Es bleibt übrig, auf den Aufbau der Ornamente einzugehen. Die Mitte des Innenfeldes nimmt ein Achteckstern ein, der normalerweise dadurch entsteht, daß zwei Quadrate mit gleichem Mittelpunkt einan- der in einem Winkel von 45 Grad schneiden. Hier sind die Gegebenheiten geringfügig verändert. Das grundierende, parallel zur Bordüre verlau- fende Viereck ist gelängt, die Seiten stehen in einem Verhältnis von 109:107,5:110,5:107. Das schneidende Viereok ist ebenso ungleichseitig (109,5:107:107:108). Die Winkel oben und unten sind spitz, seitlich stumpf. Die Ränder des Sternes sind ausgezackt. Damit hat der Meister des Entwurfes das vertraute und beliebte Motiv der Ziernischchen (Mukarnas), mit denen häufig die Giebelfelder der Gebetsnischen geschmückt sind, andeuten wollen. Die Form des Sternmedaillons kannte der ldee kein Hindernis bedeuten. Der Giebel, symmetrisch geklappt, hat sich hier zum Medaillon entwickelt. Auf einem Teppich des Fürsten Liechtenstein tritt das Motiv in spitzgiebeligen Konturen auf, wie sie sich in der Architektur häufig finden". Es ist gut möglich, daß insonderheit die spitz- giebelige Variante auf eine islamisierte Abart der „chinesischen Wolke" zurückgeht. Wir wissen besser darüber Bescheid, seit die Forschung sich der Teppiche aus Ostturkestan angenommen hat". Die chinesische Wolke war ein Motiv, das von Islam - wie so vieles andere - willig aufge- nommen, umgewandelt, mit eigenem, vertrau- tem Gedankengut erfüllt zu etwas „typisch Is- lamischem" verformt, dargeboten und weiterge- geben wurde. Das Verwandte, Vertraute waren in diesem Fall der Anklang und die Erinnerung an den Giebel eines Mihrab (Gebetsnische). Sie genügte, die fromme Gesinnung anzuregen und die Hände im Schutze der Religion sich regen zu lassen. Daneben gemahnen die Konturen an die erhabe- nen Umrisse von Kuppelbauten sowie deren Ecklösungen mit Hilfe von Ziernischchen. Die Streben in den Zentralsternen des Teppichs T 8382 geben einen Hinweis darauf, wie der Haupt- stern betrachtet werden möchte: das Auge sollte von unten her in das Innere einer Kuppel schau- en, mit den Rippen im Oktogon des Gewölbes, wie es z. B. in der Freitagsmoschee in Abarquh möglich ist". Darüber hinaus darf der Blick wei- ter vordringen in die Tiefe eines Sterngewölbes, das durch konzentrisch aufgebaute und z. T. in- einandergeschlungene Sternfiguren symbolisch dargestellt wird. Wer gedachte da nicht der Ti- tulatur persischer Herrscher: „strahlend wie die Sonne"? Dem Deutschen aber geht der Sinn der Worte Goethes aus dem „Westöstlichen Diwan" auf: „Dein Lied ist drehend wie ein Sterngewöl- be, Anfang und Ende gleich und immerdar das- selbe." Was die Verse dem Ohr, offenbaren die Ornamente dem Auge. Der Saum des Zackensternes ist blau gefärbt (Wasser?) F. Sarre hat einmal in der Konzeption das Schema eines Gartenteppichs erblickt". Man darf der Ansicht zustimmen, wenn man die oben- erwähnte Umwandlungsfähigkeit und Übertra- gung aus einem Bereich in einen anderen in Be- tracht zieht. Hier läge dann die interessante Übertragung eines gärtnerisch-orchitektonischen Motivs in die Sphäre des Geametrischen (Ster- nendarstellung) vor. Man hat früh erkannt, daß der geometrische Entwurf zu unserem Teppich auf der Zahl vier aufgebaut ist". Das ist vollkommen richtig. Hin- zu kommt die Verherrlichung der Zahl acht. Sie bildet in Form von Achtecksternen, Oktagrammen und Oktogonen sowie den geometrischen Formen der Rosette, des „Gül", ein weiteres tragendes Gerüst. Daneben erscheinen füllende Ornamente 18 auch nach Systemen anderer Zahlen geordnet. Zu erkennen sind Drei-, Fünf-, Sechs-, Zehn- und Zwölfzahlen. Die Vier ergibt sich aus der Zeich- nung von Quadraten und den Seiten der Kam- partimente im lnnenfeld. Ob die Zahlen in einem bestimmten, glück- bringenden Verhältnis zueinander stehen, wird man an unserem Teppich vielleicht nie mit Sicher- heit entscheiden können. Der Orient ergeht sich gerne in Zahlenrätseln, er kennt Glückszahlen. Astrologische Konstellationen, die Glück bringen sollen, werden gerne in Ziffern hineingeheimnist, man findet sie auf Talismanen oder „magischen" Schalen eingraviert. Direkte Hinweise auf solche Bräuche lassen sich auf unserem Teppich nicht feststellen. Weil aber immer wieder aus dem Publikum diesbezüglich Fragen gestellt werden, sei hier nur ganz nebenbei auf allgemein be- kannte Bewertungen hingewiesen, wie sie sich in Dichtung, Mythus, Mystik und Sprache von selbst ergeben und auch in islamischen Kreisen so ver- standen werden. 