kann. Er verurteilt die rationalen, recht- eckigen Baublöcke der Ringstraßenver- bauung und plädiert für winkelige, „male- rische" Aufteilung der Gründe. Die seit dem Klassizismus gepHegten großen Hof- anlagen verschwinden nun, und die Bauten werden zu kompakten Komplexen, wofür die Grundspekulation der Gründerzeit nicht die ausschließliche Ursache sein kann. Die einheitliche Baumasse verliert nun den kristallinischen Charakter und bekommt wieder etwas Amorphes, Knetbares. Die Fäden, die sich zum romantischen Historis- mus zurückziehen, sind zahlreicher als die Verbindung zum strengen Historismus. Die Wände werden jetzt mit weich aus- schwingenden Erkern und Balkonen oder vertieften Nischen plastisch modelliert, so daß eine einheitlich im Späthistorismus gestaltete Straßenflucht eine wellig bewegte Oberfläche erhält. Die Kuppel, einstens dem Sakralbau, später fürstlichen Palästen vorbehalten, nach und nach immer mehr profaniert, wird nun zum Zierstück des bürgerlichen Zinshauses 7 muß aber nicht nur als soziologisches Phänomen, sondern auch als künstlerisches Anliegen der Epoche gewürdigt werden. Aufschlußreich für das Kunstwollen ist der Kirchenbau. Aus ikono- graphischen Gründen bleibt man bei mittel- alterlichen Vorbildern. Während jedoch sonst die Repetition der Stile auffällig chronologisch anmutet, so daß man an eine Wiederholung des Gesamtablaufes denken könnte, erweist der Späthistorismus diese Beobachtung als problematisch. In ana- chronistischer Weise wird die Neugotik von der Neuromanik abgelöst, ein Wandel, der sich schon in Aussprüchen des alten Fried- rich von Schmidt abzeichnet. Der Grund kann nur im rein künstlerischen Bereiche liegen. An Stelle der aufgegliederten, struktiv durchgestalteten gotischen Form findet man im romanischen Mauerbau eine bessere Möglichkeit, dem eigenen Kunst- wollen Ausdruck zu verleihen. Auch wird jetzt wieder der Hausteinbau fast aus- schließlich bevorzugr, da er eine einheitliche Plastizität der Oberfläche besser gewähr- leistet als der Backstein. Außerhalb der Sakralarchitektur holt man sich Anregungen bei Stilen mit besonders kleinteiliger Orna- mentik. So greift Friedrich von Schmidt beim Erweiterungsbau der Oesterreichi- sehen Nationalbank 1873 erstmals für Wien Motive der deutschen Renaissance auf und leitet damit die Richtung der „altdeutschen Kunst" ein. Sein Schüler Wielemans wendet diese Anregungen beim justizpalast im Ringsttaßenbereich an. Stärker als bei den italienischen Vorbildern konnte bei den altdeutschen, niederländischen Motiven der Dekor in kleinteiliger und unregelmäßiger Weise über die Fassade verteilt werden. Der betonte Horizontalismus wird durch ein diffuses Überspinnen der Wand mit Orna- ment ersetzt. Ein ähnlicher Effekt ließ sich auch mit den Barockformen erzielen, nun nicht mehr mit jenen nach römischem Vor- bild, sondern mit solchen österreichischer Provenienz. Fischer von Erlach und Lucas von Hildebrandt standen bald bei vielen 13