TRANSMUTATION Z. Klasse 4 Josef Hermann Stiegler, „Wohnen im Feuer", London- Serie 4, 1968 5 Josef Hermann Stieglor, „Kampf", London-Serie 5, 1968 40 ergibt dann eine von der Ziffernfolge bestimmte Gestalt. Hiebei mußte ein Eindeutigkeitsproblem gelöst werden, dessen Darlegung diesen Rahmen überschritte. Zu meiner Überraschung erhielt ich unter 12 Detailhildern aus den ersten 220 Dezimal- stellen von Pi mehr als die Hälfte ansprechender Graphiken. Aus informationsästhetisch leicht erklär- baren Gründen sind diesem einfachen Verfahren jedoch engere Grenzen hinsichtlich seiner ästhe- tischen Ergiebigkeit gesetzt, als der unendliche Ansatz bei oberflächlicher Einschätzung verspräche. Schon in diesem ersten Stadium der Transmutation zeichneten sich drei Gesetze ab, die auch in der Weiterentwicklung des Systems gültig blieben und zugleich den Mechanismus für ein intuitives Ge- statten offenhielten: 1 Die jeweils resultierenden Gestalten sind nach subjektiven Kriterien zu qualifizieren und dem- entsprechend zu bewahren oder zu verwerfen, 2 sie sind in extremer Weise von ihrer Winkellage im Bildfeld abhängig und deshalb nach subjektivem Ermessen zu orientieren, 3 sie neigen durchwegs dazu, mit anderen Gestal- ten gleicher systematischer Herkunft in ein ebenso evidentes wie diffiziles Spannungsverhältnis zu treten, soferne sie entsprechend orientiert und placiert werden. Die Ursache ist, daß diese Gestalten ausschließlich aus ganzzahligen Vielfachen eines ..Element- winkels" bestehen und daß die möglichen Strecken- längen ebenfalls nur ganzzahlige Vielfache einer jlementarlänge" sein können. Ein künstlerischer Fortschritt war nur von der stufenweisen Entwick- lung von Gestaltstrukturen höherer individueller Qualität aus den Elementarformen zu erwarten. Ich ging deshalb dazu über, mit echten Zufallszahlen aus mehreren Zahlensystemen parallel zu arbeiten. Neben dem bereits geschaffenen Pseudovektoren- system für das Dezimalsystem entwickelte ich auch noch Winkelumsetzer (Convertoren) fürdas Zwölfer- und Fünfzehnersystem. Ferner konstruierte ich einen eigenen Zufallsgenerator, der auf einfache Weise imstande ist. Zufallszahlen aus sämtlichen Zahlensystemen zu liefern. Nun erzeugte ich be- stimmte Zufallszahlenmengen aus allen drei Syste- men und transmutierte sie mit den für diese Systeme vorgesehenen Convertoren ("Ortho-Transmuta- tion"). Die resultierenden Gestalten („Ketten") orientierte und konstellierte ich nach subjektivem ästhetischem Ermessen. Beispiele solcher Ortho- Transmutationen sind die Graphiken „Tanzstudie" (Besitz Albertina), ,.Komposition 1" und "Kom- position 2". Eine Erweiterung der Möglichkeiten gelang durch die Findung der „Phasentransmutation" und beson- ders durch deren Verbindung mit dem „Trigon- kettenphasenverfahren". Transmutiert man Zahlen nicht nur mit dem für das System bestimmten Convertor, sondern auch mit den Convertoren der fremden Zahlensysteme, so erhält man 3 "Ketten", die in einer phasenartigen Gestaltbeziehung stehen. Man kann sie sowohl frei konstellieren als auch miteinander verknüpfen. Bei der Graphik „Wohnen im Feuer" wurde von beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Die Graphik ,Kampf" besteht aus zwei Trigonphasen- ketten aus Zufallszahlen des Dezimal- und des Duodezimalsystems. Auf einem andern Weg, den ich „Matrizentransmutation" nenne, erhält man Ge- stalten, deren Wesen im stufenweisen Umbau einer Grundfigur liegt. Verknüpfungen ergeben Kon- figurationen höherer Ordnungsstufe (Graphiken "Triptychon" und nSchmetterling"). Ich habe nur jenen Graphiken semantische Titel gegeben, die nicht im Gegensatz zu gegenständlich" abstrakt sind, sondern im Sinne der Sublimierung eines Gegenstandes bis zu dessen spiritueller Essenz, wie dies zum Beispiel beim „Negerboxer" von Matisse der Fall ist'. Die ästhetischen Werturteile über den Konstruk- tivismus und besonders über seine gegenwärtige informationsästhetische Ausprägung sollten - im Gegensatz zu aktuellen Tendenzen a nicht nach dem programmatischen System orientiert werden, das einem Bilde zugrunde liegt. interessante "Mach- art" allein rechtfertigt nicht belanglose Resultate. Maßstab bleibt der Grad der Vollkommenheit des Zusammenwirkens von Ratio und Unbewußtem.