Hainburger Madonna in die Mitte der dreißiger Jahre datieren. Die betonte Blockhaftigkeit und mit ihr die Monumentalitöt steigern sich nun bei dem Aus- gangsstück unserer Untersuchungen, der MITTEL- FlGUR DES FREISINGER HOCHALTARS (Mün- chen, Bayrisches Nationalmuseum (Abb. 3, 6, 9) ". Dimensionsmäßig ist sie die größte der bespro- chenen Madonnen und durch Weglassung der Mondsichel sowie der Wolkenbank bei unge- fähr gleichbleibender Gesamthöhe bereits über- lebensgroß. Das Praportionsverhältnis verändert sich zugunsten der Breite. Die auffallendste Wei- terentwicklung tritt nun im Antlitz Mariens ein, die letzten Spuren einer ldealisierung sind fallen- gelassen worden. Herbe, tief verinnerlichte Ge- sichtszüge ergeben ein lebensnahes Porträt. Alle persönlichen Eigenheiten des Meisters sind aber wiederzufinden: die charakteristische Haltung des Kindes, die Hand- und Fingerstellung Ma- riens, unwesentliche Details, wie der enganlie- gende Halsausschnitt mit seiner Schnürung und ähnliches. Der von uns charakterisierte Stil Kaschauers ist noch gereifter, in seiner Exaktheit wohl vorhanden, aber doch schon etwas schema- tischer zugunsten der Gesamtwirkung. Die Fal- tentöler sind seichter geworden, flacher, fast könnte man sagen teigiger: der Meister hat sich nach mehr, als es uns schon bei der Hainburger Madonna aufgefallen ist, von einer minuziösen Ausführung entfernt. Ganz deutlich kommt diese Entwicklung auch bei der Föltelung und auffal- lend großzügigen Rillung des Schleiers zum Ausdruck. Die künstlerische Bedeutung im Rahmen der deutschen Plastik ist in der gesamten einschlä- gigen neueren Literatur immer wieder hervorge- hoben und das Obiekt aus den verschiedensten Perspektiven von der Kunstwissenschaft bearbei- tet worden. Besonders Theodor Müller, der große Kenner dieser Materie, hat sich in meh- reren wissenschaftlichen Publikationen mit diesem Hauptwerk und den damit zusammenhängenden Problemen befaßt. Es soll daher im Rahmen unserer Untersuchung nur festgestellt sein, daß sich das berühmte Werk als vorläufige End- phase in der Reihe unserer eigenhöndigen Standmadonnen und als das monumentolste und dem kommenden Realismus der zweiten Jahr- hunderthälfte am nächsten stehende erweist. Bisher am wenigsten bekannt, aber doch bereits dem Kaschauerischen Kreiszugeschrieben, schließt sich in zeitlicher Folge ein beachtliches Haupt- werk aus der Schaffensperiode des Freisinger Altars an: die Sitzgruppe ANNA SELBDRITT am barocken Hochaltar von Annaberg bei Maria- zell, Niederösterreich (Abb. 13). Auch bei diesem Beispiel kann nur der Zufall Urkunden über die Stiftung und die ursprüngliche Aufstellungs- art erbringen, da bis ietzt nicht das geringste darüber bekanntgeworden ist m. Wir stehen auch hier wieder vor einem bedeuten- den Hauptwerk des Künstlers. Monumental und III "t l-t lebensgroß führt die Sitzgruppe zu dem schon etwas routinierten und porträthaften Stil der vierziger Jahre. Eine gewisse Auflösung der sorg- fältig modellierten in eine echte Unruhe macht sich bemerkbar, und doch ist die persön- liche Hand des Meisters unzweifelhaft vorhanden. Die Falten und Säume zeigen den charakteristi- schen Duktus, man kann den Meister „greifen". An Stellen, welche die auftragende Überfassung verloren haben, kommt sein sicherer Schnitt am klarsten zum Ausdruck. Das typische Kasch- auer Haar, die verinnerlichten, ernsten Gesichter sprechen eine