13 der nachmittelalterlichen Weltlandschaft. So we nig das Auge sich indes hier topographisch arge hen kann, sowenig ist eine Stadt als Wohnort und Behausung gemeint. Man hat dieses Bild als das erste neuzeitliche Städtebild bezeichnet, aber in Wahrheit ist die Stadt selbst das Unwirklichste darin. Nicht die Festigkeit ihrer Mauern, die Si- cherheit ihrer Türme und des Alcazars, ja eigent- lich keine tturbanistischett Qualität kommt in die sem Phantasiebild zur Geltung. Die Stadt selbst ist ein ganz und gar unstoffliches, fragiles und im höchsten Maße wgelährdetesii Wesen. Halb scheint sie in der Natur zu versinken, halb aus ihr emporzutauchen und ist dabei doch ein Unbeweg- tes in einem einzigen Bewegungsstrom. Dieses schwer bestimmbare Gegenüber von gläserner Märchenwelt und apokalyptischer Unruhe geht wie ein Ftiß durch das ganze Bild. Ist es ein Nacht- stück, in dem ein Blitz die Landschaft erhellt? Falsch ist es, hier irgendeine Tageszeit bestim- men zu wollen. Es gibt nicht das Momentane im 8 zeitlichen Sinne, sondern das schlagartige der Er- scheinung. Das Bild ist eigentlich eine Land- schaftsepiphaniea. Im letzten Jahrzehnt des 16. Jh.s hat es bei Greco eine verstärkte Hinwendung zu mystischen Bild- stoffen gegeben; darunter sind so bedeutsame Bildthemen wie der "Einsame Kruzifixusii oder "Christus, das Kreuz umarmendit. Der Menschen- typus dieser Zeit ist ein übersensibler, in jeder Fa- ser vibrierender, der zunehmend den standfesten Bezug zur Erde verliert. Das Charakteristische et- wa der Kreuzigung im Prado (Abb. 7) kann in Stich- worten genannt werden: steiler, symmetrischer Bildaufbau, Konzentrierung der Gegenstände auf die vordere Bildebene, verstärkt durch eine inten- sive Buntfarbigkeit. Diese Ebene bildet aber kein Relief, wie Soehner meint, denn durch das Bild- dunkel, Grau und tiefes Schwarz, wird das farbige Kontinuum, das ein Korrelat zum Fteliefhaften zu sein hätte, zerrissen. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für die Anbe tung der Hirten im Prado (Abb. 8). Grecos letztes eigenhandiges Werk, kurz vor 1614 entstanden und für seine Grabkapelle bestimmt. Dem steilen Bildtormat entspricht die gesamte Bildstruktur. Das Plastische ist als formbildendes Element na- hezu ganz verschwunden. Das Flackernde, Flam- mende und Flammenförmige in seiner für plasti- sches Denken äußersten Ungreifbarkeit bestimmt offen jede Form. Dabei ergibt sich gleichsam bei- läufig auch eine Modellierung des Gegenständli- chen, ist aber nie an dieses gebunden, sondern scheint einem ganz anderen Formverlangen anzu- gehören. In dem Maße, wie das plastische Sub- strat schwindet, wird das Sehen des Bildes von der klaren Unterscheidbarkeit der farbigen Fla- chen abhängig; deshalb lassen sich in Schwarz- weißreproduktionen die innerbildlichen Zusam- menhänge nicht mehr fassen. Die Farbe zeigt da- bei die Tendenz, schlagartig in ihrer reinen, urige brochenen und unvermischten Gestalt hervorzu- treten. Dieser letzten Phase eignet ein völlig kom- promißloser Zug. Die formalen Faktoren, die von Anfang an in Grecos Malerei angelegt waren, sie beherrschten und zunehmend deutlicher wurden, treten nun unumschränkt und unverhLillt hervor. Ist EI Greco ein Manierist? Diese Frage Iäßt sich heute nicht mehr so eindeutig bejahen wie vor fünfzig Jahren, als der Manierismus als stilisti- sches und epochales Phänomen entdeckt wurde. Grecos Einstufung als Manierist datiert in diese Zeit und wurde am großartigsten von Max DvoFak ausgesprochen? Indessen kann nicht übersehen werden, daß seine Kunst nur sehr lose mit derzeit- genössischen Esoterik eines Gongora oder dem Concettismus eines Gracian verbunden werden kann; vollkommen fehlen ihr die zentralen Eigen- schaften, die der Malerei des internationalen Ma- nierismus im 16. Jh. die Physiognomik eines Epo chenstiles geben. Zur Malerei des Manierismus gehört das Kalte und Tote, die Todesnähe oder die Vertotung; das Maskenhafte, Erborgte, die tiefge hende Verfremdung; das Künstliche und Enigmati- sche; das Gestückelte, Panzerhafte und Starre, ebenso das erotisch Laszive; auch das Schillernde und Fahle, die Vertauschung und die Verweslich- keit der Farben. Als Lebenshaltung etwa die Über- intellektualität, Verschlossenheit und Egozentrik, der geheime Zweifel und die Weltangst als un- überwundene Hemmungen etc. In dieses Fach ge- hört Greco aber auf keinen Fall, er nähert sich die ser Haltung allenfalls in einigen Fruhwerken, sein spanisches CEuvre ist unendlich weit von dieser Bilanz des Manierismus entfernt. Hervorragend hat DvoFäk die geistigen und künstlerischen Strö- mungen aufgezeigt, mit denen Greco in Italien in Berührung kommen konnte, aber damit schon wie 13 EI Greco. Bußender Hieronymus. Washington. National Gallery Anmerkungen 11-12 " oazu Hans Sedlmayr. oie "Macchtau Eruegels. iri Jb d WIEUEY Kunsthlst Sgln. N F . Hd B. l934, S. 137 i . wiederabgedr in H S, Epochen uhd Werke. ges. Schriften z. Kunstgesch, ad t, Muri- ChertlWien 1959, s. 274 rizurri adgriii der MECChlB Seit LEDnardU vgl lvan Kohler. Die Floreritirier Macchiaoii, Munchner DlSS 1955 (Masch Mariuskr i, S 55 ff " s P Lomazzo iuhri iri Seinem Trattalß dell'Arte de la Pittiira. Mai- land 1584, Buch i, Kap i. s 22 f. u. Buch e. Kap LXlll. s. 4st t.. die Theorie der riiigura aerpehtmata- aui Michelangelo zuruck ÜiE schlangerigleich bewegte. proportional hiaht lailbare Pyramide, iri der sich die großte Bewegung aufiert urid dem Feuer als dem Eie- Vtletit der großteri Aktlvltat (nach Aristoteles) entspricht, bewirkt dieser Theorie zufolge großte Schoriheit in der Kunst. (Ei Greco be- saß laut Nachlaßtnventar etrieh italienisch geschriebenen vtratado de ia pirtturaa, der leicht iaher des Lorriazzd gewesen aeiri konnte Vgl H E. Wethey. Ei Greco am! his School. Priricetnn 1962. Bd l, s. 77, Ahrri 3.) Freilich braucht die Kenntnis der Theorie der Figuril serperitiriata bei Greco nicht unbedingt vorausgesetzt werden. dann die Idee der Flammeniorm betrifft bei Lomalzo rrur die Makrostruktur der kdrripdaitidri, wahrerid aia bei cradd alles, auch die MlkrOSifUKtui der malerischen Faktur bestimmt urid VDtl Arttaftg ari D8! ihm ariga- legt ist, immerhin bleibt es aiiiraiierid. daß Sie zu vollem Durch- bruch erst utigeiahr seit der Mitte der achtziger Jahre gelangt.