Johann Wolfgang Goethe - Wilhelm Tisch- boins ldyllan, hereusgegebsn und erläutert von Herbert Wnltgang Keiser; Brudmtann- Verlag, München 1970. Alle vom Autor dieser Publikation heraus- gegebenen Bücher zeigen über ihren biblio- philen Charakter hinaus eine seltene Über- einstimmung von Inhalt und Form. Das „Layout" vermittelt bereits den Geist des Buches, es legt das Buch im wahrsten Sinne des Wortes aus, Goethes Kommentar und seine Verse zu den ldyllen Wilhelm Tischbeins - insgesamt A4 Gemälde - bilden den Anfang. Das Buch folgt darin der historisdten Talsadte, daß Goethes Texte, zu Beginn des Jahres IBZB in seiner Zeitschrift „Über Kunst und Alterthum" abgedruckt, ohne „irgendeine Abbildung" erschienen waren. Zum ersten- mal liegen sie nunmehr mit Tischbeins Bildern vereint vollzählig in einem Band vor. Dieser seltene Versuch eines „Gesamtkunst- werkes" von Dichter und Maler war 1786187 in Rom während des gemeinsamen Aufent- haltes bereits geplant worden. Erst drei Jahrzehnte später gelangte er zur Verwirk- lichung, nicht nur in räumlicher Trennung der Partner, sondern auch nachdem ieder fast siebzigiährig seinen eigenen Lebensweg zurückgelegt hatte. Goethe hat den ldyllen- zyklus Tischbeins selbst nie im Original gesehen, er schrieb nach flüchtigen Skizzen, die der Freund ihm von seinem vollendeten Werk gesandt hatte. So entstand [ene Inkongruenz zwischen Dichtung und Malerei, die der Herausgeber in seinem „Kommentar über das Entstehen der ldylle" aufzeigt. Trotz der Übereinstimmung in der„anthropo- morphen Substanz" des Gedankens der Idylle hatte sich ein grundsätzlicher Wan- del vollzogen, der angesichts dieses Werkes trennend zwischen den Künstler des Wortes und den des Pinsels trat. Am 2D. November 1786 schrieb Goethe in Rom lBd. 25-28, S. II5): „. .. es ist wirklich sonderbar, daß die Gegenstände, die er [Tischbein] auf diese Weise bearbeitet wünscht, van der Art sind, daß weder dichtende noch bildende Kunst, iede für sich, zur Darstellung hin- reichend wären". Daran alnkniipfend, lautet der erste Satz seines I8?! verfaßten Kom- mentars: „Wilhelm Tischbein bildete sich in der glüdrlichen Zeit, wo dem zeichnenden Künstler noch obiektiv Wahres von außen geboten ward, wo er die reinen Dichter- werke als Vorarbeit betrachten, sie nach seiner Weise belebt wieder hervorbringen konnte." Damit ist eine Grenze markiert, die Tischbein gerade mit den Bildern des ldyllenzyklus überschritten hat. Die subiek- tive Aussage - der Ausdruck - hat so sehr das Übergewicht erlangt, daß, von einem „abiektiv Wahren" abgesehen, audn des Dichters Wort nicht mehr ausreichend scheint, urn diese zu stützen. Hier kündigt sidt als Problem der Zukunft die „Kommen- tarbedürftigkeit der Kunst" bereits an. Den Texten Goethes folgt eine Tafel mit I5 ldyllen Tischbeins, farbig hervorragende Reproduktionen. Wie die Originale haben sie alle dasselbe Format und sind, den ursprünglichen Plänen Tischbeins folgend, hier wie im Landesmuseum im Schloß Oldenburg gleichsam als Tapisserie ange- ordnet. Aus dem gemeinsam mit Goethe in Rom konzipierten, aber Proiekt gebliebenen „Freundschaftsalbum mit Stammburhcharak- ter" wurde auf dem Weg über zwei ldyllen- zimmer in Tischbeins Wohnhaus in Eutin das „bedeutungsvolle Raum-Kunstwerk", wie wir es in Keisers Buch auf Seite 97 abge- bildet vor uns sehen. Es folgen nun die Kommentare des Künstlers zu seinen Idyllen, Texte nach den „Manu- skripten zu den 44 Bildern im Schlot} zu Oldenburg". Audi hier bestechen Typo- graphie und Zuordnung in besonderem Maße, desgleichen die Qualität der aus- schließlich farbigen Repraduktionen. Den Anfang macht die „ldeallondschafW, der ursprünglich ein Gegenbild zugedcldtt war, zu dessen Ausführung es nicht kam. Scttan 56 durch das Format, die übrigen Tafeln um mehr als das Zehnfache übertreltend, bildet sie sowohl im Raum als auch nach dem geistigen Inhalt eine Dominante. Sie war von vorneherein nicht als eine, vielmehr als die ideale Landschaft gedacht, als