[Jllßllßlllllullul (U54 Öxterreizbinben Mmeuw: für angewandte Kumt Das Nebeneinander von lokalen Tendenzen, reformatorischen Bewegungen sowie Ideen- gut der Renaissance und des Humanismus ließen im deutschen Raum zu Beginn des 16. jhdts. jegliche Einheit in Verlust ge- raten und Spannungen im geistigen und künstlerischen Leben an ihre Stelle treten. Zunächst prägt das Ringen nach religiösen Maßstäben sowie nach Naturwahrheit das Werk Albrecht Dürers, wobei eigenständig Deutsches und Reformationsgeist die ita- lienischen Elemente umformen. Dürer ahnt die Reformation voraus und verbindet schon 1513 diese Ahnung mit einem neuen Menschenbild, das zum Symbol für die kämpferische Ethik der Luthetzeit wird. In seinem Stich „Ritter, Tod und Teufel" triumphiert der Mensch über die dunklen Mächte 1. Die Voraussetzung für das spätere Christusbild, jenen Christus, der nicht mehr unter der Last des Leidens zusammenbricht, sondern die Angst und Verzagtheit durch die Kraft des Glaubens an die rechtferti- gende Gnade überwindetl, ist gefunden. Während Dürer schon vor Luthers Auf- treten dessen Ideen konkret zu veranschau- lichen wußte - es gibt dafür eine Reihe von Zeichnungen, Holzschnitten und Tafelbil- dern als Beweis H und schließlich das, was jener spricht und schreibt, dessen geistige Klarheit in bildliche Darstellung umsetzt und gleichzeitig neben ihm verbreitet, in rein geistiger Verwandtschaft das An- liegen der Reformation in seine Ikono- graphie aufnimmt, so stellt Lukas Cranach sein Werk zu einem großen Teil in den tat- sächlichen Dienst des Reformatots. Luther selbst scheint keinerlei kritisch- ästhetische Stellungnahme zu den Werken der bildenden Kunst gewonnen zu haben, es interessierte ihn lediglich der Inhalt der Kunstwerke A eine Haltung die durchaus zeitgemäß erscheint, etwa jener Kaiser Maxi- milians I. vergleichbar, der namhafteste Künstler an seinem Hof versammelte, um sie mit streng programmatischen Verschrei- bungen zu zwingen, seiner und seines Hauses Repräsentation zu dienen. Als Refotmator3 verhält sich Luther dct die Bilder „Spiegel vergangener Geschichte und Sachen"5 sind. So bedient er sich der Möglichkeiten der bildenden Kunst und stellt diese endlich in den Dienst seiner Sache, be- strebt, daß die von ihm gelenkten Werke durch klare Bildideen ohne jegliche mystisch- symbolische Verschwommenheit beherrscht werden, daß das ikonographische Programm durchaus der neuen, gereinigten Lehre ent- spricht. Architektur und Plastik scheiden in dieser vom Reformator selbst gelenkten Kunstrichtung als programmatisch nicht brauchbar aus, in der Tafelmalerei blieb es bei einigen wenigen Werken, da ja jeder Altar nur einem relativ kleinen Kreis der gesamtdeutschen Bevölkerung zugänglich war. Am ehesten kam der Schnelligkeit, mit der die Reformation in Wort und Schrift arbeitete, die Druckgraphik nach, sie konnte auch weiteste Verbreitung erfahren - und entsprach damit voll und ganz dem Konzept Luthers. In unmittelbarer Verbindung aber mit Druckgraphik und Buchdruck steht der Bucheinband, der nun, in Anbetracht der durch die Reformation bedingten-ungeheu- ren Masse von Bindeauftragen, in Deutsch- land nicht jener großartigen Entwicklung der ornamentalen Gestaltung mit Einzelstem- peln und Handvergoldung folgen konnte, wie etwa der italienische oder französische Renaissanceeinband, sondern am besten unter Beibehaltung der alten Techniken - der Verwendung von Rollen und Platten 6, die leicht und rasch zu gebrauchen sind - den enormen Aufträgen nachkommen konnte. Allerdings sind eben diese Rollen und Plat- ten von einem völlig neuen Programm be- herrscht, einem Programm, das die gesamte kulturelle und künstlerische Umschichtung jener Zeit spiegelt und erahnen läßt 7. Eines der maßgeblichen Merkmale dieser neuen Welt, die zu Beginn des 16. Jhdts. auf- gebaut wurde, aber ist der Individualismus, es ist die christliche Idec von der Bestimmung des Menschen zur vollendeten Persönlich- keit durch den Aufschwung zu Gott. Dürer leitet die große Zeit ein, die Menschheits- typen, die er schildert, sind Geistesindivi- dualitäten, und keinem anderen wie ihm war zu dieser Zeit ein so starkes, die ganze Persönlichkeit erfüllendes Verlangen nach letzter Wahrheit in allen Dingen