Herbert Moritz Kommunikation durch_ Kunst - Salzburgs Projekt für ein neues Kunstzentrum Wenn man pessimistischen Kulturphilosophen glauben darf, treibt die moderne Großstadtge- Seilschaft unaufhaltsam ihrer vollkommenen Des- integration und Atamisierung entgegen. Apoka- lyptische Bilder, die iedoch häßliche Wirklich- keit werden, wenn wir das Leben in den Groß- wohnbauten, in den Wohnmaschinen unserer Tage näher ins Auge fassen: Hunderte Menschen existieren unter einem Dach, ohne einander zu kennen, ohne aneinander Anteil zu nehmen, ohne Wissen um die Freuden, Sorgen und Lei- den der anderen; wie oft sterben Menschen in- mitten dieser menschlichen Ballung, und die Mitbewohner nehmen den Leichnam erst nach einer Woche wahr. Kälte und Herzlosigkeit in- mitten architektonischer und technischer Perfek- tian. Die städtische Gesellschaft muß also wieder eine Gemeinschaft werden. Eine neue humanere Architektur, eine mehr auf das Du bezogene Er- ziehung, eine mehr als formale Religiosität, viel- leicht auch der Sport, können dazu ihren Bei- trag leisten. Wer aber wie ich in einer Stadt wie Salzburg lebt, in der die Akkorde Mozart- scher Musik aus allen Ecken zu hören sind und die spielerische Lebensfreude des Barock noch immer das Bild beherrscht, wird die Kunst im Kreis der um Kommunikation bemühten Fakto- ren nicht missen wollen, eine Kunst freilich, die nicht nur in heiligen Hallen für Minderheiten zelebriert wird, sondern aus den Höhen ästheti- sierender Verklärung und des fetischisierten Fremdenverkehrskommerzes herabgeholt und eingefügt werden muß in den Alltag der Men- schen, durch die diese Stadt erst wirklich lebt. Darum scheint es mir kein Zufall zu sein, daß gerade in einer Stadt der hallenden Kirchen und prunkenden Festspielhäuser der Ruf nach einer neuen Stätte der kulturellen Begegnung laut geworden ist, in der die überall sich re- genden schöpferischen Begabungen vor allem der iungen Leute nicht verschüchtert werden, sondern sich gegenseitig ermutigen und mit der breiten Bevölkerung kommunizieren können. Salzburg wird also in zwei bis drei Jahren ein neues Kunstzentrum bekommen. Die Diskussion über dieses Kunstzentrum ist nun schon einige Jahre im Gange. Die Verzöge- rungen, die sich in dieser Zeitspanne verber- gen, entmutigen uns nicht. Sie versetzen uns - wie sich ietzt herausstellt - in die glückliche Lage, die Ergebnisse der mitunter heißen Debatten aufzunehmen, die sich allenthalben um eine neue soziale Funktion der Kunst entzündet ha- ben. So hat man im kulturpolitischen Arbeits- kreis des Europäischen Forums Alpbach 72 das Wort von einem „Prozeß der Kunst" gehört, nach der Beniaminschen Formulierung, daß „Kul- tur ist, was man uns antut, Kunst, was man tut". Kunst kann sich heute nicht auf Erhebung und Erbauung der Wissenden beschränken - Be- reiche übrigens, in die sie die Säkularisation erst in den letzten zweihundert Jahren verbannt hat. Man fordert heute von Kunst nicht weniger als die Emanzipierung des einzelnen und die Humanisierung der Gesellschaft. Sie soll Sozia- lisation ermöglichen, Kreativität freisetzen, Fle- xibilität erproben und Partizipation als kommu- nale Aufgabe praktizieren. Worum es bei all diesen Begriffen des Soziologen-Deutsch geht: die Menschen durch gemeinsame künstlerische Erlebnisse einander näherzubringen, aber nicht nur durch passiven Konsum, sondern - wenn möglich - durch tätige Anteilnahme. Was ist nun in Zusammenhang mit diesen Diskussionen, bei den vielen Gesprächen über das Salzburger Kunstzentrum an konkreten Vor- stellu-ngen herausgekommen? Das künftige