geistiger Rahmen für den „fröhlichen" und den „gemülhlidlten" (schwerrvlütigen) Schäfer und die gesamte Thematik der EinzeIdar- stellungen. Tischbeins eigener Kommentar ist bei Keiser der Reproduktion gegen- übergestellt, er kennzeichnet das Bild eben- sosehr wie das Gesamtwerk. Dieser Abschnitt wird durch eine zweite Idyllentafel abgeschlossen, der symmetri- schen Anordnung im Oldenburger Schloß getreu folgend. Den dritten Teil des Buches bildet der Kommentar des Herausgebers „Über das Entstehen der Idylle von Wilhelm Tischbein und deren Anordnung im Schloß in Olden- burg", als Marginalien bzw. in den Text eingeblendet die Skizzen Tischbeins bei- spielhaft in Reproduktionen enthaltend und auch in der Qualität der Ausführung die geschickte Hand und das wachsame Auge des Hamburger Graphikers Otto Rohses verratend. Trotz seiner samt Anhang knapp 30 Seiten ist dieser sogenannte „Kommen- tclr" die umfassendste Tischbein-Studie der letzten Jahrzehnte, dank seiner vielseitigen Bezüge und grundsätzlichen Gedanken dar- über hinaus ein nicht zu übersehender Bei- trag zur Kunst der Goethe-Zeit; daB selbst- verständlich auch eine Reihe neuer Quellen erschlossen wurde, sei nur der Vollständig- keit halber erwähnt. Sieht H. W. Keiser J, H. W. Tischbeins Kunst vorwiegend mit den Augen Goethes, so wird er dessenungeachtet doch seiner Bedeutung für die Späteren und seiner Aussage für die Gegenwärtigen gerecht; „ln der Offenheit kunstgeschichtlicher Per- spektiven bieten sich Herleitungen von Johann Heinrich Roos über Jakob Philipp Hackert zu Moritz von Schwind und Arnold Böcklin, dann schließlich bis zu zeitnahen surrealistischen Regionen an. Tischbeins Vorahnungen sind an einzelnen Bildern seiner ,ldylle' zu ergründen". Gerade das ldyllenwerk ist Tischbeins Testament. Es enthcilt Anregungen und Elemente aus einem 70iährigen Künstlerleben, ist vielleicht des- sen Zusammenfassung schlechthin. In selbständiger Verarbeitung ist Tischbein Betruchter der Folgenden, nimmt vieles und für lange Zeit vorweg. Man denke an die Verwendung der menschlichen Gestalt als Arabeske, als irn Grunde genommen deko- ratives Element, wie es sich erst bei Franz von Stuck und erst recht im Jugendstil wiederfinden soll. Etwa gleichzeitig mit dem viel jüngeren Philipp Otto Runge-vielleicht war dieser der Anreger - findet sich in Tischbeins „ldylla" iene Idee der „Ver- fremdung" verwirklidtt (vgl. Nr. I2, I4, 10), die die Romantiker „Rornantisieren" nen- nen. Gerade von hier führt gedanklich folgerichtig ein direkter Weg zum Surrealis- mus, wie ihn Runge, bei dem die „Über- höhung der Realität" in dem Ausmaße fehlt, nie beschritten hat. Es bleibt ver- wunderlich, daß selbst im zwanzigsten Jahrhundert, trotz einer Ausstellung Müller- Wulckows irn Jahre 1930, trotz gelegentlicher Publikationen - vornehmlich zu Beginn des Jahrhunderts - Tischbeins ldyllenwerk sogar in Fachkreisen verhältnismäßig unbekannt geblieben ist. Besonders groß ist daher das Verdienst des Herausgebers, und es ist zu hatten, daß dieses Werk, das eine Brücke zur Gegenwart bildet, durch H. W. Keisers monographische Publikation endlich die überlokale Anerkennung findet, die ihm gebührt. Armgard Ekhart Manfred lindner. Petra und das K5 reich der Nabatäer, Dalp, Nlündtan, 1970, 205 Seiten. Das Buch erschien als Band es in den Abhandlungen der Naturhistorischen Ge- sellschaft Nürnberg und bringt umfassende Untersuchungen über das vor zltoo Jahren bestehende Königreich, seine Hauptstadt, dessen Kultur und Geschichte. ln verschiedenen Beiträgen, gesammelt von Manfred Lindner, dem Herausgeber, von dem nudr selbst einige Aufsätze stammen, und weiters von Clare Goldschmidt, Karl Schmitt-Karte, Margarete Wanke, Konrad Gauckler, Adam Rauh, Mohammad Murshed Khadiia und Peter J. Parr, wird die Materie von den verschiedensten lalidcrsunlrtcn be- trachtet. Einen breiten Raum nehmen zu Recht die Geschichte, das Kunstgeschicht- liche Phänomen der Felsenmonumente von Petra und eine