„Es ist hier so beispiellos schön. So viel Licht. Der Sonnenaufgang heute morgen: alles in Gold- bronze getaucht, reinste Plastik, die Farben nicht fühlbar, weil die Formen alles erschlagen und das Komplementäre so ausgeglichen ist, daß die Gegensätze sich aufheben. Nur Wärme und Form. Hier wird die Notwendigkeit zur Schön- heit." Diese Zeilen aus Ospedaletti bei San Remo, datiert vom 3. Februar 1910, waren an Felix Saiten gerichtet. „Eine Momentfotogratie in Wor- ten!" hätte der für solche Impressionen sehr sensible Peter Altenberg wahrscheinlich spontan ausgerufen. Womit haarscharf das Richtige ge- troffen gewesen wäre, denn der Schreiber ienes Briefes sah die südliche Szenerie tatsächlich mit dem Blick des Fotografen: es war Josef Kainz. 1904 hatte er den Ort an der Riviera als Retiro entdeckt, angeregt durch den einstigen Burg- theaterdirektar Max Burckhard. Das idyllische Ospedaletti war damals noch ein Geheimtip für Connaisseurs des Reisens. Dort konnte Kainz mit Gerhart Hauptmann Gedankenaustausch pfle- gen, mit seinen Freunden weite Ausflüge unter- nehmen und, Gentiluomo der er war, allen Kom- fort der pompösen Luxushotels genießen, die er lächelnd „Fürstenhöfe" nannte. Niemals geht der Schauspieler ohne Kamera aus. Jedes Motiv, das ihn reizt, erfaßt er mit den besten Präzisionsoptiken der Zeit um 1905, auf Schnittfilm, Format 8x14. Und ihn reizen viele Motive: die mediterranen Landschaften, Menschen, die ihm auf Wanderungen begeg- nen, alle Wirkungen van Linienspiel, Lichtern und Schatten. Die Riviera, wie er sie sieht. Manchmal greift er zu Pinsel und Farben, aqua- relliert mit leichter Hand. (Noch auf dem Sterbe- bett konstruiert Kainz, der Praktiker, einen Spe- zialkotfer für sein Malzeug.) Aber von seinen realen Liebhabereien schätzt er die Fotografie am höchsten, seit er sich um 1890 dafür zu inter- essieren begann. Die Amoteurlichtbildnerei ist dermalen noch eine Art künstlerischer Kavaliers- sport, eine Passion für Eingeweihte, erst viel spätere Epochen des Perfektionismus sollten sie zum bequemen, raschen Knipsertum „demokrati- sieren". Mit iener Gründlichkeit und Intensität, die aus dem im Lernerfolg lange vor der Matura ge- strandeten Gymnasiasten einen beispielhaft uni- versalen Geist machten, eignet sich Kainz auto- didaktisch auch die theoretischen Kenntnisse und die Technik des Fotografierens an. Schon im Badezimmer seiner Berliner Wohnung richtet er ein fachmännischen Ansprüchen genügendes La- bor ein und experimentiert nach den verschie- denen, noch recht umständlichen Methoden. Er beschafft sich die einschlägige Literatur: Werke über Chemie, Physik, Optik und Apparatekunde, dazu Stapel von Fachzeitschriften. Nach seinen eigenen Worten wird die „Kunst des Nachschla- gens" viel zuwenig geübt - nun, Kainz selbst beherrscht sie ebenso virtuos wie das kostbare Instrument seiner Stimme. Während seiner Wie- ner Jahre im Döblinger Cottage wird die große, wertvolle Bibliothek dann noch um Bücher über Astronomie, Botanik und Geologie bereichert. („Mit dem Hammer ein bisserl herumgehen und nachschauen.") Besonders fasziniert ihn von Anfang an die Selbstaufnahme. Das Eigenkonterfei bietet Kainz eine fast magische Begegnung mit sich selbst, ist dem Unermüdlichen Hilfe beim mimischen Erar- beiten und Vertiefen seiner Rollen. Auch ist das Foto zu der Zeit das einzig Bleibende, das als Dokument einen Abglanz der schauspielerischen Leistung bewahrt. (Später gehört Kainz zu den ersten prominenten Österreichern, deren Stimm- 6 porträts phonographisch festgehalten werden: Blühende Agaven ge en das Meer, Ospedoletti. Aufnahme von Josef ainz, 1905 Knabe auf einem Esel in einer Schlucht reitend. Ospedaletti. Aufnahme von Jasef Kainz, 1905 Hotel Metropole, Palmengruppe im Vordergrund, Ospedaletti. Aufnahme von Josef Kainz, 1905 Josef Kainz fotografiert. Gießbach, Juli 1907. Aufnahme Marie Mautner-Kalbeck Blick in das Bibliothekszimmer mit Schreibtisch von Josef Kainz. Seine persönliche Sphäre neue-max 29