sich die Gegensatzpaare, die wohlgeordneten Möglichkeiten. Weil nun der Mensch einmal danach strebt, das Unsichtbare sichtbar zu machen, der arabische Mensch aber in seinem Denken „Linie" hat und nach der Ordnung der Linien strebtlü, das Denken aber in Ver- bindung mit der Umwelt künstlerisches Schaf- fen beeinflußt, darum bringt auch der Künstler die von ihm erdachten Linien 7 ob sie nun gerade, krumm oder gebrochen sind 11 7 in seinen Ornamenten sichtbar zum Ausdruck. Ohne Ausnahme, ohne Kompromiß, wie es ihm seine Welt vorschreibt! Wenn uns der Rahmen eng gezogen erscheint, weil Skulptur, nuancierende Malerei und Perspektive nach europäischer Auffassung ver- schmäht werden, so werden dafür der Linie alle Möglichkeiten geboten, hervorzutreten und sich zu entfalten: in Windungen, Bie- gungen und Kurven, in denen Färis den Rhythmus tänzerischer Bewegungen erahnte. Noch klarer kommt sie in den glatten und abgebrochenen Führungen der geometrischen Muster zum Vorschein. Selbst das heilige Element „Schrift" (rajfara heißt zugleich „liniieren" und „schreiben") ist nichts anderes als gebrochene Linie, so lehrte mich jedenfalls der im zweiten Weltkrieg verschollene H. Balcz die Züge der arabischen Schrift verstehen. Was für erhabencs Gedankengut liegt also in den Ornamenten verborgen! Welchen Gehalt an innerem Erleben konnten die Künstler mitteilen, indem sie „nur" Linien zeichneten - und doch verstanden wurden! Darum be- geisterten sie sich auch immer wieder für ihr Thema, ein Thema, das Gedankenspielereien reichlich Raum und zugleich die Möglichkeit bot, das, was mit Notwendigkeit zu sagen war, mit Anmut zu sagen. Der Erlebnisgehalt und die Kraft der islami- schen Kunst wird vom Koran bestimmt. Dies erklärt, warum Nachahmungen, welche man im vorigen Jahrhundert in Europa erzeugte, im allgemeinen wesenlos wirken und innerlich leer geblieben sind: es mangelt ihnen natur- gemäß die Linie im Großen, die das arabisch- muslimische Denken bestimmt und die im Koran enthalten ist. Aus dem Koran e oder mindestens den Hariil (das sind Aussprüche, die auf den Propheten zurückgeführt und die von al-Buhäri redigiert und als beglaubigt befunden wurden), wurden die Gesetzes- normen und die Anweisungen abgeleitet, welche für den Künstler bindend waren. Und weil sich das Kunsthandwerk gerne in der Kette der Generationen vom Vater auf den Sohn vererbte, so wurde einerseits die künst- lerische Entwicklung durch den Verlauf der Zeit hindurch gewahrt, anderseits wurdi innerhalb der nun einmal festlicgenden Nor men das äußerst Mögliche an schöpferische Variabilität aus den Themen herausgeholt obwohl das Grundmotiv „Linie" dem a1 Plastiken des menschlichen Körpers gewöhn tcn und verwöhnten Betrachter aus Europa vielleicht allzu einfach und unkomplizier erscheint. Die Kompliziertheit ist aber - be allem Streben, aus dem Einfachen abzuleiter und dabei doch nie den Faden zu verlieren - in der Ausführung zu suchen! Das ewig wechselnde Spiel der künstlichen Blätter is durchaus gewollt, die Farbgebung, obwoh scharf begrenzt und Übergänge scheuend unerhört reizvoll, sie klingt in harmonischer Akkorden zusammen, ob es sich nun un Gegensatzpaare an gold- und silbertauschierter Arbeiten oder um die Erzeugnisse der Tep- pichknüpfer handelt. Lassen wir Färis Selbsi sagen, was er an der „Bunten", der vor ihm rabf so genannten Arabeske, erahnte „. . . von Mal zu Mal siehst du die ,Bunte' sich spannen und drehen .. . Visionär dem Unendlichen zugeneigt Findet sie keine Gren- zen, unermüdlich wirkt das Vergangene weiter. Ach, daß sie doch erreichte, was ihr so nahe istl Doch ihr Zustand ist der Rhythmus fikä"), ewig vibrierend taumelt sie dahin, der Geduld, ja, der Enthaltsamkeit unterworfen.