Abhandlung über die be- malte nabatäische Keramik ein. Außeror- dentlich anschauliche und prägnante Texte sind besonders beide erstgenannten Auf- sätze, die ieden interessierten Leser fesseln werden. Die Ausführungen über die Keramik sind gründlich und gehen den Zusammenhän- gen nach, sie weisen auch auf die verschie- denen Verbreitungsgebiete. Auch die Ge- schichte der Wiederentdeckung und Erfor- schung seit Johann Ludwig Burakhardt wird aufgerollt. Die Kapitel über „Die Weih- rauchstraße", „Landschaft und Pflanzen- weit" u. a. ergänzen das Bild. Die Flora ist freilich sehr zu kurz gekommen, hier wäre eindeutig ein anderer Referent zu suchen ge- wesen. Das Buch läßt ein Land, das heute durch die politisch gespannte Lage im Vorderen Orient wieder in den Blickpunkt der Welt gerückt ist, plastisch vor uns erstehen. sehr viele ausgezeichnete Photo- graphien, etliche in Farbe, Reproduktionen alter Stiche, Kartenskizzen und Tabellen geben eine dokumentarische Übersicht. Alois Vogel Neuerscheinungen bei DuMont Sdiauberg Nicht weniger als 46 Titel umfaßt I97I das Jahresprogramm des renommierten und weit über die Grenzen des deutschen Sprach- raumes hinaus bekannten Kunstbuchverlages DuMont Schauberg, Köln. Ihm galt auch eine gutbesuchte Ausstellung im Club-Raum des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien, die im April d. J. stattfand. Seit der Auf- nahme der Kunstbüctterproduktion 1956 er- srJtienen bei DuMont 436 Titel. Davon sind I4? internationale Koproduktionen, was heute bei autwendigeren Unternehmen die Regel ist. Die informativ eingerichtete Schau mit ihren mehr als hundert Bänden gab einen in gleidter Weise abwechslungsreichen wie die hervorragende drucktechrtische Quo- lität der Publikationen unterstreichenden Überblick über die einzelnen Verlagsge- biete. Das gezeigte Spektrum reidtte von Archäologie und kunsthistarischen Werken über Künstlermonographien, Photobtinde und die wertvollen (Euvreverzeichnisse bis zu den preiswerten Reihen und Beispielen aktueller Kunst. In der letztgenannten Gruppe, die zusammen mit der Paperback- Serie der „DuMont-Dokumente" das wohl kulturpolitisch wichtigste Anliegen des Ver- lages sind, verdient vor allem die soeben von Walter Aue herausgegebene Anthologie „P. C. A. Proiekte, Concepte, Actianen" besonderes Interesse. Als Sammlung neue- ster Kunsttendenzen vereint sie - ausgestat- tet mit 600 Photos - Beiträge von und über 220 Künstler und Aktionisten. Sie gibt damit vor allem dem vorgebildelen Laien die Möglichkeit einer Uberschau dieses in ähn- licher Weise aus soziologischer wie künst- Ierischer Sicht her aufschlußreichen und diskutierenswerten Komplexes. Van den zuletzt bei uns eingegangenen Titeln verweisen wir auch noch auf die aktuelle Dokumentation „Deutsche Kunst: eine neue Generation" von RoIf-Gunter Dienst, die ähnlich wie vorhergegangene Bücher desselben Autors vor allem Interes- senten der Moderne und der Avantgarde ansprechen dürfte. Ein „Begriffe- und Real- Iexikon" unter dem Motto „Bildende Kunst" (Autoren PawliklStraßner), die von Fritz Baumgart vertaßte, klug aufgebaute und gut illustrierte „Stilgeschichle der Architek- lur" sowie zwei der heutigen kt schen Diskussion dienende Poperk den Titeln „Kunst ist Revolution" von Jean Cassou, Michel Ragon Gassio-Talabot, Alain Jouffroy und sowie „Kunst und Revolte" (Aul r. Peters] können an dieser Stellt empfohlen werden wie der so-t Seit Band van Barbara Rose „Amerikas modernen Kunst, von der Mülltonl zur Minimal Art". Pe Eingelan te Bücher: KUNSTJ HRBUCH I, HERAUSG VON JÜRGEN HARTEN, MANFREI MOTTE, KARL RUHRBERG, V SCHMIED UND VON PETER F, ß UND ALFRED SCHMELLER. 502 Seiten, davon 212 Bildtafeln, kc Fackelträger-Verlag, Schmid-Küster Hannover, und Forum Verlag, Wien HERTA UTTL, DIE ANSITZE VON TIROL UND UMGEBUNG. 248 Seiten, 6B Abbildungen, brosr Universitätsverlag Wagner, I S 278.-. WALTER JÜRGEN HOFFMANN DÜRERS FARBE. IIO Seiten Text, 2 Farbtafeln, Leinr Verlag Hans Carl, Nürnberg, 197i,