I Aktuelles Kunstgeschehen, Wien Galerie Schottenring K. F. Dahmen Seit gut zwei Jahrzehnten zählt K. F. Dahmen zu den führenden Malern der Bundesrepublik. Die mit 24 Montage- und Obiektbildern sowie einer Serie von Farbradierungen relativ umfassende Ausstellung der Galerie Sdiottenring stellte den 1917 in Stalberg bei Aachen geborenen Künstler erstmals repräsentativ in Österreich vor. Die einzelgängeri- sche Leistung Dahmens, die vor allem im Werk der letzten fünf Jahre zu fixieren wäre, verlangt freilich vom Betrachter ein gehöries Maß an Einfühlungsvermögen und Unvoreingenommenheit gegenüber den Ansprüchen und Folgerungen einer spröden und dialektischen Ästhetik. Dahmens Entwicklung vom lnformel über diverse Möglich- keiten der Collage und des Materialbildes geschah bis herauf zu den sehr konzentriert und überlegt wirkenden Montage- und Obiektbildern unter ständiger Erweiterung spezifisch eingesetzter bild- nerischer Mittel. Den Großteil der verwendeten Materialien stellen heute Fund- und Abfallgegen- stände dar, die der an der Münchener Kunst- akademie eine Klasse für Malerei leitende Künstler seiner unmittelbaren Umgebung entnimmt. Waren dies um 1960 die Haldenlandschaften und Schrotthaufen des Rhein-Ruhr-Gebietes, so sind es heute der bayrische Chiemgau und seine Relikte bäuerlichen Brauchtums, die auf Dahmen stimulie- rend wirken. Der Landschaft als geistiger Bezugs- ebene kommt dabei besondere Bedeutung zu. Dahmens „Obiektschreine" und „Polsterbilder" verbinden in ihrer assoziationsgeladenen, wenn auch zurückhaltenden, verschlüsselten Sprache Sensibilität und Manumentalität im Sinne einer neuen „landschaftlichen lkonographie" (R. G. Dienst) (6. 2-24. 3. 1973) - (Abb. 1). Galerie nächst St. Stephan Johannes Molzohn Eine verdienstvolle Retrospektive im Sinne historischen Nachholbedarfes, durch die der 1892 geborene, schon um 1912 mit Schlemmer, ltten und Willi Baumeister in Kontakt gestandene Deutsche an Hand von 40 Exponaten (sie stammten aus den Jahren 1916 bis 1953) ausreichend informativ präsentiert wurde. Molzohn, der die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit in den USA verbrachte, stellte 1917 in Berlin bei Herwarth Walden aus, war an der Gründung des Bauhauses in Weimar aktiv beteiligt, publizierte wiederholt im „Sturm" und wurde 1928 als Professor an die Akademie in Breslau berufen. Sein Werk spiegelt bis zu einem gewissen Grad alle wichtien Stile und Tendenzen der klassischen Moderne: um 1917 den von Molzohn so benannten „Geometrisierenden Jugendstil", Futurismus und Kubismus, Fortführungen des Expressionismus und neuartige Möglichkeiten einer lyrisch-konstruktiv bestimmten Raumsymbolik, die nicht zuletzt auch in Korrespondenz zum technischen Fortschritt zu sehen und zu deuten wäre. Trotz dieser hier keineswegs erschöpfend genannten Einflußsphären gelangen Molzohn immer wieder höchst eigenständige Formulierungen, die gerade im Vergleich zu anderen als Synthese bestimmter Tendenzen innerhalb der europäischen Kunst Seltenheitswert besitzen. Molzohn starb 1965 in Berlin. Ein Jahr zuvor veranstaltete das Wilhelm- Lehmbruck-Museum Duisburg die bisher größte Retrospektive (16. 1.-17. 2. 