ansichten einiger Symposionteilnehmer trugen iee doch entscheidend zur Klärung des Phänomens bei. Oto Bihalji-Merin, der hervorragende Theoretiker der Naiven, Entdecker und Protektor der heute weltbekannten iugoslawischen Bauernmalerei. dee finierte diese Art des Schaffens als die einzige wirklich außerhalb alles Geschichtlichen existie- rende Kunst. die keine biologische Stufe 7 wie die Kindermalerei 7 und keine psychische Belastung 7 wie die Kunst der Geisteskronken 7 darstelle, Seiner Meinung nach suche der naive Künstler 7 zum Unterschied von den akademischen. ge- schulten keine Auseinandersetzung mit den Formen der Dinge, sondern die Dinge selbst. Zwischen Vorstellung und Realisation bestehe für ihn weniger ein ästhetisches als vielmehr ein Problem des technischen Verfahrens. Der naive Künstler wolle das mit den Augen oder dem Geist Geschaute neu erschaffen: Mensch und Landschaft. Dinge und Träume. Begebenheiten und Visionen seien für ihn keine fragen von Hell und Dunkel, von Rhythmus und Raum 7 wenn auch diese Elemente unbewußl aus der Begabung selbst empfunden und gelöst werden können, Mit der Intensität des Gefuhls folge der naive Künstler dem lriebhaflen Willen, Mensch. Dinge und Vor7 stellungen auf die Fläche von Holz, Glas, Leth- wand zu proiizieren, Holz. Stein oder Metall zu formen, um den schöpferischen Akt der Neue erschaffung zu erfüllen. Wenn auch die Thesen Bihalii-Merins das Rück- grat des Symposions bildeten, der Kern der Trien- nale war die Ausstellung selbst. Sie brachte aus der Schaffensfülle der Naiven in allen Teilen der Erde ein ziemlich umfassendes und gültiges Panv orama: mehr als 300 Werke von zirka 200 Künst- lern aus der Zeitspanne der vergangenen fünfzig Jahre So bot sich denn nicht nur eine ungeheuer reiche und interessante Schau, sondern auch eine hervorragende Gelegenheit zur Erforschung und Analyse des „naiven Kunstphänomens". Diese Forschungen sollen nach drei Jahren, bei der nächsten Triennale, fortgesetzt werden. Was aber diese nächste Ausstellung an Material noch Neues bringen kann, ist vorläufig eine unbeantwortete Frage. Denn Entwicklung und Fortschritt kann es ja in dieser Kunst nicht geben 7 das widerspräche ihrem Wesen,