des Lebens liche Maler der Wittenberger Reformation aber war Lukas Cranach. Dürer hätte sich wohl niemals Luthers programmatischen Kunstvorschriften gebeugt, cr wollte selbst prüfen und gestalten. Cranach hingegen, den polemischen Bedürfnissen der Refor- mation durchaus aufgeschlossen, verhalf mit Zeichnungen und Schnitten der Lehre Luthers zum Durchbruch. Daneben ver- suchte er, Wort und Sakrament der refor- mierten Kirche in Altarwcrken zu veran- schaulichen, und porträtierte schließlich die führenden Männer der Reformation. Er arbeitete nicht im idealen Sinne wie Dürer für die Reformation, sondern im realen, enger historischen. Konzentration im Reli- giösen, Hinwendung auf das Wesentliche ist die allgemeine Grundlage des Reforma- tionsstiles. Fand Dürer hieraus einen neuen Menschen- und Christustyp, so führte Cranach gewisse biblische Szenen neu in die Malerei eit19, verwendete protestantisch- clogmatische Allegorien, um die wesent- lichen Punkte von Luthers Lehre, nämlich Sünde und Gnade, zu veranschaulichen. Die sichtbare Gnade aber ist Christus, durch Betrachten seines Leidens soll der Glaube an die Gnade verstärkt werden. Kreuzigung und Auferstehung rücken in das Zentrum protestantischer Kunst. Christus als Über- winder des Todes und der Sünde wird zur Vergegenwärtigung von Gnade und Le- ben 10, die eigentliche Heilsgeschichte, Dar- stellungen von Adam und Eva bis zur Hirn- melfahrt Christi und dem jüngsten Gericht zum Thema bildlicher Gestaltungen. Dazu kommt ein für religiös krisenhafte Zeiten und Veränderungen charakteristisches, bei Luther und den Reformatoren voll ausge- prägtes, antithetisches Denkenll. So hat Luther selbst Gehalt und Inhalt der Illu- strationen zur Erstausgabe seiner Bibel Ä aus der Werkstatt Lukas Cranachs 12 7 be- stimmt, Melanchthon erwähnt in einem Brief an seinen Hochschulkollegen, den Philologen johann Stigel, daß er bisweilen seine eigenen, unbeholfenen Entwürfe zu heilsgeschichtlichen Bildern Cranach zu geben pflege 13. Aus einer solchen Zeichnung Melanchthons sowie einer Besprechung mit dem Freunde Luther dürfte auch in der Zeit um 1530 die für die reformatorische Ikonographie charakteristischeste und we- ANMERKUNGEN 1-9 (Ende 9-13 S. 24) l Der Ritter wird auch als "Rcformadousrirwr" bezeichnet. zumal man Franz von Sickingen in dem Keiler erkennen wollte. Vgl. Thausing Mnritz, Dürer. Geschichte seines Lebens, 2. Ami. Leipzig 1s84. S. 230. 1 Buchhulz Friedrich. Protestantismus und Kunst im 16. 1mm, Leigzig 192a. s. 29 r. ß Vgl. Buc holz, II. a. 0., s. 1 n". 4 Dr. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883 n. (im folgcndcn 1mm w. A.), Bd. 10. Tl. 3. S. 21 R1; Bd. I6. S. 440; Bd. 18, S. 64 R". s W. A" Bd. 2B. S. 677 H". Zu dicscm Wandel in Lulhrrs Auffassung komm! es 1529. dem Erschcinungsjahr des Katldlismus. der von Crannch iilusrrirrt wurde. 22 ß LOLlbiCt Hans, Dn Büthßinbind VOII Stintn Aiiiaisgsri bis zum Ende des 1x. jhdLm, Leipzig 192a, s. 197 tf. 1 vgl. Richard Ernst i Grüße Kiirisr aus Österreichs Klö- SlCrn, Aiissrriliirigs-Kdi. Wich 1950, s. a7, dCSStn 11k! ge- geben: Dtßniiiüh der MlgCWilndlCh kiirisr, daß sie nimÜCh iiri KllnStgCWCIbC alßChulIliCh die KllIlSl ihrer Zzit spicglc, gcmdc im dCulSChCn Buthtirlbind des 16. Jiidrs. IIHBIhÖFIC Bcüäligblng erfährt. WIEKZUIEI Wilhüllll, Dürer iirid sßinc ZCil, Königsberg 1942, s. 122 und s. 223. Ab 1529 wird das Thema dCr KindCISCgnung irri Kampf ävgcn dic hßfinlißhtüdl Gefühl der Wilfdbfläufcl einge- ühn, Sowohl dieses wie 311d] jdriss der llltbfbdltiin SIMS lllllßf Angabe der Evangeliensicllc. Beide Thtmen aber dienen zur Vclbildlichung der Gnidtnidßologit der (FDIISCIZIIDg der Anm. bis 1a s. 24) BILDTEXTE 1-3, 15 1 Kreuzigung, Planenszempel mit Manogmmn RC, 83 x47 mm Vorderseite des Einbandcs o. M., Nr. A 1 a2. Haebler, 13a. 2, s. 310 2 Anbetung, Planenstcmpul mit Monogtamm HIS, 7a x49 mm. Suddeutscher Meister Vorderseite des Einbandcs O. M., Nr. A II 20 Hacblcr. Bd. 1, S. 206 a Taufe, Plattcnstcmpcl mit Monogmmm 1115,78 x 49 mm. Süddeutscher Meister, Rückseite des Einbundes O. M., Nr. A II 20. Haebler, Bd. 1. S. 206 15 Mmin Luther. Plauensrempel m. c. B. (Gregor ßrrunrza). a2 x 43 mm Rückseite des Einbaudcs O. M.. Nr. A l 62 Hacbler, Bd. 2, S. 302