1 - aus der Eins leiten sich alle anderen Zahlen ab, sie steht daher als Symbol für Allah, den Schöpfer des Alls"; ferner als Sinnbild für die Unmittelbarkeit, das „ich," die erste Person, sowie die Einzahl. 2 - die „beiden Welten", die nähere Distanz, das „du", das Paarweise-Sein, der Dual. 3 - nach den Pythagoreern die Trias Vater, Mut- ter und Sohn; die weitere Distanz, das „es", die kleinste Einheit für den Begriff „Mehrzahl". 4 - die Seiten des Quadrats; dieses steht wieder als Symbol für die Unveränderlichkeit und Kraft der göttlichen Natur sowie für die Erde. 5 - die fünf Sinne; fünf Finger; Anzahl, welche das Auge mit einem Blick noch zu überschauen imstande ist (sechs muß schon gezählt werden); die Zahl für das Pentagramm", das sich an unserem Teppich in dem so häufigen Schirmblatt- motiv als gedachte Linie zugrunde legen läßt. 6 - die Himmelsrichtungen (Norden, Süden, We- sten, Osten, oben, unten); Anzahl, die gezählt werden muß; in der Vervielfachung die Zahl für die Zeit, die Winkelmessung (Sexagesimalsystem). 7 - die Offnungen des Kopfes; die sieben Him- mel, sieben Tage der Woche, die Zahl der Plane- ten; danach symbalhoft immer wieder verwendet: die sieben Pforten zu Leben, Erkenntnis, Kraft, Wille, Barmherzigkeit, Weisheit und Tat (nach Albuni"); nach Ferid ed-Din Attar (1 1230) gibt es die sieben Taler Suchen, Liebe, Erkenntnis, Selbstgenügsamkeit, reine Einheit, Bestürzung, Auflösung und Vernichtung (im Buch der Vögel). 8 - die Zahl für den Preis, die Bewertung (ver- gleiche „achten"); im Oktagramm das Zeichen für die achämenidische Weltherrschaft". 10 - die Finger der Hände; danach die Zahl für das „Rechnen" (Dezimalsystem). 12 - die Sphären der Alten: Erde, Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn, Sphäre der Fixsterne, 1. und 2. Kristollhimmel, Primum mo- bile; Tierkreiszeichen; Monate. Verlängert man die Seiten des blau gesäumten Hauptsternes, so gelangt man zur Linienführung eines Oktogromms, das durch Karres bezeichnet wird (Fig. 4). In die stumpfen Winkel des Blausternes hinein zielen auffällig gelbe, spitze Winkel. Sie sind aus einer besonderen Einstellung des Orientalen zu den Ornamenten zu verstehen. Wenn ein Mo- tiv wohlbekannt und beliebt ist, dann wird oft nur ein Teil oder ein Teilchen angedeutet, den Rest dazuzudenken bleibt dem Betrachter über- lassen. Es ist eine Art Ratespiel, das Vergnügen bereiten soll. In unserem Falle ergeben die Ver- löngerungen der Spitzwinkel wieder ein Okta- gramm mit der möglichen Hinwendung zur geo- metrisierten Rosette, wie sie gerne z. B. bei Der seidene Sternenteppich gehört zu den schönsten die es ibt. Kette, Eintra und Knüpfung sind aus Seide, er Knoten persisc , auf einen dmf kommen 3100 Knoten. Er hat zwölf Farben. Geknüpft wurde er in Ägypten, wahrscheinlich am Beginn des 16. Jahrhunderts. Länge I 540 crn, Breite 1 290 cm. Wien, Oster- reichisches Museum für angewandte Kunst, Inv.-Nr. T 8332. Lit.: Sarre-Trenkwald, Altorientalische Teppiche I, Wien 1926, Taf. 44 f. P Anmerkungen 14-22 "Alois Riegl, Orientalische Teppiche, Bd. l, Wien 1892, of. IV. "Vergleiche Hans Bidder, Teppiche aus Tübingen 1964, S. 65 ff. t "Vergleiche A. U. Pope, Ardlitectural Ornament, in: A Survey of Persian Art ll, London - New York 1939, S. 1286. " Friedrich Sarre, Die orientalischen Teppiche aus dem ghelblpligen Wiener Hafbesitz, Der Kunstwanderer 1919-20, "Vergleiche Sarre-Trenkwald, Altorientalische Teppiche l, Wien 1926, Tat. u. lt Vergleiche manche Vierzeiler bei Dschami (1 1493), 1" Zum Pentagromm als astrologisches Symbol vergleiche F. Endres, Zahl in Mystik urld Glaube der Kulturvölker, zum 195a, s. so (Verlllikürliurlkllßnen). 7' Bei M. Reinaud, Monumens arubes, persans et turcs du cabinet de M. le Duc de Blacas ll, Paris 1828, S. 240. " Ernst Diel, Die Slegestürme von Ghclzna als Weltbilder, Kunst des Orients l, 1950, S. 39 ff. Ostturkestan,