A Künstlerprofile Gisela Beinrücker
Mit ihren neuen Materialbildern setzt Gisela Bein-
rücker ihren einmal eingeschlagenen Weg konse-
quent fort. Statt Gegenstände ihrer Umgebung
zu zeichnen, Kleidungsstücke zu personifizieren,
bedient sie sich ihrer ietzt direkt. Verschiedenfarbige
Nylonstrümpfe werden auf eine Leinenunterlage
collagenartig montiert, jedoch nicht geklebt, sondern
angenäht. Oftmals wird dazu noch unter bzw. auf
den Strümpfen aquarelliert, was dem eigenwilligen
Material einen zusätzlichen Reiz verleiht. Die
Gefahr, sich in der spinnwebenartigen Oberfläche
zu verfangen, fasziniert und ängstigt den Betrachter
gleichermaßen. Die Fertigkeiten, die sich eine Frau
gezwungenermaßen aneignen muß, wendet Gisela
Beinrücker nicht für „wertfreie, nutzlose Arbeiten"
an, wie z. B. Knöpfe anzunähen und Löcher zu
stopfen, sondern für ihre Materialbilder.
Eine Frau zu sein ist eine anatomische Tatsache,
die nicht unerhebliche Konsequenzen gesellschaft-
licher Natur mit sich zieht: Der Frau präsentiert sich
eine primär männliche Umwelt und zwingt sie,
sich darin zurechtzufinden, Stellung zu beziehen.
Wenn eine Frau einen weiblichen Akt zeichnet, so
ist das etwas anderes als ein weiblicher Akt, von
einem Mann gezeichnet - denn der weibliche Akt
(von der Frau gezeichnet) ist ihr eigener Körper,
ihr eigener Schmerz - leidenschaftig.
Gisela Beinrücker nimmt ihre Umwelt nicht so ohne
weiteres hin, sie macht sich Gedanken, sie versucht
zu lernen, sie reflektiert - sie ist sich ihrer „Rolle"
als Frau bewußt und trägt ihr konsequenterweise
in ihren Arbeiten Rechnung. Denn Frau zu sein und
sich dessen bewußt zu sein, heißt noch lange
nicht, männerfeindlich zu sein - auch eine klassenlose
Gesellschaft ist keine geschtechtslose Gesellschaft.
Veränderungen verursachen Kreativität - Kreativität
bewirkt Veränderungen. Indem sie lernt, verändert
sie sich. Denn: nichts ist abgeschlossen, weil man
„selbst nie abgeschlossen ist". Diese „provisorische
Gegenwart" bildet für Gisela Beinrücker den Motor
zur Kreativität. „Jeder Tag bringt etwas Neues."
Sie hat ihre Kreativität spät verwirklicht - ihre
Kreativität hat eines Reifungsprozesses als
Voraussetzung bedurft.
Sind die Arbeiten Gisela Beinrückers auch „weib-
lich", so sind sie doch weit von dem entfernt, was
man als „Frauenkunst" bezeichnet. Emanzipation
wird bei ihr nicht so verstanden, daß die Frau
trachtet, es dem Mann gleichzutun, sondern iede
Erfahrung ist ein Schritt näher der angestrebten
Selbstverwirklichung: Die Frau emanzipiert sich
zur Frau.
Um sich bildnerisch auszudrücken, ist es gleich-
gültig, ob es sich um eine Bluse, um Strümpfe oder
um einen Baum handelt. Sie wählt die Bluse und die
Strümpfe, weil sie ihr näher, mit ihr in Kontakt sind.
Außerdem: Die Bluse läßt sich gestalten, was bei
einem Baum nicht der Fall ist.
Die Bluse, die Strümpfe können eine Person an-
nehmen. Die Person besteht aus Zeichenpapier und
Graphit - aus Nylonstrümpfen und Leinen... Der
Fetisch „Strumpf" hat sich zum Lebewesen ver-
selbständigt. Der „verunfallte Giehversuch" ist
Persiflage und zugleich Sublimation der eigenen
Situation. Der Busen als Kopf wird zur aggressiven
Waffe - weiblichen Waffe; die „tanzende Figur"
ist zugleich Beschwörung und Beschwichtigung -
Selbsterhaltungstrieb und Selbstironie („lroniel
lrr-Onanie"). Im Zerreißen sowie im Zusammen-
nähen der Strümpfe manifestiert sich diese
Ambivalenz der Arbeiten Gisela Beinrückers, was
deren Faszination und Reiz ausmacht.
Manfred Chobot
1 „Ein Gedanke", 1'776. 60 x 45 cm.
Textiles Materiolbild
„Vielleidit Morgen", 1975. Blei-
stift, 85 x 62 5 (m
i ückerrFleck
"Besudn , 1976. IOOx 70 cm. Tex-
tiles Materialbild
„9uchendes", 1976. 100x7O cm.
Textiles Materialbild
„Exotischer Tanz", W76. 85 x 62,5
cm. Textiles Materialhild
o-uisum