zeichnete. Es war einst seinem berühmten Vor- fahren, Lukas Cranach d. Ä., von seinem fürst- lichen Gönner, dem Kurfürst Friedrich dem Wei- sen, verliehen worden. Angesichts eines Steck- kamms aus Horn" mit abstrahiertem BIütenmo- tiv (Abb. 6 - eine Variante befindet sich in süd- deutschem Privatbesitz) bemerkt S. Wichmonn" mit Recht, daß die Form derartiger Stücke zwei- fellos auf motivische Anregungen zurückgeht, die W. L. von Cranach von chinesisch-iapani- schen Vorbildern empfangen hat. Die stilisierte Wiedergabe eines auf einer Kugel balancieren- den Pelikans" aus vergoldetem Silber in Gestalt eines Sdiirmgriffes, bei dem der Knauf aus Katzenauge besteht (Abb. 17), beweist, daß W. L. von Cranach offensichtlich Werke des in Berlin lebenden bedeutenden Tierplastikers August Gaul (1869-1921) gekannt hat. Von be- sonderem Reiz ist ein etwas drall geratener Fisch (Abb. 12, 13 - 2,2x3,7 cm) als Anhänger an einer silbernen Kette (Gesamtlänge 42 cm - Mündien, Privatbesitz)". Vorder- und Rückseite des originell geformten Fisches sind nicht kon- gruent. Die eine Körperseite und der Kopf be- stehen aus je einer Barockperle, während zart- farbiges Email (hellgelb, hell- und dunkelbraun, gelblich- und bläulichgrün) die anderen Teile bedeckt, wobei die Augen aus gelbgold gefaß- ten Smaragden bestehen. Von zartester Ele- ganz ist ein Blütenzweig in Gestalt einer mit Spitzperlen und kleinen Brillanten besetzten Vor- stecknadel (Abb. 8, 9). Sie ist rückseitig signiert (Hannover, Privatbesitz). Wie ein Anhänger (Abb. 14) ist sie vor 1903 entstanden. Sie wurden von W. von Bade veröffentlicht". Seiner Einmaligkeit wegen stellen wir ein sehr typisches Schmuckstück von W. L. von Cranach an das Ende unserer Betrachtung (Abb. 16). Inmitten der Tafel VI ist es in der Publikation von W. von Bode abgebildet. Für W. L. von Cranach ist das Werk deshalb bedeutsam, weil es zusammen mit anderen auf ihn zurückgehen- den Schmuckstücken auf der Pariser Weltaus- stellung des Jahres 1900" zu sehen war. Sie brachten ihm dort die Goldmedaille ein. Bis zum Jahre 1970 war die Goldbrosche im Besitz von Louis Werner in Berlin, anschließend bei dem Erben der Juweliersfirma. Seither befindet sie sich im Privatbesitz in München". Auf der Rück- seite ist sie mit WLC signiert. Als Datum der Entstehung ist an der gleichen Stelle die Jahres- zahl 1900 eingraviert. Von überdurchschnittlicher Qualität ist das besonders sorgfältig ausge- wählte Material. Die Goldbrosche mit den re- spektablen Ausmaßen von 9,5xB,5 Zentimetern ist mit Brillanten, einem großen Rubincabochon sowie mit kleineren Rubinen besetzt, die auf Amethyste gesetzt sind. Zur Fassung gehören ferner zwei ungewöhnlich große rosafarbene Barodrperlen von abnormer Form, ein Topas sowie eine Tropfenperle. Die Brosche ist rot, grün und blau emailliert. Das Thema ist singu- lär. Es ist möglicherweise ostasiatischer Pro- venienz. Dargestellt ist hier, wie ein zur Fauna der submarinen Welt gehärender Polyp (ein Octopus vulgaris) im Begriff ist, einen märchen- haft bunten Schmetterling zu erwürgen. Die Ge- stalt_ dieses „SommervogeIs", wie er früher in einigen Gegenden in Deutschland genannt wurde, entstammt eindeutig dem Phantasiebe- reich. Merkwürdig ist bei dieser Szene, wie der- artige Lebewesen, die im wahrsten Sinne des Wortes Antipoden sind, überhaupt physisch mit- einander in Berührung kommen konnten. Das transitorische Moment besteht hier darin, daß in jedem Augenblick aus der Tragödie eine Katastrophe werden kann, die, wie vorauszu- sehen ist, mit dem Tod des einen Kontrahenten enden wird, der von seinem ungleichen Part- 26 rier rätselhafterweise angegriffen wurde. Nach dem Urteil von N. Pevsner" ist die Brosche ein bezeichnendes Beispiel „für den Anteil, den Na- tur und Stilisierung am Jugendstil haben", wo- bei gleichzeitig bei der Komposition bemerkt wird, doß man diese sicher