Niedrigkeit und auch ein Zug ins Lächerliche gehören. Wieder erweist sich der Künstler als Mensch. der nicht von einer scheinheiligen Moral her urteilt, wiewohl ihm das Abgründige des Geschehens bewußt ist. Hrdlickas bisher größter Wurf aber ist der drei- teilige Zyklus ..Zur Kunsttheorie des 20. Jahr- hunderts". womit dieser menschlich und sozial- kritisch höchst engagierte KünstlerdieSummeseiner Auffassungen vor Augen stellt. Er beschert dabei Werke von einer Meisterschaft. die man getrost der größten Leistungen in der Geschichte der graphischen Kunst zur Seite stellen darf. Die Teile. deren jeder mehrere Blätter umfaßt. sind "Winckel- mann". ..Haarmann" und .,Roll over, Mandrian" betitelt. Das künstlerische Rafünement der Darstellung. ihr polemischer Atem, ihre Wärme. ihr schauriger Ernst, ihr Humor. ihr menschliches Mitgefühl be- deuten einen Triumph modernen Kunstschaffens. Hrdlicka hält nichts von einem ästhetischen Reich. das neben oder über der wirklichen Welt steht. Winckelmann, der Theoretiker des deutschen Klassizismus. schien ihm von allem Anfang an ge- rade dadurch verdächtig, daß er eine Enklave der edlen Einfalt und stillen Größe als Lot und Gegen- bild zu einer ganz anders gearteten Wirklichkeit glaubte begründen zu können. Was der berühmte Mann tat. mußte scheitern, zur Perpetuirung der Misere beitragen. Die Wirk- lichkeit ist ernst und blutig. und die Kunst. Hrd- lickas Kunst. will dafür Zeuge sein. Der Massen- mörder Haarmann aus dem Deutschland der frühen zwanziger Jahre e Dieb, Polizeispitzel und dem äußerem Anschein nach Biedermann - war nur möglich in einer so und nicht anders gearteten Welt. Mit einer diabolischen Wendung faßt Hrdlicka Haarmann gewissermaßen als einen der großen Ästheten dieses Jahrhunderts auf. Der Massenmörder Haarmann hat die Sauber- keit in die lustmörderische Praxis eingeführt. Er entfernte die Spuren. wischte das Blut sofort weg. das er vergossen hatte. zerstückelte die Leiche. räumte die Teile weg. um das Zimmer gleich wieder ordentlich zu machen. Am Morgen konnte man nichts Verdächtiges mehr finden. Mit diesem Fanatiker der Reinlichkeit wird ein anderer, harmloserer. konfrontiert: Piet Mondrian. der von der Welt nichts übrigließ als die leere. recht- eckige Flüche, die Vertikale, die Horizontale. und glaubte. auf diese Weise das Wesen der Welt, ihre Harmonie darzustellen. Aber die Wirklich- keit rächte sich. Sie fügte es. daß Winckelmann von einem homo- sexuellen Koch. mit dem er sich eingelassen hatte. niedergemetzelt wurde. Der deutschey-tdealismus hielt der Realität nicht stand. Aus Haarmanns sauberem Zimmer wurden die gekachelten Gas- kammern der Nazi. Und das puristische Zeitalter Mondrians hat sich. kehr um die Hand. als jenes entpuppt, welches die Greuel der KZ. des Zweiten Weltkriegs und auch noch des Vietnamkriegs gebar. Christi Karfreitag, den Hrdlicka in eines der Rechtecke hineinzeichnete. mit denen er den Holländer zitiert. fand seine Fortsetzung in furcht- bar vielen Menschheitskarfreitagen. Schleifer bei Militär und in den Straflagern, Soldaten im Krieg, Massenaufmärsche. Gammler und Apostel. Strip- tease-Szenen in Soho. brennende buddhistische Mönche. Ärzte bei der Visite und Polizisten beim Verhör. Damen und Herren, die sich in sonder- barsten Liebesbeziehungen ergehen - das alles und noch mehr geben die grandiosen Blätter Hrdlickas eindrücklich wieder. in diese das Körperhatte. unmittelbar Anschau- Iiche zum Sieg führende Kunst gingen auch Elemente des Filmischen und Assoziativen. der Comicstrips und auch des ..Simultane". das die Lektüre einer Zeitung mit sich bringt. ein. Mit allem seinem phänomenalen Können. seiner Beobachtungsgabe, seinem Wissen um die Con- ditio humana. so wie sie sich gegenwärtig darbietet. hat Hrdlicka. einen Realismus, einen leidenschaft- lichen Naturalismus geschaffen. der wahr, der menschlich, von einer wilden Schönheit. ganz von heute und ganz des Künstlers eigener ist.