:0 Antonia Graf 3er den notwendigen auguß der Bildnerischen ziehung Lußi die Toien ihre Toten begraben. Jesus von Nazcreih. Volentum fata ducunt, nolentem trahunt. Ich übersetze: Wer der Zukunft feindlich gegenüber- tritt, kann nicht wahrnehmen, was sie im Schilde führt; wer ihr aber angestrengt nachfolgt, der sieht, wohin die Reise geht. Hat die Bildnerische Erziehung eine gute Zukunft zu erwarten? Hat sie, was etwas ganz anderes ist, eine solche zu fordern? Kaum lösbare Konflikte entstehen,wenn die Erwartungen, die in die Sache gesetzt wer- den, mit den Möglichkeiten gegenwärtiger Gei- stesabwesenheit zusammenstoßen. Dies ist, wie nicht anders zu erwarten, dort der Fall, wo die Lehrer ihre Ausbildung erhalten, an den Kunst- akademien. Was soll da nicht alles getan wer- den? Der Student soll einmal, so wollen es die einen, die Interessen der akademischen Hoch- kunst im Erziehungssystem vertreten, das Volk zum Künstler hinführen (die letztere Formulie- rung stammt von Loas). Er soll kunstgeschicht- Iiche Kenntnisse verbreiten. Selbstverständlich fehlt nicht der diffuse, aber weit verbreitete Wunsch nach einem allgemeinen, entlastenden Alibi in Sachen „Kunst und Kultur", von denen kaum iemand weiß, was man sich darunter vor- zustellen hat. Die Kinder sollen nicht nur malen und zeichnen lernen und ihre schöpferischen, künstlerischen Fähigkeiten, deren Existenz em- phatisch beiaht wird, entwickeln; man will sie auch in einer allgemeinen „visuellen Sprache" und Ausdrucksföhigkeit ausgebildet sehen. Die Möglichkeit, daß sich die Schüler austoben und den aggressiven Druck der Fächer, die mit dem Nichtgenügend drohen können, abreagieren, wünschen andere Menschenfreunde, die resigniert haben, gewährleistet zu sehen. Strenge Mensch- heitsfreunde, deren Resignation noch aussteht, erklären mit der Naivität, die nur der buntfarbi- gen Theorie entspringt - das Leben ist etwas grauer -, das alles zum apolitischen Unfug und Unsinn und verlangen, daß den Schulkindern kri- tische, politische Bewußtseinserweiterung und Aufklärung zuteil werden müsse. Die Technokra- ten treten auf den Plan, fordernd, daß techni- sches Werken und Zeichnen der Berufsausbil- dung in der industriellen Gesellschaft konstruk- tiv zu dienen habe! Zum Schluß erheben die Freunde einer Erziehung zu „allgemeiner Krea- tivität", was immer das sein möge, ihre Stimme, unterstützt vom Gemurmel der viel zu zahlrei- chen Absolventen der Akademien, die ihre Faul- heit auf Kosten von Gevatter Staat subventio- nieren Iassen. Selbst an solchen herrscht aber Mangel... Den Abschluß des Festzuges bilden die Theologen des Todes der Kunst, denen die ganze Angelegenheit ein idealistisches Greuel bedeutet und das eine oder andere angehängte, noch feuchte Kalb, das etwas von neuen Inhal- ten muht. Das ist alles leider wahr und gar nicht lustig. Ebenso wahr ist die geringe Zahl der Schul- stunden, in denen die Menschheit so ideenreich beglückt werden soll und die weiter gar nicht so seltsame Tatsache, daß in der Brust iedes einzelnen Vertreters der Bildnerischen Erziehung mindestens drei oder vier dieser Stimmen strei- tendes Konzilium halten. Alles blickt gespannt auf das neue Institut an der Akademie, aus dem das Licht der Weisheit und Einheit erstrahlen sall, um endlich ein siche- res System, das alle Fragen auflöst, zu gebären. Ein solches System könnte nur eine Zensurbe- hörde sein, die bestimmte Fragen erlaubt, an- dere aber, nämlich die den Fragenden ieweils wirklich interessierenden,verbietet und verdrängt. Damit wäre in Wahrheit niemandem geholfen. Warum denn nicht? Die Akademie lebt nicht außerhalb der Gesellschaft, in der alle diese Vor- stellungen (und mehr!) mit Energie