Wilhelm Hein Der seidene Sternteppich aus Agypten, seine Ornamente und Perspektive Der strenge Geometrismus hat im 15. und 16. Jahrhundert einer eigenartigen Gruppe von Tep- pichen mit auffallend schönen, klaren Stern- und Polygonfiguren (Oktogonen) zur Formensprache verholfen. Man hat lange herumgerätselt, wo diese Teppiche entstanden sein könnten, ist aber letztlich zu der kaum mehr widersprochenen An- sicht gelangt, ihre Heimat sei Ägypten gewesen. Heute sind sie über die europäischen Sammlun- gen verstreut. Die Diskussionen über die Herkunft haben vor dem zweiten Weltkrieg stattgefunden. In einem alten Venezianer Inventar hatte man sie Damas- kus zugewiesen und „Damaskusteppiche" ge- nannt. Dabei blieb es zunächst bis um die Zeit nach der Jahrhundertwende. Dann tauchten Zweifel an der Zuweisung auf, als W. R. Valenti- ner in der Ornamentik Zusammenhänge mit Formen an Keramiken aus Fustat und Bronzen aus der Mamlukenzeit erkannte'. Danach ver- öffentlichte G. Jacob u. a. im Jahre 1920 eine türkische Urkunde, in der Sultan Murad III. (1574-1595) im Jahre 1585 den Begler Beg von Kairo anwies, ihm elf Teppichmeister zu senden". Die Urkunde war es, die Friedrich Sarre, einen der besten Kenner der Materie, in einer Art Inspiration dazu veranlaßte, die Herkunft in Ägypten zu vermuten. Denn aus dieser Quelle ergab sich zwingend, daß in Ägypten und im be- sonderen in Kairo zu iener Zeit sehr wohl Tep- pichmanufakturen bestanden haben müssen. Sar- re suchte daher und fand auch stilistische Über- einstimmungen mit Türfüllungen, Bucheinbänden und Derkenmalereien aus der Mamlukenzeit, so daß seine Theorie fundiert erschien. Sie blieb nicht unwidersprochen. Der Wiener Spezialist Siegfried Troll entdeckte Übereinstimmungen mit technischen Details auf Teppichen, die Klein- asien zugeschrieben wurden. Er plädierte daher für eine Herkunft aus Kleinasien (1937) und hat, obwohl er in einer späteren Publikation auch die Möglichkeit der Entstehung in Ägypten in Be- tracht zog', in mündlichen Mitteilungen doch bis an sein Ende daran festgehalten. Wiederum Kurt Erdmann widmete sich der Frage, er be- fürwortete Sarres Theorie und führte die Be- zeichnung „Mamlukenteppiche" für die Gruppe ein'. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Herrschaft der Mamluken im Jahre 1517 an die Osmanen überging, die Produktion der Teppiche in der Osmanenzeit aber weiterlief, wie das Dokument Murads III. beweist, die Ornamentik sich geruhsam weiterentwickelte und das Datum 1517 nicht zugleich einen Bruch in der künst- lerischen Tradition mit sich brachte. Wie sind die divergierenden Meinungen zu er- klären? Offenbar hat es verschiedene Strömun- gen gegeben, die aus den großen Kerngebieten 14 des Islams stammten, sich vereinigten und auf unseren Teppichen „synkretistisch" in Erschei- nung traten. Sie forderten zur Interpretation auf. Sarres stilkritische Hinweise auf die Verwandt- schaft mit der ägyptischen Kunst sind unüberseh- bar. Dazu kommen unleugbare Anklänge in der Formensprache zu koptischen Textilien aus dem 4. bis 5. Jahrhundert, denen sich die Forschung in neuerer Zeit zugewandt hat. Die Verwandtschaft tritt nicht nur in der Konzeption, z. B. im Schema des Achtecksternes oder in den Formen der geometrisierten Rosette, des oktogonalen „GüI", sondern auch in der Durchführung füllen- der Kleinmotive zutage'. Man beachte, welche Entwicklung das Weinblatt von dort genommen hat! Damit erhält die Theorie Sarres eine zu- sätzliche Stütze. Nicht zu übersehen ist ferner die Möglichkeit, daß auch von Persien her Einflüsse gekommen sein können. Die Knüpfung [persischer Knoten) weist darauf hin, ebenso die Verwendung von Seide, die gewiß über das Seidenzentrum Ka- schan gehandelt wurde. Dazu kommen Nach- richten aus der Literatur. Der Historiker Ahmed ben Ali Makrisi (1354-1442) berichtet in seinen Denkwürdigkeiten Ägyptens über die Teppich- sammlungen der Fatimiden. Namentlich erwähnt werden prachtvolle Chosrawani (nach Chosrau I. 531-578, Chosrau ll. 590-629) und Samanen- teppiche (die Samaniden in Persien S19-999)', Importe aus Persien. Es ist aber nicht anzuneh- men, daß sich das gewerbefreudige Nilland mit Importen begnügte. Im Laufe der Zeit werden sich unter der glanzvollen Herrschaft der Fatimi- den persische Händler, Knüpferfamilien und Tep- pichmeister selbst dort angesiedelt und ihr Tätig- keitsfeld gefunden haben. Sie haben dann ihre Kenntnisse im Handel, z. B. bei der Material- beschaffung, mit Vorteil verwertet und ihre Be- ziehungen ausgenutzt. Auf diese Weise kann man sich vorstellen, wie die bestehende heimi- sche Industrie befruchtet und persischer Einfluß zur Geltung gekommen ist. Die dritte Komponente kam von Kleinasien her- über. Wenn Siegfried Troll auf die Verwandt- schaft mit anatolischen Teppichen hinwies, so mag letzten Endes der Grund darin zu suchen sein, daß auch Kleinasien Waren und Technik nach Ägypten importierte. Über Exporte aus Akseray wissen wir aus der Reisebeschreibung des Ibn Battuta (1304-1377), der die Teppichpro- duktion und den Handel von dort nach aller Welt außerordentlich hochpries'. Wahrscheinlich aber sind zur Zeit der Wirren während des 13. Jahrhunderts auch aus Klein- asien Teppichmeister mit ihren Familien nach Ägypten geflohen. Die Veranlassung dazu mögen die kriegerischen Zustände im zerfallenden Sel- dschukenreich geboten haben. Die Macht der Graßseldschuken (1039-1157) sank im 12.Jahrhun- dert in Trümmer. 