dieses wichtigsten hoch- und spätgotischen Baues
Österreichs, dieser monumentalsten Lösung der
süddeutschösterreichischen Staffelkapellen".
Aber eben St. Stephan, insbesondere seine mit-
telalterliche Phase, zeigt geradezu paradigma-
tisch die bedingungslose Eingefügtheit mensch-
licher Existenz des Mittelalters in den kirchlich-
religiösen Rahmen. Im Religiösen ruhte das Fun-
dament menschlichen Daseins, im und am Reli-
giösen hatte das Leben sich zu formulieren, das
Profane wurde vom Kirchlichen nicht getrennt".
Diese kirchliche Einheit, das wesentlichste Ele-
ment der mittelalterlichen Weltanschauung, ver-
mag auch den Reichtum der aus den verschie-
densten Bereichen des Lebens sich hier treffenden
Bezüge zu erklären, die sich an St. Stephan er-
kennen lassen. Der zentrale Sakralbau Wiens,
das sichtbarste Zeichen selbstverständlicher Reli-
giosität, mußte Brennpunkt aller menschlichen
Regungen werden. Hier erfuhr das fast an Hoch-
mut grenzende Landesfürstentum in gleicher
Weise Ausdruck und Form, wie das bescheiden,
fast unscheinbar existierende Volkstümliche. Spä-
testens mit Herzog Rudolf lV., der das von ihm
in der Hofburg gestiftete, vom Possauer Bistum
unabhängige Kollegiatkapitel nach St. Stephan
verlegte und dem Propst den Fürstenrang ver-
lieh", war iener Schritt getan, der die lokale
Bedeutung der Kirche durch die in großem Maß-
stab überregionale der „Domkirche"" ablöste.
Die Bistumserrichtungsbulle „In supremae digni-
tatis specula"" war dann nur mehr die kirchen-
rechtliche Fixierung, eine Fixierung, die zu einem
Zeitpunkt erfolgte, da das politische Programm,
das die Habsburger an St. Stephan darstellten,
bereits zum selbstverständlichen Moment der
Reichspolitik geworden war, Wille und Möglich-
keiten der Habsburger aber, den Kirchenbau wei-
ter zu gestalten, schon erlahmt waren".
Der plastische Schmuck von St. Stephan ist be-
eindruckend. Programm und lkonologie seiner
Heiligenfiguren jedoch durchaus im Rahmen der
üblichen Heiligenverehrung, deren laufende Ver-
änderungen iederzeit feststellbar sind". Die be-
deutsamsten Plastiken sind aber nicht im Rahmen
des eben Skizzierten zu finden. Sie umfassen
zwei Gruppen, von denen zumindest die früher
zu datierende nicht zum Thema der HeiIigenver-
ehrung gezählt werden kann, es ist dies die um
1360-1365 aufgestellte Gruppe der Fürstenfigu-
ren von St. Stephan: Herzog Rudolf IV." mit sei-
ner Gemahlin Katharina von Böhmen (Luxem-
burg)", Kaiser Karl IV." mit seiner Gemahlin
Blanche von Valois", Herzog Albrecht ll." mit
seiner Gemahlin Johanna von Pfirt". Die Stel-
lung dieser Plastiken im Rahmen der Wiener
Kunst des Mittelalters darf als bekannt angenom-
men werden", eine knappe Würdigung scheint
ausreichend: Die außerordentliche Qualität der
Fürstenfiguren hat wenig mitder bodenständigen
Bauhütte von St. Stephan zu tun, die realisti-
schen Elemente - man darf zumindest bei Rudolf
lV. und Karl IV. von großer Parträtähnlichkeit
sprechen - und das höfische Erscheinungsbild
der Plastiken mit ihrer sensiblen Gesichts- und
Gewandbildung stammen aus der Verbindung
mit den Schöpfungen der Prager Parler-Werk-
statt unter Karl IV. Die Wiener Bildhauer sind
iedoch nicht von den Hauptwerken der Prager
Dombouhütte der siebziger und achtziger Jahre
ausgegangen, stilistisch weisen sie eine enge
Verwandtschaft mit früheren Werken der Parler-
Schule der Nürnberger Frauenkirche auf. Hieraus
ergibt sich die Einordnung der Fürstenfiguren in
den Gesamtbestand der Parler-Plastik. Die künst-
lerische Erlesenheit der Plastiken, bedeutsame
Beispiele gotischer Kunst im deutschen Sprach-
raum, ist iedoch nur das Korrelat zum politischen
Zweck ihrer Entstehung. Initiator der Fürsten-
12
12
12 Meister der Heiligenmartyrien, Erbauung von
Klosterneuburg, Wien, um 1495-1500, Tafelbild,
52 x29,5; Österreichische Galerie, lnv. 4875; Ka-
talog, Kot.-Nr. 295.
13 Hugo von St. Victor, Tractatus de sacramentis I,
Pergamenthandschrift, Klosterneuburg, 2. Hälfte
12. Jahrhundert, fol. 83 r.; Stiftsbibliothek Klo-
sterneuburg, cod. 311; Katalog, Kot.-Nr. 299.
14 Beda Venerabilis, De natura rerum, und Higi-
nus, De signis coelestibus, Pergamenthandschrift,
Klosterneuburg, 2. Hälfte 12. Jahrhundert, fol.
74r, Stiftsbibliothek Klosterneuburg, cod. 685;
Katalog, Kot.-Nr. 300.
Anmerkungen 52-71 (Anm, 34-51 s. S. 101
5' R. K. Donin, Der Wiener Stephansdom und seine Go-
schichte. 2. Aufl., Wien 1952.
5' Kodex 5er. Nr. B9, Österreichische Nationalbibliothek.
V Hans Tietze, Geschichte und Beschreibung des SL-Ste-
gshzarfiis-Domes in Wien, Bd. XXIII. d. U. K. T., Wien 1931,
55 Um 1170-1180, Holz, alte Fassung (Wien, Melker Hofka-
pelle, Benediktinerstift Melk), Katalog, Kam-Nr, 265.
S" Katalog, Kot-Nr. 246a-246k, 247a-247d.
5' Katalog, Kot-Nr. 248l1-24Bl5d.
5' Erstes Habsburger-Fenster, zweites Habsburger-Fenster,
Anbetung der Heiligen Drei Könige, Steinigung des hl.
Stephanus, Midlaelsfenster; drei religiösen Darstellungen
stand der Stammbaum der fürstlichen Stifter der Glos-
gemälde als weltliches Thema gegenüber. Künstlerischer
Mittelpunkt sind die beiden Habsburger-Fenster. Das
Michaelsfenster ist hinsichtlich des Figurenstlls und der
Architekturbekränung das älteste Werk der Kapelle,
während die „Steinigung des hl. Stephanus" bereits zum
Weichen Stil überleitet.
5' Die Reihe beginnt mit Rudolf I. als Stammvater, gefolgt
von Albredvt I. und vier seiner Söhne. Im zweiten Fenster
befinden sich zwei weitere Söhne Albrechts I. und die
vier Söhne Albrechts ll., wobei die Scheiben mit Al-
brecht III. und Leopold III. verlorengingen. Der Auftrag
zu den Glasgemälden muß zu einem Zeitpunkt erfolgt
sein, als die nächste Generation, die Söhne Leopolds lll.
und Albrechts lll., noch nidit regierten.
f" Historisches Museum der Stadt Wien, lnv.-Nr. 13.924. Ka-
talog, Kot-Nr. 2st.
" Er läßt sich seit 1394 an der Universität nachweisen und
verblieb bis 14U5f06 als Leibarzt der Habsburger in der
Residenzstodt. Zu den Ärzten im mittelalterlichen Wien
vgl.; Harry Kühnel, Die materielle Kultur Wiens im Mit-
telalter-, in: Katalog, 43 f.
M Vgl. Katalog, Kat.-Nr. 259.
"Sandstein (Historisches Museum der Stadt Wien, lnv.-Nr.
6391, Katalog, Kot.-Nr. 233.
4' Dombaumeister 1404-1429.
A; Dombaumeister 1429-1439.
M Vgl. Anm. 55.
H Katalog, Kat.-Nr. 265-376.
n Holz, polychromiert (Erzbischöfliches Dam- und Diözesan-
rnuseum Wien, Leihgabe der Pfarre Hörersdorf), Katalog,
KaL-Nr. 276.
" Lindenhalz, Wien, um 1440 [Österreichische Galerie, lnv.
4347i, Katalog, Kot -Nr. 270.
"Heiliger Sigismund, Stüfue (Lindenholzl vom ehemaligen
Hochaltar des Domes von Freising, Wien, gegen 1443
(Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, lnv.-Nr.
