I Aktuelles Kunstgeschehen I Österreich Wien Graphische Sammlung Albertina Brasilianische Graphik der Gegenwart Im Anschluß an die Würdigungsausstellung der kunsthistorischen Verdienste des vormaligen Albertina-Direktors Heinrich Benesch zeigte die Albertina eine breit angelegte Gruppenausstellung unter dem Motto „Brasilianische Graphik der Gegenwart". Wie zumeist bei derartigen Unter- nehmen, die von varneherein ein zu breites Spektrum ansteuern, hätte auch in diesem Fall eine straffere Auswahl Qualitätssteigerungen und ein Mehr an Übersichtlichkeit zur Folge haben können. Trotzdem war der gebotene Einblick in die Kunst dieses so vitalen und aufstrebenden Landes inter- essant und für Vergleiche mit der Situation der Graphik in unseren Breiten aufschlußreich. Der künstlerische Pluralismus der Moderne kennzeichnet freilich auch die brasilianische Kunst- szene. Relativ eigenständig wirken demgegenüber die Holzschnitte von Volkskünstlern aus dem Nordosten Brasiliens. Die von offiziellen brasiliani- schen Stellen organisierte Schau umfaßte insgesamt 136 Arbeiten von mehr als vierzig Künstlern, darunter den auch in Europa gut bekannten Radierern Arthur Luiz Piza und Isabel Pons. Der lange Zeit hindurch in Brasilien beheimatete Österreicher Axel Leskaschek war erfreulicherweise mit einer Auswahl seiner markanten Holzschnitte gleichfalls vertreten. (30. 1.-2. 3. 1975) - (Abb. 1, 2) Museum des 20. Jahrhunderts Gerhardt Maswitzer Böse schöne Welt Gerhardt Maswitzer, der nunmehr in einem Wiener Atelier arbeitende steirische Plastiker, macht aus seiner Kunst nicht viel Aufhebens. Er betreibt sie allerdings mit Zähigkeit und Bestemm, unbekümmert um Betriebsamkeit und wissend um die Relativitäten sogenannter Erfolge. Maswitzer zählt seit Jahren zu den Stillsten unter Österreichs führenden Künstlern der Generation zwischen dreißig und vierzig, verstand es iedoch immer wieder, durch gleichermaßen eigenständige wie konsequente Leistungen zu überzeugen. Gleiches kann auch von seiner - eher kleingeratenen und bloß in den Nebenraum gedrängten - Personale behauptet werden, die Zeichnungen und Skulpturen der letzten zehn Jahre umfaßte. Der gebotene Überblick war instruktiv, klar gegliedert und insbesondere im Bereich der dominierenden kleineren Arbeiten van sehr beachtlicher Qualität. Otto Breicha, dem der informative Katalog über den Künstler zu danken ist, brachte in einem ausführlichen Vorwort Moswitzers Werk auf den treffenden Kurznenner: „Seine Plastik, durch so viele höchst persönliche Überlegungen bestimmt, riskiert es, als Sonderfall einer Sanderentwirklung mißverstanden zu werden." Die leise Warnung, die diesem Satz zu entnehmen ist, bleibt weiterhin aufrecht. Als nur selten qualitätsvoll erwies sich hingegen die im umfassenden Katalog als „die größte und vollständigste Kunstsammlung der Naiven Jugoslawiens" bezeichnete Sammlung des Journa- listen Gerhard Ledic. lhre parallel zu Maswitzer vorgenommene Präsentation stellte in aller Deutlichkeit die Macht und Ohnmacht heutiger naiver Kunst unter Beweis. Auch hier hätte man durch entsprechende Reduktion ein ungleich schwerer wiegendes Mehr erreicht. Diese Überlegung drängt sich um so mehr auf, denkt man etwa an die in anderen Sammlungen und Museen befindlichen frühen und wichtigen Werke der iugoslowisdien Väter dieser inzwischen zu einer regelrechten Kommerzmode umfunktionierten Bauernmalerei. Trotz dieses generellen Einwandes gab es Lohnendes, Markantes und Echtes zu sehen. Es war nur schwierig, derartiges herauszufinden. (12. 3-20. 4. 1975 und Februar-April 1975) - (Abb. 3, 4, 5) 38 Secession Armin Holzner Während im Hauptraum die später noch in unserer Zeitschrift näher behandelte Ausstellung „Aspekte der Düsseldorfer Kunstszene" zu sehen war, präsentierte die Secessionsgalerie den 1942 in Innsbruck geborenen Tiroler Armin Holzner. Holzners Bildobiekte, die schon seit längerem die reine Tafelbildmalerei verlassen und ins Räumliche verstoßen, vereinen Elemente eines peniblen, oftmals geradezu augentöuschenden Realismus mit gewissen Momenten barocker Freskokunst. Holzner entwickelt in seinen gekonnten Bildern eine anregende Doppelbödigkeit, die zwar den Einfall, die Bildidee, nicht außer acht läßt, allerdings primär aus der Malerei und ihren gut aufeinander bezogenen Qualitäten formaler und farbiger Art lebt. Eine erfreuliche Entwicklung! (25. 1.-15. 2. 1975) - (Abb. 6) Galerie Ariadne Allen Jones Allen Jones, 1937 in Southampton geboren, zählt seit Jahren zu den führenden Künstlern der internationalen Pop-art. Er empfing richtung- weisende Impulse durch langiährige Aufenthalte in den USA. Sein bevorzugtes Thema ist die Frau, die von Jones als Sexsymbol und Fetisch einer überkommerzialisierten Industriegesellschaft inter- pretiert wird. Die im Anschluß an Wien auch von der Linzer Neuen Galerie präsentierte, von George McGuire nach Usterreich gebrachte Ausstellung enthielt 37 Exponate, darunter eine Reihe äußerst großer neuer Ulbilder, die in überzeugender Weise die malerischen Fähigkeiten des Engländers im Sinne einer sehr symptomatischen Zeitbezogenheit und Zustandsschilderung unter- strichen. (Dezember 1974-Jänner 1975) - (Abb. 7, B) PeDeGalerie Elisabeth Schwarzmüller Die Ausstellung muß als echte Entdeckung einer auf bestem Wege befindlichen malerischen Begabung gewertet werden. Die iunge Künstlerin, Jahrgang 1950, absolvierte 1973 die Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie studierte dort bei Hollegha und Mikl, verrät allerdings in ihren kraftvollen, großen Bildern eher eine gewisse Verwandschaft mit Francis Bacon. Mit Vorliebe greift sie Szenen des Alltags heraus, Streiflichter von Parties, einen Boxkampf, Kinderköpfe. In durchaus eigenständiger Fortführung des Expressionismus, doch mit Blickrichtung auf eine sehr malerische neue Gegenständlichkeit, charak- terisiert sie so ihre Umwelt mit gelassener Direktheit. Erstaunlich, wie ihr derartiges von der Hand geht. Erstaunlich auch, welch große Formate Elisabeth Schwarzmüller bewältigt und mit welchem Einsatz sie am Werk ist. (7.-29. 3. 1975) - (Abb. 9) Galerie Würthle Linde Waber - Zeichnungen Die Künstlerin, die erst voriges Jahr im Öster- reichischen Museum für angewandte Kunst in einer Ausstellung ihre Holzschnitte zeigte, präsentierte hier erstmals nur Handzeichnungen. Es waren Rahrfeder- und Pinselarbeiten, die ab und zu mit Sepia ergänzt wurden. Von den rund 40 Graphiken waren die meisten Landschaften, im besonderen Stadtlandschaften. Bestechend: die Aufteilung der Dunkel-Hell-Werte und die eindeutige Beherrschung der Fläche. Die Liniengefüge saßen so fest verspannt im Blatt, daß sie auch dort, wo sie sich imaginär über den Blattrand fortsetzten, ein dichtgeordnetes Gefüge festhielten. (15. 1.4. 2. 