Bohdan Hermansky Die Männerakte Koligs und die österreichische Handzeichnung seiner Zeit 1 Anton Kolig, männlicher Akt (s. S. 27) 28 Die österreichische Handzeichnung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann durch ihre Originalität, Vielfalt und Stärke eine außeror- dentliche, ia globale Bedeutung, die heute auch schon in der hohen Wertschätzung durch Samm- ler und Galerien in aller Welt ihren Nieder- schlag gefunden hat. Diese Zeichnungen waren schon zur Zeit ihrer Entstehung Gegenstand einer besonderen Beachtung und behaupteten eine Sonderstellung als Äußerungen eines gerade in Österreich hochentfalteten betont autonomen, ausdrücklich auf diese Technik konzentrierten Kunstwillens, der in solcher Intensität nur mit der Prominenz der Handzeichnung im alten China verglichen werden kann. Der Begründer dieser kultivierten Tradition, des- sen bahnbrechende Wirkung auch hier einen neuen Weg wies, Gustav Klimt, hatte in seine Malerei eine dem Fernen Osten in gewissem Sinne verwandte Anschauungsweise und Mate- riolverwendung eingeführt und hat dem Art nau- veau in Wien eine viel nachholtigere, dauern- dere Wirkung gesichert als dieser in jedweder anderen europäischen Metropole erreichen konnte. Die Handzeichnung war bis dahin fast aus- schließlich als Werkzeichnung, als Vorarbeit auf- gefaßt werden; peinlich genau ausgeschum- merte Akte, mit daneben wiederholten, verbes- serten Details, rochen nach dem Staub- und Fixativgestank der Ateliers. Die Mühsal, der Schweiß des „gestellten", stundenlang molträ- tierten (schlecht bezahlten) Berufsmodells, das alles sprach, kaum verborgen, aus diesen mü- den, professorolen Etüden, Fingerübungen. Und die gelungensten unter diesen verrieten nach durch den peinlich genau darüberlinierten Ra- ster, daß sie ihrem Autor als präzise Vorlage für das Bild gedient hatten und so des letzten An- spruches auf eigene, selbständige Wirkung ent- sagen mußten. Aber durch Klimt, Kokoschka, Schiele, Kolig, Wiegele, Boeckl und Frankl wurde die Zeichnung zum autonomen Kunstwerk erhaben, zu einem meisterhaft beherrschten Soloinstrument, zu einem persönlichsten, intimen Erlebnis, zum künstlerischen Selbstzweck. Die „Blätter" der ge- nannten Meister, insbesondere die Klimts und Schieles, waren für die feinnervigsten aficiona- das unter den Sammlern Wiens heißbegehrte Kunstobiekte, an deren Spitze die noble Alber- tina, aufmerksam und mit sicherer Witterung, diesen Kammermusikwerken höchste Geltung zu- erkannte und verbürgte. Die sublimierte Erotik dieser Meister fand eine intime Beziehung zu den besten Vertretern dieses damals zu höchster Blüte entfalteten Kulturzentrums, und heute sind ihre Blätter bereits äußerst kostbare, vergebens gewünschte Obiekte der größten Sammlungen in aller Welt. Von den sieben angeführten österreichischen Zeichnern waren nur Klimt und Schiele typische Wiener in ihrer Synthese von Eleganz und Hef- tigkeit, von Sinnlichkeit und Askese, van zärt- licher Hingabe an die Erscheinung und trapisti- scher Straffheit der Ausdrucksmittel. Strich und Fläche haben hier ein suggestives Eigenleben, haben eine vorn Gegenstand unabhängige Wir- kungskraft; das hat Hundertwasser gewisserma- ßen unter Beweis gestellt. Oskar Kokoschka hat bei Klimts slawischer arna- mentaler Dekorativität angeknüpft, aber das von altem Anfang an mit einer dunklen Leidenschaft, die, aus nordischen Quellen genährt, den