1141 kam der Iran an die tür- kischen Chwarezmier, 1194 der Irak. Die Herr- schaft der Kerman-Seldschuken (Persien, 1041- 1186) wurde nach 1180 eine Beute pliindernder Stämme und verfiel der Anarchie. Am längsten behaupteten sich die Seldschuken von Rum (Konya, 1077-1243), in deren Reich die klein- asiatischen Teppichzentren lagen. 1216 eröffne- ten sie unter Kaika'us I. (1210-1219) eine Offen- sive gegen die Armenier. Letztlich wurden aber auch sie wie ihre östlichen Nachbarn von den Scharen der Mongolen, die unter Hülägü (f 1265) zu Eroberungen aufgebrochen waren, vernichtet. Nur das Nilland widerstand den Angriffen. 1260 schlugen die Mamluken bei Ain al-Galut (Goliathsquelle) in Palästina ein mongolisches Heer. Der gewaltige Baibars I. (1260-1277) griff in der Folgezeit vorübergehend auch nach Klein- asien. Sicher haben sich in ienen Zeiten damals wie heute Ströme von Flüchtlingen vor Grauen des Krieges durch die Länder erg Eine Flotte, die sie aufnahm und nach sicheren Ägypten trug, mochte ihnen Rettur bracht haben. Wir wissen aus der Überliel der Armenier, daß damals Teppichknüpfei Persien ausgewandert sind. Die Flüchtlinge sich dort akklimatisiert und das Ihrige ZL bung der Künste im Gastland beigetragen in Persien geschah, war sicher in Ägypter der Fall. So hat die Kunst aus Kleinasie Schwester im Nilland beeinflußt. Später, c Osmanen die Macht übernahmen, hat dar bekannte Befehl Murads lll. (1574-1595) s seits im Jahre 1585 Teppichmeister aus Äg nach Anatolien zurückgeholt, um dort einel faktur des Hofes zu befruchten. Selbstverständlich sind Techniken auch auf lichem Weg um die islamische Welt gewa Bei der Haddsch, der Wallfahrt nach tv wurden eifrig Informationen ausgetauscht. Kunsthandwerker wurden durch vielversprr de Angebote von Patronatsherren oder schaftshäusern zur Übersiedlung bewoge gab also viele Wege, auf denen Tecl oder neue Ideen aus Kleinasien oder P nach Ägypten (oder umgekehrt) gelangen ten. Die verschiedenartigen Einflüsse, die mc kannt hat oder manchmal auch nur zu erk glaubte, spiegeln sich in den BBZBICIIHUTIQt der. Ehedem „Damaskusteppiche", hat m: später „ägyptische, Kairener" und seit K mann „Mamlukenteppiche" genannt. Sie w auch schon Marokko und Turkestan zuge: ben'. Für Anatolien als Herkunftsland" habe wieder andere entschieden. Nur Persien ha als Ursprung bisher immer ausgeklammert. Es ist üblich, Teppiche einer Gruppe nacl rakteristischen Merkmalen eines Ornan zu benennen. Sind Tiere zu sehen, dann s man von einem „Tierteppich", ebenso g „Vogelteppiche", wenn Vögel dargestellt den, „Vasenteppiche" usw. Das Hervorstei ste Ornament unseres Teppichs sind geomi gezeichnete Sterne oder Oktogone. Es ers daher methodisch, die Gruppe als „Sterntei zu bezeichnen, wie es ia z. B. auch „Sternfl gibt, allenfalls dort, wo Sterne nicht charakteristisch gebildet wurden, die Okt: hervorzuheben („Oktogonteppich"). Die Interpretation der Ornamentik gibt Rätsel auf. Man kann sich die Ausdeutui Ieichtern, wenn man berücksichtigt, dat Orient Rätsel liebt. Geometrische Figun besonderen regen die Phantasie an. Sie I dazu, Geheimnisse zu ergründen. Der Gei nun einmal den Drang, abstrakte Forme Realität erfüllt zu denken". Der Interpret darf auch nicht die Ausd möglichkeiten außer acht lassen, welch anders geartete Perspektive bietet. Sie bi den Unterschied in der Mentalität zwischen pa und dem Morgenland. Da die Perspekti der Deutung des Hauptsternes eine Rolle sei das Wesentliche kurz charakterisiert: l uns geläufigen, von den Griechen übernc nen Art zu sehen, erscheint ein Würfel z. wie ihn das Auge unter einem bestimrri schiefen - Winkel, einen bestimmten Pu den Fluchtpunkt - anvisierend, zu einer bes ten Zeit oder unter einer bestimmten Beleur wahrnimmt. Der Winkel der Beobachtul wohl ein beliebiger, aber doch ein schiefe Fluchtpunkt ebenso beliebig, aber doch v nur einer, der dem Verlauf schiefwinkelige gebenheiten entspricht (Fluchtpunkt GUßt des Objekts]. In der Ornamentik des lslon indessen weiterhin, bis in die neuere Zeit,: