Siegfried Wichmann Bildreihen zur Begegnung der europäischen Kunst im 19. und 20. Jahrhundert mit dem islamischen Orient, mit Schwarzafrika und lndo-Amerika Außereuropäische Kulturen haben immer auf die europäische Kunst eingewirkt. Im I9. und 20. Jahrhundert finden gewichtige Begegnungen statt, die bis zum heutigen Tag nachweisbar sind. Die hier vorliegenden Bildreihen ebenso wie die ostasiatischen im letzten Heft zeugen dafür, daß die Völker über die Grenzen hinweg einen ständigen Austausch wünschen und in der Kunst auch realisieren. Die Bildreihen kön- nen hier nur andeutend und stellvertretend für umfassende Motivketten stehen, die von der vergleichenden Forschung in den kommenden Jahren noch gezielter zusammengestellt und ausgewertet werden können. Die hier vermerkten Kommentare beziehen sich auf die Ausstellung Weltkulturen und moderne Kunst in München 1972 oder aber gehen davon aus. Einzelne Sektionen dieser Schau sind be- reits durch Spezialforschungen erweitert wor- den, vor allem gilt dies für den islamischen Orient und die ostasiatische Keramikabteilung. Es ist daran gedacht, über den Einfluß der ostasiatischen Kalligraphie auf die europäische Malerei in einem der kommenden Hefte eine Zusammenfassung zu bringen, auch der Einfluß der japanischen Färberschablone auf die Schwarzweißgraphik des Jugendstils und Art nouveau ist ein ergiebige: zu erforschendes Thema geworden, das gesondert vorgestellt wird. Die Auswahl der hier ausgewählten Sektoren erscheint willkürlich, vielleicht gegensätzlich! Dennoch zeigt gerade die islamische Orna- mentform iene phantastische Vielfalt und Er- finderkraft, die ähnlich im Werk Paul Gauguins, aber auch in der modernen Kunst nachweisbar sind. Die hier abgebildeten Reihen geben eine Vorstellung der pluralistischen Motivationen, die notwendig sind, um durch Begegnungen Infor- mationen schöpferisch umzuwandeln. Die Auseinandersetzung der bildenden Kunst im beginnenden I9. Jahrhundert mit dem Außer- europäischen erfolgte auf verschiedenen Ebe- nen. lm Vordergrund stehen hier das Kunsthand- werk und die daraus hervorgehende Beherr- schung verschiedener Techniken und technologi- scher Einsichten, die vor allen Dingen im ersten Viertel des I9. Jahrhunderts der Vordere Orient vermittelte. Die neuen Materialien und ihre Be- herrschung führen zum Verständnis fremder Gei- stestraditionen. Die optische Präsenz in der Aus- stellung Weltkulturen hat der vergleichenden kunstkritischen Forschung Anregung und Hin- weise geliefert, hat zu den reichhaltigsten In- spirationen und zu einer aktiven ökonomischen Bearbeitung geführt, so daß die genetischen Ansatzpunkte in den Bereichen islamischer Orient, Asien, Afrika und Afro- und Indo- Amerika weiter entwickelt wurden. Für den Orient waren die Ausgangssituatianen der Bearbeitung die jüngst aufgestellten islami- sdien Abteilungen in den europäischen und amerikanischen Museen oder aber die erstmalige Präsentation islamischer Kunst nach dem zwei- ten Weltkrieg in Schausammlungen oder aber neuerbauten Museen. Wesentlicher Ansatzpunkt, das zeigte auch die hier genannte Ausstellung, waren die arabische Schrift und das durch sie beeinflußte Orna- ment. Die Schriftzeichen und ihre Ordnung in der islamischen Kunst sind ahne ihre religiöse Bindung kaum zu verstehen. Es ist überhaupt die einigende Idee über viele Länder und Zei- ten hinweg. Auch in der Begegnung der euro- päischen Kunst des I9. Jahrhunderts mit den islamischen Vorbildern zieht das Schriftornament primär