1975) - (Abb. 10) Galerie Schwarzer Franz Traunfellner Mit über 70 Blättern wurde der Waldviertler Künstler ganz groß in Wien vorgestellt. Für den Kenner waren die meisten Holzschnitte nicht neu, die Radierungen und Lithographien werden aber auch iene, die Traunfellners Werk aufmerksam Peter Baum verfolgen, überrascht haben. Da gibt es Winter- landschaften mit hohen Horizonten, die an gewisse Rembrandt-Radierungen erinnern. Weiche Töne beim Lithographieren zeigen uns einen anderen, malerischen Traunfellner. Es sieht aus, als würde sich hier ein neuer Weg in der langsamen und stetigen Entwicklung des Künstlers anbahnen. (7- 1-4-2- 1975i Alois Vogel Salzburg Galerie Academia Wolfgang Hutter Aus Anlaß dieser Ausstellung eines Portfolios „Die Zauberflöte" mit sieben Radierungen und zehn Farblithographien von Wolfgang Hutter erschien nun auch ein kleines Büchlein mit Abbildungen aller Graphiken und mit einem Begleittext des Künstlers [Preis S 70.-). Die Originale der Mappe selbst entstanden 1973l74, ediert als Koproduktion verschiedener Verlage in aller Welt (S 22.800,-). Die Blätter sind hervorragend gedruckt, Vogelmenschen, Tempelbezirke und Wälder des Märchens, ein geradezu „klassischer" Vorwand für Hutters reizvolle Fabulierkunst. (14.-19. 2. 1975) Hans Krenn Der 43iährige Architekt lebt in Wien und im Wald- viertel; 1970171 unterrichtete er an der Florida Technological University Malerei und Druckgraphik. Krenns phantastische Malerei hat kaum etwas mit der der sogenannten „Wiener Schule" gemeinsam. Inwieweit aber trotzdem ein eigen- ständiger Weg in einer Malerei eines „Phantasti- schen Realismus" beschritten werden könnte, läßt sich am Beispiel dieser Ausstellung schwer sagen, da diese Bilder viel zu sehr auf geistigen wie formalen Wiederholungen einer bestimmten künstlerischen ldee beruhen. (20. 2.-15. 3. 1975) Galerie Achleitner Wilhelm Kaufmann und Roland von Bohr Der Salzburger Maler Wilhelm Kaufmann hat eine Mappe mit 15 Lithographien „Zwischen Wasser und Urwald" zum 100. Geburtstag von Albert Schweitzer geschaffen. Kaufmann hatte während mehrerer Aufenthalte in Lamborene dort freiwillig als Bauarbeiter gearbeitet. Seine Bilder - völlig frei von ieder Sozialtourismusexatik - setzen der Tat Schweitzers ein würdiges Denkmal. Der Bildhauer Roland von Bohr, der wie Kaufmann ein Atelier im Salzburger Künstlerhaus besitzt, hat seinerzeit schon bei der Ausstattung von Clemens Holzmeisters erstem Salzburger Festspiel- haus Entscheidendes geleistet. Bohrs Werk trägt das Zeichen hohen handwerklichen Könnens in sich, sein „Naturalismus" ist ebenso humorvoll wie streng. (25. 2-26. 3. 1975) Galerie in der Goldgasse Rolf Märkl Der 43iährige Bildhauer, der in Rasenheim lebt und arbeitet, verleiht seinen „stämmigen" Eichenholz- Skulpturen einen eher elementaren als archaisierenden Ausdruck. Eine echte Überraschung im Salzburger Ausstellungsleben bilden Märkls ganz hervorragende Holzschnitte, in denen, erotisch und expressiv, das Thema der menschlichen Gestalt überzeugende Variationen findet. (2-29. 3. 1975) - (Abb. 11) Galerie Welz Marc Chagall Den 105 Radierungen der von Ambroise Vollard in Auftrag gegebenen und nach dessen Tod vom Verleger Teriade edierten „Chagall-Bibel" gesellten sich in dieser vorzüglich gehängten Ausstellung 40 Farblithographien Chagalls zum Thema der Bibel zu und bildeten so ein sehr eindrucksvolles künstlerisches Ereignis. Der Zyklus hatte immer schon viel Aufsehen erregt, iedesmal aber „ist man besiegt; da bleibt nichts mehr zu sagen", wie Chagall selbst einmal van der Graphik Rembrandts gesagt hat, denn „er hat ganz einfach seine Bilder gelebt wie ein biblischer Ahne".