Spontane festzuhalten, die Idee zur plastischen Gestaltung. Gerade dies gibt den Skizzen etwas nervös Flatterndes, das in der Kontur der Skulpturen in gleicher Weise motiviert wird. Dies führt auf die Gattung der Tanz-Plastik als Pendant zur Tanz-Malerei und zum Tanz-Plakat, wenn man von der Musik, die dazu komponiert wurde, absieht. Es war niemand anderer als Sergej de Diaghilev (1872-1929), der Gründer, Mäzen und Leiter der weltberühmten „Ballets Russes", der im Mai 1909 von Paris aus nicht nur die ma- teriellen, sondern auch die geistigen Kräfte Europas zu einem Wettstreit aufrief, zu einer, wie er sich ausdrückte: „exaltation harmo- nieuse de touts les arts". Von der Tanz- Plastik, einem wesentlichen Teil der Art Nouveau-Kunst, können wir hier nur die wichtigsten Namen nennen. Zu dieser Ka- tegorie gehören zwei im Jahre 1901 ent- standene Bronze-Tischlampen von unterschied- licher Größe. Sie sind für elektrisches Licht eingerichtet (Exemplare im Wiener und Mün- chener Privatbesitz, im Hessischen Landes- museum Darmstadt, in den Staatlichen Kunst- sammlungen in Kassel und im Musee des Arts Decoratifs in Paris). Wie von lodernden Flammen erfaßt, erscheint die von Pierre Roche (1855-1922) modellierte Gewandung der Tänzerin Lo'ie Fuller (Abb. 26), eine im jahre 1901 entstandene Bronzestatuette (Paris, Musee des Arts Decoratifs; H. 55 cm). Sie und die eben genannten Btonzelampen, die von dem Bildhauer Raoul Larche (1860-1912) Z2 stam- men und der gleichen Zeit angehören, stellen Loie Fuller in der so oft von ihr getanzten Rolle der Salome dar (Abb. 27, 28). Bereits im November 1895 wurde in der Comedie Parisienne ein von Gabriel Picrne geschaffenes „Ballett de Salome" zu einem Bühnenbild von Armand Silvestre und Henry Meltzer auf- geführt, in dem Loie Fuller die Hauptrolle hatte. Für den Besuch dieses Gastspiels warb ein von dem Schüler j. Cherets Georges de Feure (1868-1928) geschaffenes und stilistisch dem Erstgenannten sehr nahestchendes Plakat „La Loie Fuller dans Salome" (Abb. 24), Farb- lithographie, 124X89 cm, (Ex. in Bremen, Kunsthalle; Vermächtnis Dr. H. H. Meierjun.). Dann ist in diesem Zusammenhang ein heute nicht mehr bekanntes Salome-Bühnenwerk erwähnenswert, bei dem Graf Robert d'Hu- miere den Text schrieb und Florence Schrnitt die Musik setzte. Auch dazu trat Loie Fuller als Tänzerin auf. Sie zeigte Serpentinen- und Schlangentänze, und am Schluß verwandelte die Fuller (2 Salome) sich dann in einen Pfau, wobei zu dieser Metamorphose nicht weniger als 4500 Pfauenfedern nötig Waren Z3. Dies ist, abgesehen von der zeitgenössischen Beschreibung durch die Isadora Duncan, eine optisch so überwältigende Vorstellung, wie sie ganz und gar dem Art Nouveau-Geschmack entsprach. Salome - und das ist hier unbedingt fest- zuhalten - ist geradezu das Lieblingsthema der Zeit um 1900. Wir folgen hier wieder Hans R. Hofstätterll, der feststellte, daß man in der Salome das „GesellschaftssymboW der jahrhundertwende sah, ja, das Urbild der „fernme fatale" schlechthin. S0 verwundert es auch nicht, daß von der Akademie der Schönen Künste in Paris im Jahre 1904 das Thema als Prcisaufgabe für den großen Rom- preis gewählt wurde: „La legende de Salome prise a liinstant oü Pinstant nü la jeune