eindeutige Sprache. Der schwere, herangewachsene Knabe beschäftigt sich wieder nur mit seinem Beschauer, von den beiden heili- gen Frauen nimmt er nicht die geringste Notiz. Die Physiognomie des Kindes kommt förmlich einer Signatur gleich, ist sie doch mit der des Knaben der Freisinger Madonna nahezu iden- tisch. Das ist weder die Sprache des Zeitgeistes noch eine Zufälligkeit, sondern der reinste indivi- dualismus, der einen zusätzlichen Beweis für die Eigenhändigkeit erbringt. Wenn man sich die groben Barackhände und darüber hinaus die alle Kraft Kaschauerischer Formprögung ver- wischende Übergrundierung und abstumpfende Ölfarbe wegdenkt, treten vor dem geistigen Auge die Handschrift und das konzentrierte, reife Können des Meisters in Erscheinung. Es wäre eine wichtige Aufgabe für den Denkmalpfleger, dieses Werk von allen späteren Zutaten zu befreien, wie es bei den drei vorangegangenen Skulpturen der Fall war, und es der Wissenschaft und Öffentlichkeit in einer einschlägigen Aus- stellung vorzustellen. Die Gesichtszüge der bei- den Frauen werden dann - nach der Wieder- herstellung der ursprünglichen scharfen Kontu- ren durch die Entfernung der stark auftragen- den Uberstriche - eine ganz genaue zeitliche Einordnung in das Schaffen des Bildhauers er- möglichen. Es kann aber schon ietzt gesagt wer- den, daß es sich um die Entstehungszeit des Freisinger Altares oder wenige Jahre danach handeln muß. Beachtlich empfindet man das ge- lungene Unternehmen, die beiden Frauen spie- gelbildlich darzustellen und ohne Wiederholun- gen des Künstlers Eigenart gegenläufig zum Ausdruck zu bringen. Gerade bei dieser noch so wenig bekannten Gruppe lößt sich die Größe und Bedeutung Jakob Kaschauers unter den epochemachenden süddeutschen Künstlern er- fassen. Von den dem Verfasser bekannten Madonnen- darstellungen unseres Meisters wäre in diesem Zusammenhang nun noch die kraftvolle Madonna von Salzburg-Mülln (Stadtpfarrkirche, ehemalige Augustinerkirche) (Abb. 10] zu erwähnen welche in ihrer starken Anlehnung an den Wei- chen Stil den Frühwerken Kaschauers zugeordnet werden könnte. Die Grundkonzeptian und des Meisters Eigenart sind hier zur Gänze gegeben, iedoch verhindert der heutige Zustand ein ein- deutiges Erkennen: eine millimeterdicke neuzeit- " OrdILFCSäJÄFYt" dld-htbulqnr? JK- 11-3"? u Maßen i . {(111 (f: . 1- ewjsgif... .,s,..z,!i;1i., [-1- ßuuc tcfx u 13 Jakob Kaschouer, Anna Selbdritt, vor 1450. Nußbaumhalz, H 130 cm, Annaberg bei Maria- zell, Pfarrkirche 14 Weiheurkunde des Freisinger Hochaltares mit der Nennung Jakob Kaschauers von 1443, Erz- bischöfliches Metrapolitankapitel, München Anmerkungen 9-12 _ 'Nußbaumhalz, Höhe 173 cm, riickseitig ausgehöhlt, von Barockfassung freigelegte, teilweise übergangene Origi- nalpolychromierung, Krone ergänzt. Fundort: Kirche von Thalhausen [BA Freising), GUS Privathesitz 1916 erworben. LiL: Adolf Feulner-Theodor Müller: Geschichte der deut- schen Plastik, München, 1953. Franz Kieslinger: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, Band 10, 1916. älgaegdor Müller: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Berlin, Karl Oettinger: Alte deutsche Bildschnitzer der Ostmürk, Wien, 1939. Walter Paatz: Pralegomena zu einer Geschichte der deutiiftßn spätgotischen SkUlptUf im 15. Jültfilutldeft, Heidelberg, 1956. Bruno Fürst, Wilhelm Finder, D. Radocsay, Franz Walter: wie bereits zitiert, u. a. 1, cdni