unmögliche Bauteile. wie die dreibogige italieni- sche Arkade der Südseite. die Ringmauer völlig überragend, erwähnt Walcher nicht. Natürlich ist ein Werk noch nicht eigenständig schöpferisch, nur weil es keine -streng historische-i Kopie dar- stellt. Nachzuweisen sind daher Kriterien der for- malen Eigenständigkeit der Veste Kreuzenstein als eines Werkes des Kontinuismus. Kreuzenstein wurde schon als Werk von dessen Spätphase bezeichnet. Demgemäß zeigt sich in Kreuzenstein eine weitgehende Verselbständi- gung der einzelnen Bauteile. zu der deren Höhen- differenzierung gehört; auch die Geschoßhöhen sind verschieden, durchgehende Gesimse oder wenigstens gleich hohe selten. Es entsteht der Eindruck eines vertikalen Verschiebens von Flä- chen - den Frontwänden -, manchmal sprunghaft, schießend. Dieses Verschieben macht die Bezüge der Teile unter sich und zum Ganzen mehrdeutig. Das ist aber nicht die tastende Unklarheit des Frühkontinuismus, sondern eine für dessen Spät- phase typische Neigung zu indirekter Tektonik, zu Ermöglichung verschiedenartiger Bezüge. die in derlmagination des Betrachters vollzogen werden. Dieses Phänomen ist äußerst bedeutsam für den Spätkontinuismusderes auch auf anderen Wegen als dem Gegeneinandersetzen von Bauteilen und Vermeidung durchgehender Horizontalen er- reicht. Meist ist in Kreuzenstein großflächige glatte Wand das Primäre. Auch wenn Alfred Walcher sein Be- stes tut. um das Künstlerische an Kreuzenstein zu verleugnen und den Bau zu einer wrealhistorischi- determinierten nachmachenden Rekonstruktion zu entleeren: Die glatten Mauern entstanden nicht wegen der Steinschleudern. sondern weil Flächig- keit der Richtung des Kunstwollens im Spätkonti- nuismus entsprach. Da Walchers hier zitiertes Buch im Nachkontinuismus entstand, will er die Burg als museales. didaktisch relevantes Objekt "retten-i. Bezeichnenderweise zeigt sich bei dem nach der Gruft ältesten Teil. der Kapelle mit ihrem Glockenturm. die Glattflächigkeit am wenigsten. Hier sind es Durchbrochenheit und plastische Gliederung. vor allem in der Westansicht, die der Beschauer erlebt, wenn er vor der Veste steht. Bei dieser Westansicht zeigt sich auch eine dichte Akkumulation von gruppierten Verlikalgebilden. eine in diesem Grade im romantischen Schloßbau nicht häufige Aufstellung. Akkumulation von Verti- kaltellen, wenn auch nicht so aufgeteilt, zeigt sich aber im romantischen Schloßbau während dessen gesamter Dauer. schon bei dem ersten bekannten Beispiel. Vanbrugh Castle, Blackheath bei London (1717-1718)". Als österreichische Vergleichsbei- spiele seien Schloß Miramar bei Triest (ab 1858) und Schloß Fischhorn bei Zell am See (1863-1866) erwähnt". Außerordentlich groß ist außen und innen die Be- deutung und Häufigkeit der Einfügungen von zu- weilen sehr großen Bauteilen des Vorkontinuis- mus, konkret des Mittelalters und des 16. Jahrhun- derts. Was diese Einzelteile angeht - nicht jedoch die Burg als Ganzes -. liegt hier vielleicht wirklich Historismus im Kontinuismus vor, ein enger Ver- gangenheitsbezug. stark gegenüber dem Eigen- ständigen. Dies tritt dort auf, wo die Synthesekraft der romantisch bestimmten Epoche des Kontinu- ismus nicht mehr so stark ist wie in der reifen Phase oder wo sie noch nicht die volle Intensität erreicht hat. Wieder berühren sich Anfang und Ende des Kontinuismus: die schon mehrfach erwähnte Fran- zensburg besitzt auch zahlreiche ältere Einfügun- gen. Durch die Ordnungsmacht Architektur - und zwar eigenständige Architektur des Kontinuismus - sind diese älteren Teile aber völlig künstlerisch- schöpferisch integriert. Überdies kann allfälliger Historismus nur höchst bedingt Anlaß für ihre Ver- wendung gewesen sein, da die Epoche bei älterer 28 Kunst ja eine überzeitlich gültige Komponente er- kannte. An der Südfront der Veste folgen, proportional ähnlich. drei relativ kompakte Bauteile unmittelbar aufeinander. Sowohl ihre Kompaktheit als ihre nicht serielle. aber ans Serielle streifende Reihung sind in der konkreten formalen Ausprägung fast schon secessionistisch. Auch ist das Auf und Ab von Diagonalen der westlichen Ringmauer und verschiedener Teile der lnnenhöfe eine noch ge- rade kontinuistische Vorstufe zu dem Undulieren mehrfacher. unmittelbar aufeinander folgender Wellenbewegungen des r-Jugendstilse. Die Diago- nalen in Kreuzenstein sind aber nichtwie die Undu- lationen des Jugendstils als Formprinzip verabsc- lutiert, sondern vermitteln zwischen den Schen- keln rechter Winkel. Auch sind sie nicht wie die Wellenlinien der Secession eine Fingierung des Unbewußten. die auf Grund verstandesmäßiger Reflexion produziert ist und als artifizielle Wuche- rung wirkt. Die Einfügung kleiner Steinreliefs in die glatte Mauerfläche über der Doppelarkarde der Haupt- treppenvorhalle im zweiten Hof. rechts der Apsis der Kapelle, ist ebenfalls ein Zug der allerspätesten Phase des Kontinuismus. Denn die kleinen Gebilde schwimmen-i ohne Relation zu einer Gliederung (abgesehen von wenigen symmetrischen Rich- tungsbezügen) und ohne Schwerpunktbildung, auch nicht zu Gruppierungen erweitert, ziemlich isoliert. fast museal in nur schwach rhythmisierter Anordnung in der Wandfläche. monoton verteilt. 