Realie - sollte das Thema dargestellt werden, schon im Ansatz barg jede der beiden Kompo- nenten für sich die Gewißheit der Unvollständig- keit, diese weitgehend zu entschärfen war das anzustrebende Ziel. Die von sachlich-historischen Erwägungen dik- tierte Grundhaltung bei der Diskussion des The- mas brachte zudem schon im Ansatz des dar- zustellenden Zeitraumes eine Verschiebung zur zweiten Hälfte des frühen Mittelalters. Mag auch im allgemeinen und durchaus im besonderen der Beginn des Mittelalters früher anzusetzen sein', für diese Ausstellung konnte erst das Jahr 881, die erste gesicherte nachvölkerwanderungs- zeitliche Nennung Wiens in den Salzburger An- naleniden Anfang der Darstellung bedeuten. Die Frage noch der Kontinuität der Besiedlung an sich, bis heute nicht eindeutig und stichhältig be- ontwortett, stellte sich nicht, sie durfte als Hypo- these mit hohem Wahrscheinlichkeitsgehalt vor- ausgesetzt werden. Wie sehr diese Annahme auf archäologischen Ergebnissen basiert, veranschau- lichte das Kapitel mittelalterliche Archäologie. Jene Disziplin vermag durchaus unsere Vorstel- lungen vom Mittelalter zu ergänzen, [a sogar fallweise in ein anderes Licht zu rücken. Wie auch immer, entstanden aus den Restsiedlungen des zerstörten römischen Legionslagers Vindo- bona, kaum genannt in frühmittelalterlichen Quellen", steht Wien 1137" als voll entwickelte Stadt des Hochmittelalters vor uns. Wien war die bedeutendste Stadt am Fernhandelsweg der Donau geworden, im Wiener Raum lag ein Schnittpunkt der traditionellen europäischen transkontinentalen Verbindungen vom Westen nach dem Osten und vom Süden nach dem Nor- den". Der glänzende Hof der Babenberger, eine bedeutsame Pflegestätte des Minnesanges, zeigt Wien als Treffpunkt verschiedener Kulturen. Hier begegneten einander die ideale des ver- feinerten westeuropäischen Rittertums, die Ein- flüsse des hochzivilisierten islamischen Orients, den die Herzöge auf den Kreuzzügen kennen- lernten, und die prunkvolle mythische Welt Ost- roms, der die Babenberger durch ihre Heiraten mit byzantinischen Prinzessinnen verbunden wa- ren". Die horten Auseinandersetzungen wäh- rend der Periode des lnterregnums brachten Wien einerseits kurze Phasen der Reichsunmittel- barkeit", andererseits Stadtherren, die die neuen Möglichkeiten des Landesfürstentumsyoll ausschöpften. Auf das kurze Zwischenspiel (1251-1276) Känig Ottokars II. (Pizemysl) von Böhmen folgten mit Rudolf l. beziehungsweise dessen Sohn Albrecht I. die Habsburger. Begeg- nete die Stadt dem neuen schwäbischen Regi- ment zunächst mit großer Zurückhaltung, ia Ab- lehnung", so konnte bereits Albrecht ll."', der erste seines Hauses, der - nach 1330 - vorzugs- weise in Wien residierte, das Fundament berei- ten, auf dem Rudolf lV., der Stifter, jenes Wien erstehen lassen wollte, das hinter der damaligen Hauptstadt des Reiches, dem „goldenen Prag", nicht zurückstehen sollte. Die großzügige Fort- setzung des Baues von St. Stephan, die Grün- dung der Wiener Universität" vermehrten die Bedeutung der reichen Handelsstadt an der Donau. Die geordnete Entwicklung dieses städti- schen Gemeinwesens fand jedoch ein schmerz- liches Ende, ols die Macht der Habsburger vor- übergehend erschüttert wurde. In die aus den Teilungen des habsburgischen Besitzes entstan- denen Streitigkeiten über Erbschaften und Vor- mundschaftsangelegenheiten schaltete sich Wien nun dreimal ein. Seine dabei verfolgte Schaukel- politik endete iedoch erfolglos für die Stadt und tödlich für die Hauptbeteiligten". Zu den dyna- stischen Wirren des 15.Jahrhunderts gesellte sich zunächst auch die für Wien bedrohliche revolu- tionäre Erhebung der Hussiten", sodann die Auseinandersetzung mit den Ungarn und die Übergabe der Stadt an deren König Matthias Corvinus 1485-1490. Gleichzeitig verschärfte sich die Lage durch die stetig zunehmenden schweren wirtschaftlichen Rückschläge. Das Stapelrecht", ehemals Halt des Wiener Kautmannes, geschützt durch den Stadtherrn, wurde nun zusehends von den oberdeutschen kapitalkräftigen Kaufleuten mißachtet. Zudem änderten sich auch die geo- politischen Voraussetzungen: Mit dem Fall Kon- stantinopels (1453) drangen die Osmanen auf dem Balkan und im Mittelmeer nach Westen vor, mit den Entdeckungen der westeuropäischen See- fahrer verlagerte sich das Schwergewicht des europäischen Handels an die Länder am Atlan- tik, das Handelszentrum Wien erstarb. Verlor die Stadt auf diese Weise ihre mittelalterliche Funk- tion und besiegelte die Stadtordnung Ferdi- nands I. vom 12. März 1526" das Ende ihrer städtischen Freiheiten, so wurde ihr am Beginn der Neuzeit eine Rolle zugeordnet, die europä- isches Format erforderte, Am 29. April 1526 fiel König Ludwig von Böhmen und Ungarn im Kampf gegen die Türken bei Mohacs. Durch die Erbver- 9