13.355), Katalog, Kot-Nr. 271f1. Thranender heiliger
Petrus als Papst, Lindenholz, Wien, um 1445 (Österrei-
chische Galerie, lnv. 4916), Katalaa. Kot-Nr. 27117
Bürgerfahne aus dem Jahre 1465, beidseitig bemalte
Seide (Historisches Museum der Stadt Wien, lnv.-Nr.
128.000}, Katalog, KaL-Nr. 394.
" Katalog, Kot-Nr. 277-298.
figuren war Rudolf lV.", ein selbstbewußt
hochmütiger Herrscher, dessen Bedeutung,
aber auch dessen sprunghafte Politik und
Gefahren, schon die Geschichsschreibur
österreichischen Spätmittelalters würdigte.
ihn wurde die in den letzten Regierung:
Friedrichs des Schönen deutlicher werdenr
wurzelung der Habsburger in Österreich
gelt. Rudolf IV. fühlte zeitlebens als Oster
und Wiener und verlieh seiner Einstell
pathetischen Worten und Aktionen Ausi
Rudolfinisches Pathos war die Präsentati
Standbilder des Herzogpaares an der pro
testen Stelle der Kirche, an der Westfass-
selbst ließ sich zudem mit einem der Vt
1359 geforderten Vorrechte, mit der Zinkel
darstellen. Ferner präsentierte er auch
Aufstellung des Kaiserpaares am Südturr
Vorstellung von Würde und Ansehen der
burger, sie waren allen anderen Dynast
mindest ebenbürtig. Es war daher nur zu
richtig, wenn er auch seine Eltern, Albr
und Johanna von Pfirt, in den Kreis der F
figuren aufnahm. Zu verweisen wäre hier
sandere, daß Albrecht II. mit seiner Eheschl
mit Johanna, der Erbtochter des Grafen
von Pfirt, diese elsässische Grafschaft dl
ländischen Besitzungen der Habsburger al
ßen konnte und damit erstmals recht deutl
habsburgische Interesse an Burgund er
ließ. Liegt die Bedeutung dieser Gruppe v
stiken neben dem Künstlerischen vor a
ihrem politisch-historischen Aussagewert,
weist die zweite Gruppe neben ihrer au
erregenden künstlerischen Qualität auf E
auf die mittelalterliche Kultur Wiens, d
lediglich angedeutet, nicht aber ausdi
werden können. Diese Gruppe, im Grund
Heiligen, wenngleich aus der Heiligenvel
nicht wegzudenken, umfaßt die Plastiken r
phonie vom Adlerturms", 1476 wurden c
Statuen der Epiphanie über den vier Stre
seiten der Eingangstore an der Stirnse
Turmes aufgestellt, wo sie 1911 aufgru
zutage getretenen Witterungsschäden du
pien ersetzt wurden. Stilistisch sind die
um 1430 zu datieren. Über die Zeitsponr
Entstehung und ihrer Anbringung übe
Adlertor fehlt das Quellenmaterial. Al
sorgfältiger Restaurierungen 1975176"
festgestellt, daß die Figuren mit Kreic
überzogen, reichlich mit Ornamenten i
und vollständig bemalt waren. Ein solc
fund erhärtet die bereits früher in der Lit
vertretene Meinung, daß die Figuren gl
für diesen Aufstellungsart bestimmt warel
Iicherweise sollte die Gruppe im Innenra
Kirche Platz finden. Auch wenn sich sti
Bezüge zu den Glasmalereien in Tomsw
1430 und der Miniatur des vor der M
knienden Herzogs Ernst" herstellen las:
hebt sich die Frage, ob hier an Schöpfunr
bodenständigen Tradition zu denken ist. [
besonders für den zweiten König, der ql
die übrigen Figuren zu überragen scheint
die Wahl des Materials, Savonnieres-Kc
stein, Iäßt das Streben nach feinsten M
rungen erkennen. Die ungewöhnliche kör
Freiheit ist weder in der unmittelbar vo
gangenen Stufe der lokalen Produktion
reitet noch bildet der Stil Kaschauers eine
Iiche Fortsetzung". Es wurde an den Einf
telrheinischer Werke gedacht. Ob hier die
fung eines Wiener Künstlers vorliegt, d:
Iiche Anregungen verarbeitete, die viells
Burgund reichen, ob an einen auslär
Künstler zu denken ist oder die Skulptl.
tuell importiert wurde, kann vorläufig n
klärt werden.