Kunstzentrum soll kein Musen- tempel werden, der das Publikum zu ehrfurchts- voll-schweigender Huldigung der Künste ver- pflichtet; eine Verpflichtung, die lästig fällt und der es sich meist durch Absenz zu entziehen pflegt. Das Kunstzentrum wird vielmehr eine lebendige Stätte der Begegnung der verschie- denen Künste, der Künstler mit dem Publikum sein, ein offenes und freies Haus, das als Kata- lysator der aktiven Kräfte unsererer Gesell- schaft wirkt und dazu beiträgt, Kunst in allen ihren Formen in den Alltag der Menschen zu integrieren. Es soll helfen, die Barrieren zu überwinden, die die Kunst, vor allem zeitgenös- sische Kunst, von den Menschen trennen. Es soll die Menschen ermutigen, Kunst nicht nur pas- siv, sondern selbstschöpferisch zu erleben. Es wird in diesem Kunstzentrum Ausstellungen ge- ben - der Mangel an Ausstellungsmöglichkeit in unserer Stadt war ia der Ausgangspunkt der Bemühungen, ein neues Kunstzentrum zu schaf- fen. Themen dieser Ausstellung werden nicht nur die verschiedenen bildenden Künste, son- dern möglicherweise auch die Wissenschaften und die Technik sein. Die Ausstellungen sollen ia das Kunstwerk nicht isolieren, sondern im Zu- sammenhang mit anderen kulturellen Leistungen zeigen. Aber neben Ausstellungen wird das Kunstzentrum Heimstätte des tätigen künstle- rischen Experiments, wird es Laboratorium künst- lerischer Arbeit sein, um das Publikum möglichst unmittelbar am künstlerischen Schaffensprozeß zu beteiligen. Das Kunstzentrum soll, wie es Bert Brecht drastisch ausgedrückt hat, dem Pu.- blikum „das romantische Glatzen abgewöhnen", es soll es vielmehr anregen, selbst etwas zu tun. Diese Feststellungen scheinen mir im gegen- wörtigen Stand der Diskussion über das künf- tige Salzburger Kunstzentrum notwendig zu sein, weil vor der Entscheidung über die umstrittene Frage des Standorts Klarheit über die Funktion der neuen Einrichtung bestehen muß. Gerade in dieser Hinsicht hat die von mir vor mehr als drei Jahren geforderte Wiederbelebung der Dis- kussion über die schwelende Frage einer neuen Heimstätte für die bildende Kunst einen völligen Wandel der Auffassungen, eine ganz neue Far- mulierung der Aufgabe gebracht. Besonders dankbar bin ich, daß die in der Architekturklasse der Internationalen Sommerakademie für bil- dende Kunst versammelten weltberühmten Archi- tekten und Städteplaner die von meinen Mit- arbeitern und mir auf Grund eingehender Stu- dien erstatteten Vorschläge bereits in zwei Se- minaren gründlich unter die Lupe genommen und kommentiert haben. Sa unterschiedlich die Auffassungen der Professoren Frei Otto, Gut- brad und Pierre Vago über den künftigen Stand- ort sein mochten, so einhellig ist ihre Meinung über die Funktion des Kunstzentrums - eine Be- zeichnung, die sie ebenso wie wir nicht als end- gültig ansehen wollen: Der Berliner Gutbrod kreierte für sie mit spree-städtischer Schlagfer- tigkeit den Begriff des „Kreativschuppens". Thomas Munro, der hervorragende Theoreti- ker der amerikanischen Kunsterziehung, hat schon vor Jahren den Grundsatz geliefert, aus dem wir die Aufgabe unseres Kunstzentrums abzu- leiten versuchen, daß nämlich keine der Künste für sich allein existieren kann, sondern nur im wechselseitigen Austausch und vor dem Hinter- grund einer geselligen Gemeinschaft. Auf der Suche nach dieser geselligen Gemeinschaft bei den Bemühungen um eine Integration des Kunst- zentrums in die städtische Gesellschaft vereini- gen wir uns mit dem Streben, die historische Alt- stadt Salzburgs lebendig zu erhalten, sie vor der City-Bildung zu bewahren. 55