auch „ebenso und wahrscheinlich vorteilhafter abstrakt" hätte ge- stalten können. Der äußere Anlaß für die Grund- konzeption dürfte vermutlich zunächst einmal in der sinngemäßen Verwendung der beiden rosa- farbenen großen Barockperlen zu suchen sein, die, vom Werkstoff her gesehen, der Brosche ihren singulären Charakter verleihen. Im Schmuck W. L. von Cranachs hat die Schmet- teriing-PoIyp-Brosche einen Vorläufer in Gestalt des Anhängers mit der Darstellung des Cranach- schen Wappentieres: einem Paar gegenständi- ger geflügelter Schlangen, die um eine Barock- perle gruppiert sind (Abb. 11). Verglichen mit diesem vermutlich früher entstandenen Werk ist iedoch die SchmetterIing-PoIyp-Brosche in noch stärkerem Maße als künstlerisch zwingende Einheit erfaßt und als solche gestaltet worden. Dem widerspricht nicht, daß mit Hilfe der Ein- fassung durch aneinandergereihte kleine Brillan- ten der Kontur der Schmetterlingsflügel optisch weitgehend entwertet ist, ein Motiv, das sich be- reits bei dem Anhänger mit der Distelblüte" fin- det (Abb. 14). Man beachte, welch genialer Ein- fall in formaler Hinsicht darin besteht, wie die bewegten Tentakel des Polyps die Konturen der Schmetterlingsflügel abgewandelt wiederholen. Trotz des dem Stück in einer oberen Relief- schicht auferlegten Lineaments ist die Kompo- sition in sich streng symmetrisch. In geradezu klassischer Weise ist sie einem gleichschenkligen Dreiedr einbeschrieben. Wie. N. Pevsner richtig gesehen hat, sind bei der Brosche viele beliebte Jugendstilmotive miteinander vereinigt. Wenn man von ihrer äußeren Gestalt, die in faszinie- render Weise zum „BiId" geworden ist, einmal absieht, gilt dies in gleicher Weise für die hier durchgeführte thematische Gestaltung. Sie um- faßt zweifellos mehrere Bedeutungsschichten. Als jeweiliges Gegensotzpaar sind hier ebenso reine Schönheit einerseits und abstoßende Häßlichkeit andererseits", ia vielleicht Tugend und Laster, möglicherweise Licht und Finsternis, Leben und Tod, Jugend und Alter symbolisiert, abgesehen davon, daß hier auch der unüberbrückbare Ge- gensatz des Aufeinanderprallens zweier einan- der feindlich gesonnener Elemente, von Luft (I Schmetterling) und von Wasser (: Polyp), gezeigt ist. Die erstaunliche Vielfalt der sidi hier gedanklich anbietenden Interpretationen Iäßt ie- denfalls klar erkennen, daß der Symbolismus eine der stärksten Wurzeln ist, aus denen die Stilbewegung des Art Nouveau erwachsen ist. Die1900 entstandene Schmetterling-PoIyp-Brosche ist eines der schönsten Stücke, welche die Schmuck- kunst des nur kurze Zeit währenden Jugendstils hervorgebracht hat, abgesehen davon, daß sie audi eindeutig die Krönung der Schmuckstücke ist, die von Wilhelm Lucas von Cranach entworfen wurden. Die Schmuckkunst des Jugendstils ist auf Grund ihrer hervorragenden Qualität in der kunsthandwerklichen Verarbeitung und in der be- sonderen Art der Themenstellung die einzige, die man an die Seite des Schmucks des 16. Jahrhun- derts stellen kann. Beiden Epochen gemeinsam ist, daB ihr meist polychromer Schmuck in erster Linie Künstlerschmuak ist, der primär nach künst- lerischen Gesichtspunken entworfen wurde. Auf den Schmuck beider Stilrichtungen paßt iedenfalls das Zitat von Charles Holme nach John Ruskin" vorzüglich, mit dem wir schließen: ...