vertreten werden. Komplizierte Gesetze und die Reform der Hochschulen dürfen wir nicht vergessenl Also muß das Institut inmitten der Konflikte leben und den Studenten Menschlichkeit zu lehren ver- suchen. Was soll das wieder heißen? Nichts anderes, als die Fähigkeit, Konflikte ohne Ver- zweiflung zu ertragen und geduldig am Fort- schritt der Welt mitzuwirken. Stehen wir nicht vor einem unlösbaren Dilemma, wenn wir den iungen Leuten einerseits Freude an der Kunst zumuten, anderseits von der ungenü- gehden Substanz der gegenwärtigen Kunst re- den und laut darüber nachdenken, daß die Kunst der Akademien trotz mancher Schönheit und manchen Wertes vielleicht nicht mehr ganz das sei, wovon wir hoffen, es möge zum unverlier- baren Besitz der Geschichte gehören? Da fragt die Erwartung der allzeit „positiven Kritik" ge- spannt, was denn an die Stelle des Alten treten soll? An schnellem Ersatz sei ohnedies kein Mangel, antworten viele Geisterstimmen. Ich sehe aber da einstweilen kein ernsthaftes Dilemma, sondern einen guten Ausblick auf die Welt, der die Bildnerische Erziehung Werte, nicht Profit, hinzuzufügen verpflichtet ist. Sie ret- tet sich, so scheint es mir, nur dann aus ihrer unglücklichen Lage, wenn sie den gesamten Kon- text der gegenwärtigen Welt überlegt, um her- auszufinden, was not tut. Je größer der Abstand, desto schärfer der Blick. Da können wir uns allerdings gar keinen groß genug gearteten Begriff von der Aufgabe machen, einen denken- den Stern kunstvoll zu organisieren, zu humani- sieren und zu hominisieren. Hic Rhodos, hic salta! In uns und um uns vollzieht sich, auch durch alle chaotischen Exzesse blind herum- schlagender politischer Dinosaurier, der Neuguß der Menschheit, die aus der langen, vielleicht zu langen Geschichte der Divergenz zur rasend sich beschleunigenden Konvergenz übergeht, die aus allen menschlichen Gebilden ein einziges Nootop schafft. Die ganze bisherige Geschidite, deren Größe und Jammer nicht zur Debatte steht, stand unter dem Zeichen der Partikulari- tät unzähliger Gruppen, Stämme, Palisgebilde und Nationen, welche ihre ie eigene Kunst be- saßen, durch die sie sich grundlegend von den anderen unterscheiden wollten. Das ist vorbei, das scheiterte in den letzten beiden Jahrhun- derten. Die Grundenergien der menschlichen Evolution und Organisatiansarbeit, Reflexion und Sozialisation äußerten sich dauernd und an- dauernd in den Inhalten der Kunstgeschichte. Ich sehe keine Ursache, anzunehmen, das sei in der Gegenwart nicht mehr der Fall und werde in der Zukunft anders sein. Freilich ändern sich die Formen, die der Ausdruck der Grundenergien annimmt, bis zur Unkenntlichkeit. Ich behaupte nicht, daß wir schon eine solche neue Kunst hätten, die erkennbar und der alten gegenüber zu stellen wäre. (Das, was man mit wenig Be- rechtigung moderne Kunst genannt hat, gehört selbst noch bis in die läppische Zauberei und Ma- gie der „Land Art" und des unsäglich banalen, iede Bestimmung des antiken Idioten erfüllenden Konzipistenunwesens zur euphorischen Agonie ar- chaischer Mentalität.) Wir wissen eben nach nicht, wie wir bewußt und hell einen Planeten, an „dessen Flanke der Reichtum und die Zu- kunft der Welt geheftet" (Teilhard) sind, orga- nisieren und eine einheitliche Polis aus ihm machen sollen, „mit einem Markusplatz, der ietzt schon essentieller dreinsieht als die gesamte Inflation bloß astronomischer Unendlichkeit, mit einer Akropolis, der ihr durchaus umbauter Raum genügt, um einen Vorschein des humansten darin zu bilden" (Bloch). Einen denkenden Stern ohne Kunst zu organisieren, nein, das ist undenkbar, eher hört das Leben auf Erden auf. Richten wir unser Augenmerk auf dieses Ziel. Dann wird 33