Für den Kunstsammler Zum Sammeln silberner Trinkgeschirre Der ältere Herr mit der weißen Löwenmähne ging ohne Umweg auf einen Hamburger Silberhumpen, Mitte 17. Jahrhundert, zu und fragte mich nach dem Preis. Kurze Zeit später hatte er die prächtige Goldschmiedearbeit erwarben. - Der ganze Vorgang war ungewöhnlich, nicht weil er so schnell ablief, auch nicht weil ein Kunstliebhaber unbeirrt durch eine Vielzahl von Gegenständen ganz genau das herausgesucht hatte, was seinem Geschmack entsprach, sondern weil es die erste Goldschmiede- arbeit war, die der alte Herr erworben hatte. Dr. Giovanni Züst aus St. Gallen fing in einem Alter mit dem Silbersammeln an, wo andere aufhören, weil sie nicht mehr die notwendige Passion, Energie und die gestalterische Kraft aufbringen können, die als Antrieb zum Sammeln notwendig sind. Mit dem ersten Kauf, dem Hamburger Humpen, war schon im wesentlichen das Programm für den Kern der Sammlung festgelegt. Das Thema sollte „Trinkgeschirre" heißen und in möglichst qualitätsvollen Varianten aus dem Zeitraum vom I6. bis 19. Jahrhundert dargestellt werden. Für einen Schweizer lag der Gedanke nahe, schweizerisches Silber zu sammeln, vielleicht konzentriert Arbeiten aus der berühmten Gold- schmiedestadt Basel. Die Schweiz hat im Laufe der Geschichte zahlreiche bemerkenswerte Goldschmiedearbeiten hervorgebracht. Sicher hätte sich auch aus diesem Bereich ein historisch oder typologisch abgrenzbares Thema für eine Silbersammlung finden lassen. Denn das ist notwendig; jede wirkliche Sammlung, will sie nicht rein zufällig erscheinen, muß einen inneren Zusammenhang haben. Einfach Gegenstände, die aus Silber gearbeitet sind, nebeneinanderzustellen, das alleine genügt eben nicht, sonst entsteht nur eine Ansammlung, aber keine Sammlung. Das reine „Markensammeln" lag aber Dr. Züst nicht. Sa wichtig Meister- und Beschauzeichen auch für die Bestimmung einer Goldschmiedearbeit sind, so sollten sie doch nicht überbewertet werden. Ausschlaggebend war für Dr. Züst die Schönheit und Qualität einer Goldschmiedearbeit, unabhängig von ihrer Provenienz. Seine Sammlung umfaßt daher Arbeiten aus Deutschland, der Schweiz, Rußland, Frankreich, Schweden und Ungarn. Was ist an Trinkgefäßen eigentlich so reizvoll und faszinierend? Sicher ist es das einzigartige Thema, das in allen Jahrhunderten immer wieder anspruchs- volle Aufgaben an die gestalterische Kraft der Goldschmiede stellte. Kein anderes Gebiet der Goldschmiedekunst hat so zahlreiche Varianten hervorgebracht. Bestimmt hängt das auch vom Wandel der Kunststile ab, deren Veränderungen auch den Lebens- und Repräsentationsstil ihrer Zeit beeintlußt haben. Hatten die Goldschmiede bis zum 15. Jahrhundert fast ausschließlich für den Adel und die Kirche zu arbeiten, so kam im 16. Jahrhundert das Bürgertum hinzu, das zu einer Selbstdarstellung nach einer gewichtigeren Repräsentation verlangte, die ihren Ausdruck auch in neuen Tisch- und Trinksitten fand. Dazu aber brauchte man Goldschmiedearbeiten, besonders Trinkgeschirre. Kann man eine Sammlung planen? Sicher nur in groben Umrissen! Trotzdem stand es für Dr. Züst schon von vornherein fest, daß die gerade erst begonnene Sammlung nicht ein Rudiment bleiben dürfe, sondern daß sie zu einem Abschluß kommen sollte, wenn das konsequent aufgebaute Gebilde dazu reif wäre. Aber mit dem Sammeln ist es so eine Sache. Die Kunstwerke finden sich nicht von selbst ein, vielmehr muß man sie aufspüren, jedem Hinweis nachgehen, um vielleicht einen Fund zu machen. Der Autor dieses Berichtes hatte die Freude, Dr. Züst bei vielen Streifzügen zu begleiten und zu beraten. Neben der Kunstliebe und dem Enthusiasmus des Sammlers sollte zu dessen Hilfe und Unterstützung geprüft werden: „Wie steht es mit der Echtheit der Zuschreibung und der Erhaltung 82