überlieferten Begebenheit. sondern sie ist rein aus der theologischen Spekulation gewonnen. Ihre Anfänge, die Wohl im 4. und 5. Jahr- hundert liegcn müssen, gehen auf das früh- christliche, auf kaiserliche Ikonographie auf- gebaute Adorationsbild zurück und haben repräsentativen Charakter Z3. Bogyay 14 will das Thema aus dem Kult der Gottesmutter und Johannes des Täufcrs spätestens aus dem 6. Jahrhundert ableiten. Wcitzmann und So- tiriou 25 finden eine Vorform des Deesisbildes in dem Triumphbogenmosaik des Katharinen- klostcrs auf dem Sinai, in dem Medaillonköpfe Mariens und des Täufers neben dem apokalyp- tischen Lamm abgebildet sind. Hiebei handelt es sich um eine reine Repräsentation. Die erste literarische Quelle dieses Bildes ist wohl in der Legendenbeschreibung der alexandrini- nischen Heiligen Cyrus und Johannes bei Sophronius von Damaskus (610--623) zu finden 16. Dadurch wäre die rein geistige, über- legungsmäßige Bildentstehung belegt. Das Deesisbild tritt in gewisser Weise an die Stelle des früheren Bildes der „traditio legis", das Wie- derum auf Vorbilder der Kaiserzeit zurück- 6 geht. Dieses Thema, das zu den frühesten Christusdarstellungen der Spätantike gehört, stellt auch keine Illustration einer überlieferten Szene dar, sondern ist der bildliche Nieder- schlag einer Überlegung, in dem der gleichsam „kaiserliche" Akt der Übergabe des Gesetzes an Petrus und Paulus gemeint ist. Diese Szene tritt im Mittelalter nur in Resten und Andeu- tungen auf. Ihr eigentlicher Inhalt aber ist die Vermittlung der Gnade. Dieser Vorgang wird in spätantik-kaiserzeitlieher Sicht, im gesetz- gebenden Gnadenakt dargestellt. Später aber wird der Vorgang vergeistigt, von der irdisch gebundenen Vorstellung des Kaisers losgelöst und in die Sphäre des Jüngsten Gerichts über- tragen. Die einzig „Gerechten": die unbe- fleckte Gottcsmutter und der engelsgleiche Vorläufer werden neben Christus gestellt, um die Gnade für die Welt zu erflehen. Die theo- logischen Verschiebungen von der ersten Stufe religiöser Spekulation der befreiten Kirche des 4. Jahrhunderts zur allesbeherrschenden Kirche des 6. Jahrhunderts werden in diesem Bild- übergang deutlich. Deshalb wird das Bild der „Deesis" vorerst auch keinem Bilderzyklus eingeordnet und es erhält keinen festen Platz im Kirchenraum. Wir Enden es in Verbindung mit dem Gerichtsbild in Apsiden kleinerer Kirchen, als Tympanonbild über dem Eingang wie auch in Nebenräumen ohne besonderen Zusammenhang, zum Beispiel auf der Süd- galerie der I-lagia Sophia Z7. Erst in k0mneni- scher Zeit scheint das Bild seinen hervor- ragenden Platz als Ikone in der Mitte der Ikonostasis erhalten zu haben. Neben dem Pantokratorbild wird in der Deesis die Erscheinung und Funktion Christi in der Welt am deutlichsten ausgedrückt. Geht es in dem einen um die unumschränkte Herrschaft Christi über das All, so in diesem um die völlig unabhängige Spendung der Gnade. In beiden aber um den Ausdruck der reinen Göttlichkeit. Die beiden Bilder sind losgelöst vom Szenisch-Illustrativen, rein spekulativ und doch körperlich faßbare Gestalt. Deswegen drücken sie „H0 On", das Sein, in begriifs- bildender Weise für die Ikonenmalerie aus, da in diesen beiden Bildtypen der unsichtbare Gott in Christus in reinster Weise sichtbar und faßbar wird.