„the Iove- liest things are those which the least usefuI",über- setzt: Die hübschesten Dinge sind die, welche am wenigsten nützlich sind. 7 W. L. von Cranach, Anhänger: Das Schlangen- nest (1918). Gelbgold, gegossen, mit Smaragden, Diamanten, Rubincabochon, Saphiren und Perl- muttplatte mit drei angewachsenen Perlen Länge der Kette: 50 cm; Anhänger: 4,2_5 x 3,6 crri Pforzheim, Schmuckmuseum im RBUChIIHhOUS B 9 W. L. von Cranach, Vorstecknadel (voi 1903). Vorder- und Rückansicht. Blüten unc Früchte; Gold, Email, Spitzperlen _und klElnE Brillanten. Monogramm WLC (rückseitig) 10 W. L. von Cranach, Giirteltasche (vor 1903) Graues Leder. Bügel: Schlangen, Silber ver- goldet 1l W. L. von Cranach, Anhänger (vor 1903). Wap entier der Familie von Cranach: Geflügelte chlangen und Barockperle 12 13 W. L. von Cranach, Anhänger: Fisch (Karp fen?) (vor 1903). Vorder- und Rückseite._Körper Kopf: Barockperle. Augen: Smaragde, in Golc gefaßt. Zortfarbiges Email, kleine Brillanten 14 W. L. von Cranach, Anhänger: Distelblüte (voi 1903). Blätter grünes Email, eingesprengte Dia manten. Blüte: durchsichtiges, violettes Emai 15 W. L. von Cranach, Schuhknäpfer (vor 1903) Schlangengriff Silber, mehrfarbig vergoldet 16 W. L. von Cranach Brosche: Schmetterling vor Polyp erwürgt (1900). Flügel: Email mit Brillant einfassung. ärper: rasa Barockperlen, Rubin: und Topas _ _ _ 17 W. L. von Cranach, Schirmgriff: Pelikan (vo 1903). Silber, mehrfach vergoldet. Knauf: Katzen auge Anmerkun en 11-21 " W. v. ode, Werke moderner Goldsdimiedekuns a. a. 0., Taf. XII. " S. Wichmann, Weltkulturen und Moderne Kuns Ausst. München 1971, Kot-Nr. 1270. Zu dem oben gl nannten Stüdr (14,? x 7,5 cm) hat sidi das zeitge nössiscfie Lederetui erhalten. Auf den Innenseiten stel (oben): „Gebr. FriedlaenderlHaf-JuwelierelSr. Mai. r KaiserslBerlin W."," (unten): der Faksimilenamenszug moderner W. L. von Cranach . Goldschmiedokuns a. a. 0., Taf. XII (rechts unten). "W. (v.) Bade, Werke "Ebenda, Taf. XVI und XVll. Hier sind die Darstellung: von Fischen (Karpfen?) bei Anhängern, Broschen und a Griff von Petschaftan verwendet. lt Den Hinweis auf dieses Stück verdanke ich Herrn D H. J. Heuser in Hamburg. - W. (v.) Bode, Werk moderner Goldschmiedekunst, a. a. O., Taf. VIII (Mitte "Amtlicher Katalog des Deutschen Reichs. Weltausstellun in Paris 1900, Nr. 4573, S. 363 unter „EinzelausstelleW " Auch zu diesem Stück hat sich as Originaletui erhaltet Außer dem Faksimilenomenslu des Künstlers ist dari das Signet der Firma: Louis erner, Berlin, angebrach S. Wichmann, Secession. Europäische Kunst um Jahrhundertwende. München 1964, Ausst.-Kot. Nr. 740 Kunstpreisiahrbucfi 196911970, Bd. XXV, S. 193 (m Abb.). - G. Woeckel, Vorwort zu: Kunstpreisialirbui 197011971, Bd, XXVI, S. 9110. - G. Woeckel, Kunst des Ji gendstils als internationale Wertanlage in: Alle und Mi gerät; Kunst, 1241125, 1972, S. 73 ff.; bes. S. 77 mit Abi " N. Pevsner, Der Beginn der modernen Architektur ur des Design, Köln 1971, S. 7B mit Abb. 65, S. 76. " W. (v2) Bade, Werke moderner Goldsdimiedekuns a. a. ., Tof. XVI (zweite Reihe, 1. Stüdr von links " Es wäre ikonographisdi lohnend, wenn man sich ei mal mit dem im Jugendstil häufig dargestellten Therr beschäftigen würde, bei dem „Schänheit" vom „Toc bedroht ist. In den leichen Typenkreis gehört u. - eine Darstellun , bei er eine "ugendhaft sdibna Sirei von einem Poypen bedroht zw. erwürgt wird. l findet sich beispielsweise auf einem Tintenfaß ai Bronze dargestellt Usterreidi um 190D?) sowie als Tonr auf einem vielfar igen Emailteller aus Kupfer (vs Ernestine Mills, Schülerin von Alexander Fislier, u 1910). Vgl. G. P. Woeckel, Jugendstil-Sammlun Kasse Ausst.-Kot. Nr. 173 mit Abb. (ietzt im Besitz es Bac sdien Landesmuseums in Karlsruhe) und in einem a deren Ex. im Besitz von Andre Breton. Vgl. M. Rheim a. a. O., Nr. 457 mit Abb. Ein drittes Ex. ist in der Sl F. W. Neess in Frankfurt1M. - D. J. Janson, Fro slove to sireri. The Victorian woman ond her )ewel from Neaclossic to Art Nouveau. The Duke Universi Museum of Art, Durham, North Caroliria. Ausst. 197 Kat.-Nr. 227 mit Farbtaf. auf dem Umschlag. "Ch. Holme, Modern Design in Jewellry und Fans, Tl Studio, special Winter number 1901-1902, S. 7 - Z nach: J. Dennerlein, Jugandstilsctimudc in: Die Grüne thal-Woage, 3, 1967, Bd. 6, S. 123 ff. III Unser Autor: Dr. Gerhard P. Woeckel Zentralinstitut für Kunstgeschichte! Forschungsunternehmen Meiserstraße 2 Z-München