J. A. Boeck GOLDSCHMIEDEKUNST HEUTE - PROGRESSIV ODER ZEITLOS? ÜBERLEGUNGEN zu ARBEITEN vom ULRIKE ZEHETBAUER- ENGELHART Mit Arbeiten von besonderer Eigenart hat die Wiener Goldschmiedin Ulrike Zehetbauer-Engelhart im Lauf weniger Jahre im Bereich ihres Schaffens Beiträge geleistet, die zur Betrachtung herausfor- dern. Wie schwierig es ist, Stilelemente der Gold- schmiedekunst präzise zu analysieren, weiß ieder, der historische Sammlungen der privaten oder öffentlichen Hand und die dazugehörige Literatur kennt - und er weiß auch, daß iedes solche Unter- fangen bei zeitgenössischen Werken nur noch komplizierter ist. Denn heute, im Zeichen des Pluralismus nebeneinander bestehender oder ein- ander in rascher Folge ablösender Kunstformen, hat der einzelne Goldschmied mehr Möglichkeiten denn ie, zu autochthonen Eigenwerten durchzu- stoßen. Dies aber nur dann, falls es ihm gelingt, der Überflutung durch Anregungen aus allen Kontinen- ten, Zeiten und Stilen durch seine persönliche Potenz Herr zu werden. Eben das hat Ulrike Zehetbouer-Engelhart zustande gebracht. Ihre Arbeiten lassen erkennen, daß sie sich weder von der Tagesmade zu extravaganten Attitüden des Augenblicksreizes willen verlocken nach zu möglichst viele Einflüsse aufnehmenden uncharakteristischen Mischformen treiben lößt. Sie geht vielmehr Wege, die ebenso progressiv wie zeit- los und zugleich unverwechselbar sind. Von frühen Schmuckformen, die uns meistens aus Grobbeigaben bekannt sind, bis ins Heute führen viele direkte und indirekte Verbindungslinien. Schon beim Formenkanon des Schmucks der Primitiven war, wie zum Beispiel vorn asiatischen Festland bis nach Ozeanien, die Überbrückung ungeheurer geographischer Räume feststellbar. Das Aufschlie- ßen und die Intensivierung von Handelswegen brachte es in späteren Perioden mit sich, daß die Werke der Goldschmiede zum kosmopolitischsten Kulturgut überhaupt avancierten. Dies geschah in- folge des mit dem Anwachsen der Populationen ansteigenden Bedarfs, vor allem aber auch wegen der leichten Transportierbarkeit und permanenten Beliebtheit der kleinen Gegenstände. So lagen die Verhältnisse bereits vor rund anderthalb Jahr- tausenden, also bereits damals, als Stücke wie etwa iene lombardischen Ohrgehdnge entstanden, die man in der Sammlung Le Clercq in Paris be- wundern kann. Sie vereinen Gronalien mit Filigran, Gravuren und Email, wobei unter anderem römi- sche, byzantinische und durch die Goten nach Europa gebrachte Einflüsse orientalischer Steppen- kunst ablesbar sind. Um wieviel verwickelter noch muß ieder Versuch ausfallen, die Herkünfte der Ikanographie eines modernen Ateliers zu definieren! Zwei Haupttrends bestimmen Ulrike Zehetbauer- Engelharts Schaffen. Einmal finden wir uns mit Arbeiten von absolutem Selbstwert konfrontiert, die, umfönglicher dimensioniert, als Werke bilden- der Kunst in ieder bedeutenden Gegenwartsgalerie ausgestellt sein könnten, und zum zweiten Gegen- stände von ausgesprochenem Schmuckcharakter, wie Kolliers, Halsketten, Fibeln, Broschen oder Ringe. Dabei ist augenföllig und entscheidend wichtig, daß diese beiden Arbeitsrichtungen einander in kontinuierlicher Kommunikation mit Erfahrungsma- teriol und künstlerischen Impulsen gegenseitig be- liefern. Figurale Darstellungen treten weder natura- listisch noch stilisiert auf. Das Zueinander oder die Kontraste von Edelmetall und Edelstein bringen in Fläche und Raum, in Gestalt und Farbe Elemente ausschließlich abstrakter Natur. Dabei entstehen Gebilde, die sich auf den ersten Blick als Schmuck- stücke von distanzierender, elitörer Noblesse prö- 3 sentieren. Doch das ist nicht alles: bei näherem 6