Udo Kultermann Der Rot-Blau-Stuhl von Rietveld ln der modernen Möbelkunst verdient ein Werk, in dem sich die neuen Gestaltungstendenzen kri- stallisiert zu haben scheinen, besondere Beach- tung, der Rot-Blau-Stuhl von Gerrit Thomas Riet- veld. Der 1888 geborene Architekt und Möbel- künstler Gerrit Rietveld gehört der Generation Le Corbusiers und Mies van der Rohes an und hat sich wie diese beiden großen Baumeister ne- ben der architektonischen Arbeit auch in grund- legender Weise der Möbelgestaltung für das moderne Haus gewidmet. Sein Vater war Möbel- tischler. Schon im Alter von elf Jahren trat er als Lehrling in die Werkstatt seines Vaters ein, wo er etwa sieben Jahre lang, also bis um das Jahr 1906, tätig war. Bereits um 1900 arbeitete Rietveld die Tische und Stühle für das Schlaß Zuilen, die somit Arbeiten eines Zwölfjährigen sind. Überraschend ist schon hier die Einfachheit und Klarheit der Konstruk- tion und Reduktion der Grundformen aufden rech- ten Winkel. Deutlich sind auch die Verbindungs- linien zu den späteren Stühlen Rietvelds,etwa zum Berliner Stuhl und zum Millitary-chair von 1923. 20 Erstaunlich und beinahe unbegreiflich wirkt da- neben die weitere Entwicklung des Lehrlings in der väterlichen Werkstatt, die zu einem immer stärkeren Kontrast zwischen den genialen Lei- stungen von 1900 und den übrigen in [ener Zeit entstandenen Werkstattarbeiten führt, die noch in historisierender Art prunkhaft gestaltet waren und selbst von der Linearität des Jugendstils noch nicht berührt waren. Sa zeigen die Möbel für die lnnengestaltung der Hypothekenbank in Utrecht, die Rietveld etwa um 1906 gearbeitet hat, den Fehlgang seiner weiteren Entwicklung, der erst durch den großartigen Rot-Blau-Stuhl überwunden scheint. Da weitere Vergleichsstücke aus den Jahren von 1900 bis 1915 fehlen, ist es schwer, eine exakte Untersuchung des Rietveldschen Frühwerkes vor- zunehmen. Der Rot-Blau-Stuhl erscheint als ge- niales Ergebnis ohne Vorstufen, er steht unver- mittelt da und kann lediglich durch die Beschäf- tigung Rietvelds mit den Arbeiten des großen amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright erklärt werden. Das Werk Wrights war in Europa erstr durch die beiden Veröffentlichungen des ' muth-Verlages in den Jahren 1910 und bekannt geworden. Darüber hinaus hat Reihe von europäischen Architekten die wir sten Bauten Wrights auch in Amerika ges (Adolf Loos, Hendrik Petrus Berlage, R: van't Hott). Die Beeinflussung dieser Archit: war in allen Fällen nachhaltig. Auch Rietveld muß von dieser Welle des Wi Einflusses ertaßt worden sein. Im Jahre lernte er den Architekten Robert van't Hoff nen, der ihn mit den Ideen und Forrngeda Wrights vertraut gemacht haben könnte. E einen speziellen Auftrag kann diese Verbin jedoch noch enger gesehen werden. Der ß tekt Robert van't Haft hatte für die Familie loop in Huis ter Heide, Ruysdaellaan 2, ein gebaut, dessen Formgestalt deutlich die Nac kungen des Werkes von Frank Lloyd Wrigl kennen lüßt. Der Bauherr, der vom Werk Wrights tasz war und es aus Fotografien gut kannte, wün