ander wenig Verbindung hatten. Herodot schreibt, daß die Thraker nach den Indern das größte Volk seien, daß sie aber nie mächtig und unüberwindlich sein könnten, weil sie un- einig und ohne Oberhaupt seien. Das ist eine Feststellung aus politischer Sicht; sie kann aber wörtlich auf die Kunst übertragen werden. Als König Teres zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein thrakisches Großreich gründete, war die Basis für die Entwicklung einer wesenseige- nen hohen Kunst gegeben. Die Ansätze dazu sind vorhanden. Das Odrysenreich begann [e- doch durch innere Zerrissenheit und Bedräng- nisse van außenher schon im 4. Jahrhundert v. Chr. wieder zu verfallen. Von Beginn an wirk- ten sehr kräftige Einflüsse unterschiedlichster Art auf die thrakische Kunst ein; durch Import, durch Handelsbeziehungen und durch kriegerische Er- eignisse. Das muß nicht unbedingt ein negati- ves Resultat bringen. Auch Griechenland hat östliche Einwirkungen aufgenommen, und Rom hat etruskisches Erbe angetreten. Diese Grund- lagen wurden aber dem eigenen Wesen nach umgestaltet und zu Neuem hin entwickelt. Dazu war Thrakien nur bedingt imstande. Dern er- drückend hohen Kulturniveau vor allem persi- scher und griechischer Einflüsse war es nicht gewachsen. Mit der Gründung des Odrysenrei- ches wäre eine Entfaltung möglich gewesen; der Zeitraum aber war zu kurz. Der politische Ver- fall setzte auch der eigenschäpferischen Ent- wicklung ein Ende. So ist die thrakische Kunst durch einen Eklektizismus gekennzeichnet; und sie ist eine angewandte Kunst geblieben. Groß- plastik und Malerei fehlen völlig. Von Anfang an ist dieser Kunst eine stark geometrische Kam- ponente eigen, die auch später, als Figürliches van außen eindrang, geblieben ist. Aus ihr re- sultiert der Hang zum Stilisieren (etwas, das man vielleicht als Wesenszug des Thrakischen 8 bezeichnen könnte], sie hat zum Tierornament geführt. Gerade darin drängt sich ein Vergleich mit der Kunst der Völkerwanderung auf. Auch hier gibt es zunächst keine gefestigten Groß- reiche, auch diese Kunst ist eine angewandte geblieben, die - wie die thrakische - große Lei- stungen auf dem Gebiet der Goldschmiedekunst hervorgebracht hat. Ihre Wirkung beruht weit- gehend auf der Verschiedenartigkeit und Ver- schiedenfarbigkeit des Materials: Gold und Sil- ber kontrastieren mit bunten Edelsteinen. Etwas von dieser Farbwirkung ist bisweilen auch im thrakischen Kunstwerk zu sehen, wenn etwa Goldpartien durch silbernen Hintergrund stark abgesetzt sind. Die Ausstellung „Goldschätze der Thraker" zeigt prachtvolle lmportware, von thrakischen Künst- lern Nachgeahmtes und Nachempfundenes; sie zeigt aber auch, daß Thrakien aus den Anfän- gen seiner Kunst einen Bestand an geometri- schen Motiven bewahrt hat. Die im Lauf seiner tragischen Geschichte empfangenen fremden Wesenszüge konnten mitunter ins eigene Milieu übersetzt werden. Der Hang zum Abstrakten, der das thrakische Kunstwollen kennzeichnet, hat in "I6 der Wiedergabe des Menschen, mehr nach im Tierstil Phantastisches und Bizarres geschaffen, kleine Kunstwerke von naiver Einfachheit, ba- rocker Verspieltheit und farbiger Lebendigkeit, aus denen die fremde Herkunft immer wieder durchblickt. 16 Zierplatten eines Pferdezaumzeugs aus dem Schatz von Letnica; l. Hälfte 4. Jh. v. Chr. l._l Unser Autor: Wiss. Ob.-Rat Dr. Wolfgang Oberleitner Direktor der Antikensammlung am Kunsthistarischen Museum Burgring 5, lOlO Wien