Friedrich Welz OSKAR KOKOSCHKA ZUM 85. GEBURTSTAG Es scheint mir fast vermessen, die Persönlichkeit und das geniale Werk eines der größten Künstler unseres Jahrhunderts auf wenigen Seiten zu würdi- gen. Die enge Verbundenheit, die Salzburg mehr als ein Dutzend Jahre mit dem Künstler pflegte und die Kokoschka mit dem Bild unserer Stadt im Jahre 1950, mit einer unvergeßlichen szenischen Ausstattung von Mozarts Zauberflöte bei den Solzburger Fest- spielen 1955156 und mit einer zehnjährigen Be- mühung um die Künstleriugend in seiner „Schule des Sehens" honorierte, legt uns die freudige Pflicht auf, seines hohen Geburtstages nicht nur mit aller Herzlichkeit zu gedenken, sondern auch sein Werk in einer unseren räumlichen Möglichkeiten entspre- chenden Auswahl der Öffentlichkeit und inbesandere der iungen Generation zugänglich zu machen. Oskar Kokoschka war in allen seinen Entwicklungsphasen, vor allem ober am Beginn seiner künstlerischen Laufbahn, nur von wenigen verstanden worden. Der spontane Aufbruch seines lngeniums, seine vielseitige Begabung und die weitläufige Ausstrah- lung seiner neuen Ausdrucksmittel sind immer erst rückschauend begriffen worden. Als Maler und Zeichner, als Dichter, Schriftsteller und Dramatiker hat er nicht nur Akzente gesetzt, sondern elementare, bisher unbekannte Formelemente erfunden, die ihn als wahren Revolutionär der iungen österreichischen Kunst am Ende des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts ausweisen. In den Jahren 1907-1909 hat der iunge Kokoschka in Wien über drei Dutzend Bilder gemalt, die heute zu den bedeutendsten Werken der modernen Malerei gezählt und die größtenteils in europäischen und amerikanischen Museen verwahrt werden. Das „Stilleben mit Ananas" (1907), „Der Trancespieler" (1908), „Karl Kraus" (1908), „Adolf Loas" (1909), „Stilleben mit Hammel und Hyazinthe" (1909), „Kind mit den Händen der Eltern" (1909) sind nur einzelne Beispiele für ein geradezu eruptives Aufbrechen einer großen Künstlerpotenz. Die Bedeutung Kokaschkas wird besonders deutlich im Vergleich zu dem damals in hohen Ehren stehenden Gustav Klimt, der in diesen Jahren seine symbolistischen Bilder mit reicher, dekorativer Orna- mentik in Gold und Silber und elegante Frauen- bildnisse malte. Die sublime Kunst Klimts wird von Kokoschka durch expressive Wildheit und Deforma- tion ästhetizierender Formen ersetzt. Es darf an dieser Stelle der vielverbreitete lrrtum, daß Kokoschka Schüler Klimts gewesen wäre, richtig- gestellt werden. Er hatte den damals in hohen Ehren stehenden Gustav Klimt respektiert und diesen Respekt auch durch die Widmung seines publizisti- schen Erstlingswerkes „Die Träumenden Knaben" zum Ausdruck gebracht. Audi die immer wieder- kehrende Annahme, Kokoschka wäre in seiner iungen Jahren von Egon Schiele beeinflußt gewesen ist durch die Tatsache widerlegt, daß Kokoschkc seinen Zeichnungsstil schon in den Jahren 1906-190t eindeutig geprägt hatte. Durch die Zeichnungen zi seinem Drama „Mörder Hoffnung der Frauen", dir 1908 entstanden sind, hat er erstmalig simultan: Darstellungen angewandt. Schiele hingegen fanc seine eigene Farm erst in den Jahren 1909-1910, die manches Mal eine gewisse Nähe zu Kokoschka erkennen läßt. Der Architekt Adolf Loas erkannte als erster dir große Begabung Kakoschkas. Er wurde sein Freunc und Förderer, führte ihn in den Literatenkreis urr Karl Kraus und Peter Altenberg ein und war ständig bemüht, ihm Aufträge zu verschaffen, die ihm eine freie Entfaltung seiner künstlerischen Kräfte ermögt lichten. Loas veranlaßte Kokoschka zur Lösung seine: Mitorbeiterverhältnisses an der Wiener Werkstätte in der der erklärte Feind des Ornaments eine Gefahr für den iungen Künstler zu erkennen glaubte Den Winter 1909110 verbringt Kokoschka in der Schweiz. Einen neuen Höhepunkt erreicht er dort in dem Gemälde „Dent de Midi", einer Winterland- schoft, die in einer faszinierenden Komposition des gewaltigen Bergmassivs mit den bis in die Mitte des Bildes hereinbrechenden Lichtbündeln einen unver- gleichlichen Gegensatz zu der sich im Vordergrund in horizontaler Gliederung gebauten Tallandschaft abhebt. Einen weiteren Markstein dieses Schweizer Aufenthaltes bildet das Porträt des Arztes Auguste Forel. Loas hatte den Auftrag gegen anfängliches Sträuben des Arztes durchgesetzt und Kokoschka bewies einmal mehr seine Meisterschaft einer psychoanalytischen Menschendarstellung, die zwei- fellos durch die Erkenntnisse Sigmund Freuds beein- flußt war. 1910 beginnt für Kokoschka ein neuer Lebensab- schnitt. Herwarth Walden berief ihn als Mitarbeiter an die Zeitschrift „Der Sturm" nach Berlin. In diesen Jahren war Berlin ein europäisches Zentrum der Literatur, des Theaters und der bildenden Kunst. Für Kokoschka bot sich ein reiches Arbeitsfeld. Er malte Schauspieler, Regisseure, Literaten und zeich- nete für iede Nummer des „Sturm" Porträts aus der Literaten- und Theaterwelt: Herwarth Walden, den Herausgeber des „Sturm", die Schriftsteller und Journalisten William Wauer, Paul Scheerbart, Peter Baum, Rudolf Blümner, die Schauspielerinnen Yvette Guilbert, Tilla Durieux, Else Kupfer, den Rechtsanwalt Hugo Caro, die Schriftstellerin Lasker- Schüler und viele andere. Zu dieser Zeit beginnt seine Malweise opak zu werden. Höhepunkte dieser neuen, oszillierenden Gemälde sind die 1911 ent- standenen religiösen Bilder „Flucht nach Ägypten", Friedrich Welz OSKAR KOKOSCHKA ZUM 85. GEBURTSTAG