1973) - (Abb. 2). Galerie in der Blutgasse Elfriede Trautner Die Linzerin Elfriede Trautner zählt zu den Stillen im Lande. Konstant kannte man während der letzten Jahre beobachten, wie zielführend sie die Möglich- keiten der Kaltnadelradierung im Sinne persönlicher Profilierung weiterentwickelte. Die künstlerische und technische Spannweite ihrer in kleinsten Auflagen gehaltenen Blätter ist groß, Trautners Engagement am Menschen echt und von sensiblem Maß, das ohne Effekthascherei und alles Laute auskommt. In ihrer zitathaft benutzten Bildersprache überzeugen emotionsgeladene Unmittelbarkeit und Poesie. El- friede Trautner bemüht nicht die üblichen Klischees 38 einer Schwarzweißmalerei, an der viele der sogenannten „Engagierten" scheitern, sondern formuliert in allgemeiner gehaltenen, verbindlicheren Gleichnissen. Ihre Aussage gewinnt dadurch an Substanz, die über den thematischen und inhaltlidwen Anloß hinaus auch innerhalb der subtil geniitzten Technik zu fixieren ist. Eine Ausstellung, mit der Trautner der Durchbruch zur Spitze öster- reichisdter Druckgraphik gelungen ist (19. 2.-10. 3. 1973) - (Abb. 3). Galerie Klewan C. L. Attersee Die schräg gegenüber der Kunstabteilung des Dorotheums befindliche Galerie zählt zu den iüngslen Wiens. Dies zumindest im Hinblick auf das neue Ausstellungsprogramm, das einerseits auf Jugendstil und Konstruktivismus, zum anderen iedoch mit deutlichem Schwerpunkt auf die un- mittelbare österreichische Moderne ausgerichtet ist. „Reiseskizzen", Zeichnungen und Gouachen aus 1972, zeigte C. L. Attersee zur Jahreswende. Eine einfallsreiche Kollektion, davon vieles im Strich rasanter und spannungsgeladener als früher. Seine persiflierende Umwelt- und Konsumkritik entbehrt nicht erotischer Anzüglichkeiten, bezieht den Kitsch als Ausdrucksmittel ein und bedient sich folge- richtig auch seiner Elemente und Attribute. (Dies im Sinne eines modernen Kubin und nicht in den vergröbernden Klisdwees der amerikanischen Pop- Art.) Dabei geht der Selfmademan mit Esprit vor und bevorzugt eindeutig graphisch-zeichnerische gegenüber malerischen Möglichkeiten. Ein Kabarettist und Kleinkünstler, dem Zeichnung und Gouache als Exerzierfelder für Pointen dienen, deren Selbstironie und Offenheit wohl nicht nur iene verunsichert, die es in und außerhalb sport- und modebewußter Snobiety eigentlich angeht (5. 12. 1972-27. 1. 1973) - (Abb. 4). Galerie in der Dommayergasse Realismus Start einer neuen Galerie innerhalb einer Agentur für Photomodelle mit einer thematischen Zusam- menfassung, die als Fortsetzung und anregender Vergleich zur voriährigen Ausstellung „Realismus heute" der Galerie Schottenring beurteilt werden kann. Die Künstler - durchweg Österreicher und Bundesdeutsche - gehören bis auf eine Ausnahme der Nachkriegsgeneration an. Ihre Namen: Man- fred Deix, Ulrich Gansert, Fritz Hechelmann, Gottfried Helnwein und Robert Schöller. lhr handwerkliches Können gibt durch die Bank eine solide Grundlage ab. Inwieweit es freilich allen gelingen dürfte, innerhalb der gewählten Terrains und über die Realismus-Made hinaus entwicklungstähige, persönlich geprägte künstlerische Verbindlichkeit zu erreichen, bleibt vorläufig noch Gegenstand von Spekulationen. Eine interessante Schau eines begrüßenswerten Hietzinger Unternehmens, das weder Nobel- noch Underground-Galerie sein will (14.12. 1972-31. 1. 1973) - (Abb. 5). Künstlerhaus-Galerie H. Mayr, Narbutt-Lieven, Skubic, Spurey, Stiegler Die Gründung einer neuen Sektion mit einer Gruppenschau der Genannten und der Zielsetzung, angewandte Kunst, experimentelle Photographie und Camputergraphik als gleichberechtigte Konkurrenten zur sogenannten freien Malerei, Graphik und Plastik dem Künstlerhaus und seinen Bestrebungen hinsichtlich einer zeitgemäßen Strukturerweiterung zu integrieren (14. 