prin- cesse, regoit des mains du bourreau la täte de Saint-Baptiste, qu'elle a obtenu d'Her0de, charme par scs danses." Inspiriert wurde das Thema bekanntlich vor allem von dem fran- zösisch geschriebenen Drama Oscar Wildes „Salome" (1893), im Anschluß an Flauberts Novelle „Her0dias". Wildes Drama, ein Ein- akter, wurde für die damals berühmteste europäische Schauspielerin, Sarah Bernhardt, geschrieben, Inhaberin des gleichnamigen Pariser Theaters. Ins Englische übersetzt wurde Wildes „Salome" bereits ein Jahr später (1894) von A. Douglas und anschließend von A. Beardsley illustriert und vertont von Richard Strauss (1905). Nach O. Wildes eigenen Worten waren zwei dieses Thema darstellende Bilder von Gustave Moreau, 1876 ausgeführt, für ihn von so dominanter Wir- kung, daß sie als Archetypus für seine Dich- tung angesehen werden müssen. Zur Tanz-Plastik der Zeit, um auf sie zurück- zukommen, gehören dann die Bronzestatuetten von Felix Voulot (geb. 1865) 14 ebenso wie der „Sur tout de table", der aus 15 Figuren be- steht. Sein Name ist bezeichnenderweise „Le ieu de Yecharpe". Ausgeführt ist er von Agathon Leonard. Das in Sevres-Biskuit aus- geformte Exemplar war eine der Sensationen der Pariser Weltausstellung 1900. Es erhielt 23 Julß Chäret (1836-1932), Das "Ln Loic Fuller-Plzkzl", 24 25 1893. 124 x 88 cm Georges a: Fcuru (12163-1928). "L: Loie Fullcr dans s: Cräarion nouvclle Salomö". Faxblithographit. 124x219 Cm Plakat für die Comddie parisicnne. Bremen. Kunsthalle (Vermächtnis Dr. H. n. Meier jun.) Thomas Theodor Heine (1867i1948), Loic Fullcr als Sezpentincnränzcrin. Holzschnitt. Aus: "Die Insel", 1. Jg.. s. Quaxn. 1900 ANMERKUNGEN 20- 24 w Ch. um, On sorne reeenr designs by Will H. Bradley, er Chicago, in: The Studio, Vol. IV, 1894, 166i. mit Abb. S. 163. i H. H. Hofsräner, Gcschichri: der europäischen jugendstilmzlcrci. Köln 1963. S. 133. i Winn um 1900 i Ausstellung 5.6. 30.8.1964, Nr. 193 mit FarbraCVTlI (K. Moser). 1' Rägcscharucs-J. F. Chzbrun, A. Kodin, a. a. O., Abb. S. . 33 Th. B. XXII, S. 330. i Scccsxion, Europäische Kunst um die jahrhundcrrwcnde - Ausrellung Miinchen vom 14.3. - 10. 5. 1964. Nr. 944 mit Abb. 4JIDCX. i R. H. Gucrznd, L'Arl Nouvcau en Europa prdcßdä d: la Modcm Slyle crnuje suis par Aragon, Paris 1965, Abb. nach s. 100. 7 Zu Laie Punec vgl. auch K. Smrck, ncr Tanz, Leipzig 1903: (si:) „zeigt. daß . .. hier dem schöpfcrischcn Geisr neue Wir- kungen möglich sind. In diesem Tanzc 18K sie lebendig be- wcgtes Kunsrwerk". H Hans n. Hofsrälter, Symbolismus und die Kunst der jahr- hundenwende, Köln 1965, S. 194 mir Abb. S3 und 84. Siehe auch die hier zizicrrcn Erinnerungen (523511) des Spanicrs Gomcrz Carille an die Konzeption dcr Salome Oscar Wildes Wichtig für unser Thema vor allem die hervorragende Unter- suchung von: H. Daffncr. Salomc. lhrc Gestalt in Gcschichr: und Kunst i Dichtung i Bildende Kunst i Musik, München 1912. und M. Praz. The Rornantic Agnny, New York 1956, S. 298-303. 31 Th. B. XXXIV. S. 565. Es gibt von ihm ein: Klcinbrouzc. die zwei Tänzerinnen in gcgculiuügcr Bewegung zeigt, u. a. auf einer Tischuhr im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Einige seincr werke wurde auch von der Pcrzellan-Manufaklur in Sövrcs ausgcüihn.