11 Burg Kreuzenstein. 2. Burghof Anmerkungen 34-39 " sir Nikolaus Pevsrlar. Eurßpalsche Architektur. Munchert 1957. S S10 vgl Klaus EggerLzil Anm 5. S 75. u Zll Anm. 5, S. 75, 77. " lhidem, s. 74 1' Klaus Eggert lfl Die Wiener Ringstrasse Das Kunstwerk lfTl eild. i; Die wierier Ringstrasse, aild einer Epoche. Trager Flltl Thyssen stittiirig. an. n. wieri 1969. passlm 3' Zit Arlm 17. S. 179. " Zll, Anm 11.5 57, zit Anm, l. S. X, 480 Beim Inneren von Kreuzenstein war das oberste Prinzip, Raumform als Inneres eines Kubus zu ver- meiden und den Raum in sich selbst in möglichst vmalerischer-i Vielfalt abwechslungsreich zu un- terteilen. Auffallend ist die Neigung zu schrägen Geraden. konkret Treppen. die in die Räume ein- gebaut werden: Der große Saal. die Bücherstube und die Halle an der Südseite haben solche Trep- peneinbauten. auf welche der Blick jeweils durch eine offene. begehbare "Schneise" zwischen Sei- tenkulissen aus Gliederung oder mobilen Objekten - die so wenig wie möglich rrmobili- aufgefaßt sind - hingeleitet wird. Dieses Durchblicksprinzip ist eines der wichtigsten Gestaltungsprinzipien kon- tinuistischer lnterieurs allgemein. Es dürfte sich vom englischen Landschaftsgarten herleiten, mit dem zusammen als früheste kontinuistische Bau- gattung das romantische Landschloß Anfang des 18. Jahrhunderts in Großbritannien entstand. So hat der Park von Schloß Grafenegg bei Krems, so- weiter noch nicht verändert ist, eine ganze Reihe solcher schneisenartiger Durchblicke zum Schloß. das frühestens 1843 in der Ausführung begonnen wurde, während der dortige englische Park schon älter ist". Die gesammelten Objekte an den Wänden sind in Kreuzenstein gruppiert angeordnet. wobei die Gruppen Schwerpunkte in sich haben, die häufig nach oben gerückt sind. Diese Kopfgewichtigkeit, wie sie der Verfasser nennt, ist eines der typischen Kriterien kontinuistischer Kunst". Die Gruppie- rungen an der Wand haben Bezug zu deren Gliede- rung und zu den vor der Wand stehenden Möbeln. Es ist eine vielfältige, in unerschöpflicher Phanta- sie erschaffene Ordnung; auf die Fiktion angebli- cher nÜberladung-i einzugehen, lohnt sich nicht. Über eine Gesamtharmonie im Sinne des Gesamt- kunstwerkes - von Jacob v. Falke. diesem hochbe- deutenden Kunst- und speziell Wohnungs-Theore- tiker des Kontinuismus. r-Decorationi- genannt - jenseits geschichtlicher Bedingtheit, wie etwa strenger Befolgung der Merkmale eines bestimm- ten Stiles, äußerte sich Falkewiefolgt: ß-Dassdurch solche Vereinigung ererbten oder angesammelten Hausraths keineswegs der Eindruck künstlerischer Unruhe. des Unpassenden und Störenden entste- hen muss, das sehen wir häufig an den Wohnungen unserer Kunstfreunde und Sammler, wenn anders dieselben mit bewusster Absicht und wirklichem Geschmack gewählt haben und sie in der Anord- nung decorative Rücksichten haben lassen walten. . . . Hat, . . ein künstlerischer Sinn geherrscht, bindet ein ruhiger Hintergrund das Zerstreute zu- sammen. so fühlen wir uns überraschtvon der ma- lerischen Haltung und der harmonischen Wirkung, und niemanden fällt es ein daran Anstcss zu neh- men, dass hier Jahrhunderte und Welttheile auf Zollänge aneinander gerückt sindßi" Obwohl Falke Vorstehendes im reifen Kontinuismus schrieb, haben diese und die meisten seiner son- stigen Äußerungen auch für den späten Gültigkeit, und auch die Räume auf Kreuzenstein sind hiermit wesentlich charakterisiert. Als Graf Wilczek sein Ende herannahen fühlte, ließ er am 25. Januar 1922 eines seiner Lieblingsstük- ke, den Topfhelm des 14. Jahrhunderts aus Krain. aus Kreuzenstein holen und nahe dem Lager auf- stellen. Am 27. Januar verstarb er und ward auf Kreuzenstein beigesetzt. Damit war der Schöpfer des letzten großen romantischen Milieuschlosses in Österreich gegangen. Sophie Fürstin Öttin- gen-Öttingen, geborene Prinzessin Metternich. schrieb der Familie, nun sei das Kostbarste auf Kreuzenstein hinaufgekommen. er selbst, der Schlußslein". L] Anschrift des Autors Dr. Klaus Eggert Dürergasse 6 1060 Wien