Günter Passavant BALTHASAR NEUMANN ODER JOHANN LUCAS VON HILDEBRANDT?- ZUM PROBLEM DER KOLLEKTIVPLANUNG DER SCHÖNBORNKAPELLE AM WÜRZBURGER DOM In Älmrrrlung einer Arzbiqfunde: mm Cürltlmr Renner P Das Bild, das vor genau fünfundsiehzig Jahren Joseph Keller in der ersten Balthasar-Neumann- Monographiel vom Leben und Werk des be- rühmten deutschen Barockarchitekten entwerfen konnte, hat seine Gültigkeit heute weitgehend eingebüßt. Es war gekennzeichnet durch einen Nachklang der übersteigerten Genievorstellung der Romantik, vor allem aber durch das eigentümliche Verhältnis des späten neunzehn- ten Jahrhunderts zum Phänomen des Barocks, dessen Formen man studierte und kopierte, ohne sein Wesen und seinen inneren Werdegang noch zu erfassen. - Fast der gesamte Bestand an barocken Bauplänen, Ardntektur- und De- korationsentwürfen der Würzburger Universi- tätsbibliothek und der Sammlung Etkert (heute im Mainfränkischen Museum in Würzburgg), der größtenteils auch heute noch die Grundlage für jede Beschäftigung mit Neumanns Kunst bildet, war Keller damals schon bekannt. Er bezog allerdings dieses Zeichnungsrnaterial von vornherein und in seiner ganzen Vielfalt auf Neumanns künstlerische Tätigkeit und sah in ihm den Beweis für jene Souveränität, mit der der Künstler allen technischen und dekorativen Aufgaben in gleicher Weise gegenübergestanden haben soll. „Er war nicht bloß Ardmitekt, son- dern audn Maler, Bildhauer, Dekorateur und Stukkateur in einer Personß." Heute wissen wir - worauf zuerst Fritz Hirsch in seiner Arbeit über das sogenannte Skizzenbuch Neu- manns4 mit Nachdruck hingewiesen hat -, daß Neumann nicht sehr gut zeichnete, daß er gerade für das Entwerfen von Dekorationen und ornamentalen Details kein Talent besaß und sida für diese Belange der Mitarbeit an- derer Künstler bediente. Seine eigenständigen Bauten, also jene Werke, bei deren Planung andere Architekten und Dekorationskünstler nicht eingeschaltet waren, zeigen mehr oder we- niger schmudtlose Fassaden. In seinen Entwür- fen für Kircheninnenräume, etwa für die Würz- burger Hofkirche (S. E. 313; Abb. 4) oder für die Wiener Hofkapelle (Berlin, Staatl. Kunst- bibliothek Hdz. 47285), fehlt meist jede De- koration. Sie wurde gegebenenfalls von an- deren Künstlern entworfen, in Neumanns Zeich- nungen eingetragen oder auf deren Grundlage in neuen Entwürfen festgelegt. Die „Ornament- feindlichkeit" kann unter Umständen sogar