2.-11. 3. 1973) - (Abb. 6). Galerie am Graben „angewandte kunst der gegenwart" Optimolere Ausstellungsmöglichkeiten in der Wiener City lassen sich kaum realisieren: am Graben 7 hat Frau lnge Asenboum knapp vor Weihnachten eine neue Galerie eröffnet, die in zwei Etagen geschickt genützter Ausstellungsfläche einen qualitätvollen Querschnitt dessen vermittelte, was Österreichs Kunsthandwerk in seiner progressi- ven Spitze zu bieten hat. Von Franz Josef Altenburg bis Waltraud Viehböck reichte die Skala von insgesamt achtzehn, durchweg prominenten und vielfach auch international durchgesetzten Designer-Namen. Eine repräsentative Neugründung, die in ihrer überlegten Schwerpunktbildung (Art Nouveau und moderne angewandte Kunst) eine deutliche Abgrenzung zu anderen Wiener Kunst- handelsbestrebungen darstellt (Dezember 1972 bis Jänner 1973) - (Abb. 7). Galerie auf der Stubenbastei Peter Kubovsky Das künstlerische Resultat seiner Streifzüge durch die Seinemetropole stellte der Linzer Peter Kubovsky in vierzig ausgewählten Federzeichnungen vor. Das ergab eine geschlossen wirkende Kollektive, mit der Kubovsky nachdrücklich seine Fähigkeiten als einer unserer besten und sensibel- sten Landschafts- und Vedutenzeichner unterstrich. Reizvoll und immer wieder neu: die vorgenomme- nen graphischen Akzente, Strichbiindel, Andeutun- gen, Zusammenballungen und Auflösungen, die unter Einbezug versdiiedenster Perspektiven und Stimmungen als Kampfansage gegen die bei derartigen Suiets drohende Routine zu werten sind (6. 2-3. 3. 1973) - (Abb. 8). Galerie in der Passage Ernst Zdrahal Eine neue Serie erfolgreich weiterentwickelter Farbcallagen, die in Fortsetzung und Abwandlung der amerikanisch-englischen Pop-Art stilistisch anzugliedern ist. Der 1944 geborene Wiener be- dient sich einer verschlüsselten, wenn auch plakativen Form der Gesellschaftskritik, die über die Klischees von Mode und Konsum Situation und Verhalten des heutigen Menschen beleuchtet (27. 2-25. 3. 1973) - (Abb. 9). Galerie Gras Helmut Zobl H. Zobl, 1941 in Salzburg geborener Medoilleur, dessen im Voriahr als Multiple herausgebrachter „Welttaler" einiges Aufsehen erregte, konfrontierte mit neuen Prägungen zum Thema „Mensch und Weltbild". Ebenso wie in den zumeist in Silber oder Bronze im Handprägeverfahren hergestellten „Landschaftlichen Reflexionen" gelang Zobl auch hier eine abwechslungsreiche, künstlerisch weitestgehend überzeugende Weiterführung einer von Vokabular und Technik her bemerkenswerten, impulsgebenden Umsetzung (12. 1.-17. 2. 1973) - (Abb. 10). Pressehaus-Galerie Josef Bromer Ölbilder und Zeichnungen (1970-1972) des 1948 geborenen Hausner-Schülers, ausgew"hlt von Karlheinz Roschitz, dem für diese initiative Galerie im Wiener Pressezentrum verantwortlichen künstlerischen Leiter. Bromer ist ein exzellenter Könner, mit Gefühl für Bildstimmungen und eine leicht verfremdende Poesie, der nicht nur in technischer Hinsicht manchen prominenteren Kollegen übertrifft (November-Dezember 1972) - (Abb. n). Galerie sur terrain Franz Anton Coufal Porträts und Landschaften, zahlreiche mit Verve und graphischem Esprit spontan zu Papier gebrachte qualitätvolle Zeichnungen und Skizzen, mit denen der bekannte niederösterreichische Bildhauer seine Vielseitigkeit auf einem Gebiet unterstrich, dem er sich in Zukunft stärker widmen sollte (Jänner bis Februar 1973) - (Abb. 12). Peter Baum