Be- trachter nicht verführen, sondern erschüttern wollte. Das war nicht mehr wienerisch; das ge- mahnte an Munch und vor ihm noch an von Gogh. Auch mit seinen Zeichnungen hat Ko- koschka in fruchtbarster Fülle neue Wege gewie- sen, ohne diese selbst auszutreten, ohne si dem selbsterfundenen Handwerkzeug geni zu etablieren, so wie das alle anderen ll gingen von den Handzeichnungen Koko: viele wichtige Anregungen aus, die neue Ri gen befruchteten, Möglichkeiten aufdeckte er selbst achtlos beiseite gelegt hatte, ui nicht zu verhalten, um weitergelangen Zl nen. Er war ia kein Aktzeichner. Sein Moti die ganze Welt und die Bezirke, die da darüber und darunter liegen. Er ist der Ki an sich, Dichter, Bühnenbildner, Landscl Visionär. Das, was er festzuhalten unter: ist niemals ein konkreter Augenblick. Seine nisse umfassen zeitlich viel mehr, und seine Landschaften öffnen Ausblicke in ahnte Wirklichkeiten, Retrospektiven in sich und Ausweitungen ins Zeitlose, ins Traurr Der Zeichenstil Kokoschkas aus der Ze 1910 verleiht dem Akt eine bisher unbel und unerhörte Aufregung und Abaanderli die gewiß auch befruchtend auf Kalig wirkt haben muß, der allerdings solche ausschließlich in den Dienst einer neuen, konkreten Farmgestaltung gestellt hat. Dii niszeichnung Nijinskys von Kokoschka i klassisches Beispiel für den Eigenwert der Dort bauen Formlinien etwas wie Facetti ten eines Kristalls auf, realisieren mit de perlichkeit aber zugleich die Geistigkeit de gestellten. Die Handzeichnungen Kokoschk in vielen wunderbaren, leider nie mehr evidierbaren Blättern über die ganze We streut sind, bedeuten einmalige Gipfelpunl Zeichenkunst, ohne daß er selbst diesen Entdeckungen gebührende Beachtung ges hätte. Denn ihm geht es nicht um die Zeicl aber um die Gezeichneten. Es ist ihm nu wenn auch sehr wichtige Methode der ki rischen Lebensaneignung. Er ist vor aller ler, Denker, Zeitkritiker, Zeitgenosse. Da man aber nicht, wie Schiele, Tag um Tai früh bis abends Aktzeichnen; so viele ii sante Menschen gibt es doch gar nicht. Zeichnungen, wie der Kopf Niiinskvs, sind steine einer neuen zeichnerischen Epoche. Klimt und Schiele haben in ihrem zeichnei Werk, ungewollt, der Wienerin ein beza des Denkmal gesetzt, Kokoschka blieb konkret; er hat alle Aspekte einiger F wie Alma Mahler oder Cama Svodod: ewigt. Anton Kolig war nichts weniger als ein V und doch war er typischer Österreicher. Ei die feinste Witterung für das Rustikoli Männliche. Er liebte die Nachbarschaft de len Felsengehänge, der ungebändigten G1 bäche, das kalte Rauschen nächtlicher Vt Und das hat in seinem Werk kostbarer druck gefunden. Klimts Akte flüstern verliebte Beschwöri die Schieles stöhnen und fluchen. Um Kalig ist ein steinernes Schweigen ausgebreiti völlige Einsamkeit. Menschliche BGZlSlIUHQt ihrer nicht angemessen. Er lebte in einei wie die Andrea Mantegnas, in deren e Uberdeutlichkeit, mit ihren wie aus Ste schnittenen heftigen Verkürzungen, ihrer erfüllung und rustikalen Unmittelbarkeit zweiter Schutzpatron war der Burenbreug liebte dessen van Michelangelo inspiriertt le Lümmel, die mit gespreizten Beinen im hingestreckt schlafen. Jedem dieser Künstli es - ungeachtet ihrer verschiedenen Mitt Absichten - immer um eine vorgefaßte Form des Menschenkörpers, die er in ied ner Figuren von neuem wiedererkennt, v findet. Die schwerblütigen Leiber des alter ghel sind alle aus einer Familie, sind i