in die Analogien mit ein. Aber, was noch wesentlicher ist, der Europäer erfaßte zwar erst in den Ansatzpunkten wesentliche Stimmungs- werte, nämlich die Heiterkeit der islamischen Welt. Die nostalgische Neigung des I9. Jahr- hunderts zu einem geschlossenen, islamisch wir- kenden Gesamtkunstwerk in Farm von Architek- tur, Dekoration und Inventar zeigt deutlich, daß die Idealvorstellung des irdischen Paradieses eine Art pseudomuslimischer Entrückung war, die in den Konzeptionen und Ausführungen nachvollzogen werden konnte. Auf diesen Stellenwert war in der Präsentation des Bazar- zentrums der Ausstellung Wert gelegt worden. Die Ausstellungstechnik vermittelte eine reich- haltige Gliederung und führte zu einer direkten Kommunikation mit den Dingen im Sinne von Vorbild und Abbild. Zahlreiche Kontakte zu arabischen Forschern sind entstanden, die vor allen Dingen auf die didaktischen Ansatzpunkte der Ausstellung Weltkulturen zurückzuführen sind. Ein tieferes Verständnis bei unterschiedlich informierten Interessenten für den islamisch- arabischen Kulturkreis und dessen hohe Blüte ist nachweisbar - ein Umstand, der in der Gegen- wart von großem Wert ist, da die arabischen Völker in Absicht und Ziel ihres Kunstwollens direkter verstanden werden sollten. Auf Grund des knappen Raumes wird nur auf einige Themenstellungen eingegangen werden, zahlreiche Gebiete, Sektoren und Abteilungen, mit denen sich die Ausstellung Weltkulturen beschäftigte und die sie optisch präsentierte, können hier nur aufzählend genannt werden. Der Auftakt war der Saal der Völker, in dem Bildnisse außereuropäischer Menschen vorge- stellt wurden, die von europäischen Künstlern geschaffen worden waren. Sie gliederten sich in Darstellungen des I9. und 20. Jahrhunderts, gerade dadurch waren Ansätze zu einer neuen Sicht im Bereich der Orientmalerei gegeben. Große Teile der muslimischen Abteilung wur- den durch die Architektur bestimmt, wobei die islamische Kuppelform im Mittelpunkt des Inter- esses stand. Neben der Keramik- und Glasschau waren es die Textilien und die Objekte aus Me- tall," auch diese waren von zentraler Bedeutung und führten zu einer lebhaften Forschertätigkeit. Ebenso wie die Spezialgebiete Waffen und Zu- behär bereits in den Museen der Welt bevor- zugte Präsentation genießen. Der Kolorismus der Orientmalerei wird wohl ein Zentrum der Forschung bleiben, ebenso wie die neuen Ge- biete der Bewegungsaktion, die die Kontakt- nahme mit den orientalischen Völkerschaften durch neue spontane Einzelhaltungen andeutet. Die Gliederungen, die vor allem durch Themen und Materialien besonders des alten Orients angeregt wurden, waren in der Ausstellung nur angedeutet, doch liegt auch hier ein großes Ge- biet der vergleichenden Kunst- und Sozialge- schichte und der Motivationsforschung brach, das auf Bearbeitung harrt. So ist das islamische Ornament im Bereich Archi- tektur, Keramik, Glas, Textil, Kunst am Bau ein ausgedehntes Forschungsgebiet, das in der Zu- sammensicht mit der bildenden Kunst Europas im I9. und beginnenden 20. Jahrhundert zu we- sentlichen Ergebnissen führen würde. Auch die thematische Gliederung ist vielfältig. Gerade die europäische Ikonagraphie dieses Zeitabschnittes erhält aus dem islamischen Orient noch einmal einen nicht zu unterschätzenden Impuls: Das Pfauensymbol, die Sultonsinschriften, die illumi- nierten islamischen Handschriften, die Nischen- formen und Schriftbandrhythmen, der Kufi- und TuIut-Duktus, die spiegelbildliche Wiederholung 13