GEFÄHRTEN LAR KOKOSCHKA WEISSE TIERTÖTER I am izze weg-ß Nltcuunuor vutiwml GENOSSENSCHAFTSVERLAG . 1920 - LEIPZIG lmung Oskar Kokoschkas (OK) an Adolf Loos. "dem ihrlen meiner Jugend". (ln dem Buch Die Gefährten. ar Kokosthku i der weiße Tiertoter. (ienossensrhafrs- all, Wien-Leipzig 1920) ar Kokoschka vor Seinem Haus in Villeneuve bei Mon- x l Schweiz, im Oktober 1969 gesprochen" hat er, und voll Verzweiflung über den Zusammenbruch seines Vaterlandes, den er voraussah, fuhr er doch manchmal nach Paris, er mußte ins Moulin Rouge gehen. In Paris habe ich ihn auch viele Jahre später zum letztenmal wiedergesehen. Sein getreuer Tisch- ler, der ihm jahrelang die Sessel für die Woh- nungen, die Loos einrichtete, schnitzte, weil Loos keine Massenartikel duldetc, hat den bereits Kranken nach Paris gebracht in Be- gleitung der Frau, die jahrelang Loos, Woh- nung geputzt hat. Oifenbar war niemand anderer bereit, es zu tun. Ich habe Loos in einem zerwühlten Bett gefunden, es war bereits um Mittag. Hier lag er, der Wann, der am Ende seines Lebens gestörten Geistes war. Nach Paris wollte er, der so viele Jahre in Österreich verzweifelt nach einem Ausweg gesucht hatte. Ich fühlte mich sehr bedrückt und wollte bald gehen, nachdem wir einige Zeit von diesem und jenem geredet haben. Aber mit seiner unwiderstehlichen Kraft, trotz seiner Krankheit, hielt er mich zurück, erhob sich in seinem zerrissenen Nachtanzug aus dem Bett, lüftete die schmutzige Decke und zog darunter zu meinem Ekel einen von Tomatensaft triefenden Riesenhummer her- vor. Homard a l'Americaine war sein Lieb- lingsgerieht. Der einen abgerissenen Schere entnahm er als ein geübter Gourmand das Fleisch und stopfte es rnir in den Mund. Wie ein Geistesblitz aus einer gesunden Zeit belehrte er mich: „Die Österreicher haben den Krieg verloren, weil sie statt der Früchte des Meeres nur Knödel, Strudel und Torten essen." Als er im ersten Weltkrieg als Reserveoffizier eingezogen war, wäre er bald vor ein Kriegs- gericht gekommen, weil er in einer von Gold- mann und Salatsch extra für ihn erfundenen Uniform eingerückt war, einen offenen statt des üblichen steifen Uniformkragcns, Wickel- gamaschen statt der Röhrenstiefel. Wegen der Stiefel haben die Deutschen, trotz ihrer Stra- tegie, den Kricg verloren, die Armee bekam Schweißfüße. Loos hatte seine eigenen An- sichten. als Eines Tages war er bei meiner Mutter er- schienen: „Ihr Sohn muß aus Wien heraus, ich werde ihn in die Schweiz bringen." Seit 1905 war Bessie Loos in einem Sanatorium in Lcysin über dem Genfer See. Man hatte für die Tuberkulosen die Sonnenstrahlen als Kur entdeckt, und Sanatorien waren nahe den Gletschern gebaut worden, was auch den Dörfern Beschäftigung und neue Erwerbs- quellen sicherte. Bessie Loos hatte zu der Gruppe der Barrison Sisters gehört, den ersten Cake-Walkifänzerinnen, die sich in Wien im Kabarett Tabarin produzierten und dort von Altenbcrg, Karl Kraus und Loos bewundert worden sind. Adolf Loos hatte sich sofort der schönen Engländerin angenommen, die bereits lungenkrank war und zugrunde gegangen xiväre, hätte sie nicht die Bühnenlaufbahn aufgegeben. Er heiratete sie und brachte sie sofort in den Schweizer Kurort, den er kannte, weil er in der Gegend für einen Wiener Arzt eine Villa baute. Loos hatte mit meiner Mutter verhandelt, die allerhand Befürchtungen vor dieser meiner ersten Reise ins Ausland vorbrachte. Natürlich mußtc sie einwilligen und hat mir nur noch in mein Taschentuch eine Goldmünze ein- gewickelt als Notpfennig, die sie jahrelang im XVäscheschrank versteckt gehalten hat. Loos besaß einige alte kostbare orientalische Tep- piche, die er auf die Reise mitnahm, um sie in der Schweiz zu verkaufen. Und weil die Wiener Waggons schlecht im Winter geheizt waren, deckten wir uns beide mit den Tep- pichen zu. Mit dem Erlös der Teppiche konnte die bereits fällige Sanatoriumsrechnung für Bessie bezahlt und auch für mich noch ein Mansardenzimmer mit Halbpension in der Klinik ausgehandelt werden. Loos konnte einen großen Charme entwickeln und andere zu Guttaten überzeugen, solange er nichts für sich erbat. Und er schlug auch vor, die Patien- ten damit zu zerstreuen, daß sie sich von mir porträtieren ließen. Doch mein erstes Bild wurde eine Landschaft. Loos hatte nicht ver- gessen, einen Iiarbenkasten mit einzupacken. Er selber mußte sich, nachdem er seine An- ordnungen getrol-fen hatte, verabschieden und legte mich Bessie ans Herz. Ich war ihr natürlich vom Herzen sofort zu- getan. Sie hatte den zartesten Teint, wie alle Mädchen in Lancaster, die tagsüber an den Webstühlen arbeiteten und nie die Sonne sahen. Sie hatte ein fröhliches Kinderlachen, auch wenn sie Blut spuckte in diese berüchtigte blaue Glasflasche, die alle Patienten einer tuberkulösen Heilanstalt wie eine Reliquie mit sich herumtragen. Ich hatte auf sie aufpassen sollen, das hatte Loos mir wieder ans Herz gelegt, aber wie kann man ein so Vergnügungs- süchtiges junges Ding, das abends aus dem Fenster kroch, wenn die Ärzte schlafen gingen, um mit anderen Patienten, soweit sie lebendig genug waren, tanzen zu gehen, zurückhalten? Von meinem Mansardenzimmerfenster sah ich Loos nach, wie er im Schlitten wegfuhr. Er hat zu mir heraufgesehen, die Pferde zogen an, mein Beschützer drehte sich noch einmal um und winkte, aber der Schlitten war in einer kleinen Rauchwolke des heißen Atems der galoppierenden Pferde verschwunden. Weiß und grau in der nun unendlich weit erscheinenden Gebirgsszenerie war auch diese bald im All aufgelöst. Das war der Raum, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, der ich bis dahin in engen Stadtwohnungen viele Jahre lang hauste, von denen man den Himmel nur wie einen Spalt zwischen den rauchenden Schorn- steinen der Straßen kannte. 41 Adolf Loos hat 19Ü4 in der Nähe von Mon- treux für einen Wiener Arzt eine Villa mit einem flachen Dach gebaut. Das zeigt, wie fortschrittlich Loos schon vor siebzig Jahren baute. Das Haus ist noch so modern, als ob es heute entstanden wäre, allerdings war es aus so gutem Material errichtet, daß man heute noch nichts daran zu erneuern, zu re- parieren braucht, nicht einmal die elektrischen Kontakte. liin gleiches wird man von einem heute gebauten Haus in Zukunft schwerlich behaupten können.