Ruediger Engerlh EIN MANIERIST DES 20. JAHRHUNDERTS - ZU DEN BILDERN VON MICHAEL COUDENHOVE-KALERGI Ein gespenstischer Fischleib. von glitzernden Schuppen überzogen, wie ihn die niederländischen Manieristen liebten, leuchtet auf der Leinwand. Sieht man genauer hin. so erkennt man, daß die Schuppen Palazzi. Kirchen und Brücken. Campi und Kanöle sind. Die Karte von Venedig ist dem Fischleib eingeschrieben. Die Königin der Meere wurde zum Kind des Meeres. Kühl und glänzend liegt sie vor uns da. geöffnet und ausgeweidet, dem Messer der Köchin preisgegeben wie der Fisch auf dem Küchentisch. Der Gedanke ist eines Arcim- boldo würdig. Der Hofmaler Kaiser Rudolfs ll. ließ allerlei Meeresgetier in Kopf und Hals eines fratzenhatten Mannes herumkriechen. Michael Coudenhove-Kalergi lößt die Stadt im Fisch ein mystisches Leben führen. Die Form des Lebendigen umschließt eine vegetative. parasitische Existenz, die Stadt im Fisch ist dem Wurm in der Muschel nahe verwandt. Der wuchernde Reichtum der Formen. Bezüge und Allegorien ist ein wesentlicher Bestandteil in der Malerei des heute dreißigjährigen Sohnes der Stadt Frag. Es ist. als sollte in seinen Bildern die Kunst- und Raritütenkammer des kaiserlichen Trüumers aufdem Hradschin, die von den eigenen Neffen und den Landsknechten der Königin von Schweden in alle Winde zerstreut wurde. noch einmal erstehen. Die geheimnisvollen Kräfte der Natur, magische Kuren und kdbbalistische For- meln. alchimistische und astrologische Erfüllungen. wie sie der kranke Kaiser van Kepler und Brahe erhoffte und niemals erhielt. scheinen in den Bildern von Coudenhove ihre Formung zu er- fahren. Der junge Maler hat einen wachen Sinn für die symboltrüchtige Form. So wie sein Fischleib das Bergende und Schützende schlechthin ver- körpert, so umgeben allenthalben auf seinen Bildern transparente Hüllen ein reiches Vokabular zerbröckelnder und sich auflösender Formen. Das Vergehende und Vergängliche ist das eigent- liche Element des Malers. lmmer wieder begegnen wir auf seinen Bildern den verschiedenen Stadien schillernder Fäulnis. Stolze Wappenaare haben ihre Federn verloren. als hätten Motten und Mäuse ihnen zugesetzt. Dome und Paläste scheinen von innen her ausgehöhlt. zermorscht und zerfressen von heimlich nagenden Termiten. Sie sind vom Einsturz bedroht, kümmerliche späte Zeugen einer einst festfundierten Macht. Alles Bestehende. Ge- satzte und Gesicherte ist in Frage gestellt. Tradi- tionen und Erinnerungen sind auf den Grund des Bewußtseins gesunken. von wo sie nun als Träume und Visionen in das Bildgeschehen eindringen. Diese Traditionen und Erinnerungen sind freilich gefährliche Mächte. mit denen sich der Maler immer von neuem auseinandersetzen muß. deren Ansturm er immer wieder bestehen muß. Die Stüdtebilder von Michael Coudenhove-Kalergi haben einen eigenartigen Reiz. Sie wollen nicht äußere Ähnlichkeit vermitteln. sondern innere Wirklichkeit. Sie bewahren nicht den Aspekt, sondern das Wesen der dargestellten Stadt. Ge- bäude und Architekturen gewinnen ein wunder- bares Eigenleben. Sie sprießen wie die Blumen. sie verfaulen wie die Menschen. sie haben Schick- sale wie die Völker und enden in Chaos und Ver- zweiflung wie die gesamte Schöpfung. Couden- hoves Städte sind ganz im Sinne seines Prager Landsmannes Rilke "Verlorene und Aufgelöste". Ob er nun den feinen Verüstelungen der Gotik von Maria am Gestade nachspürt oder sich an den barocken Schwung von Palästen auf der Prager Kleinseite verliert, ob er Krakau schildert oder das von Krieg und Aufstand gezeichnete Warschau.