Künstlerprofile
Annelise Karger
1 Velkenrsunfaii, 1955. Bleistift
2 Skizzenblatt, 1965, Bleistift
3 Bettlerin, Zeichnung, laviert
4 Zwei Männer. 1970. Pinselzelchnung
5 Annelise Karger
6 Knabe, 1950-1955, OIIKartcn
7 Leute. VQSG. Bleistift
Schon als kleines Mädchen zeichnete die 1921
mitten im Erdölgebiet, in Zistersdorf, als einziges
Kind des Lehrerehepaares Lagler geborene An-
nelise'gerne, schon als Kind wählte sie den Men-
schen als Motiv ihres spielerischen Gestaltens,
schon als Kind begnügte sie sich häufig mit we
nigen Linien, mit Andeutungen, um den Rest ei-
ner Gestalt allein in ihrer Phantasie zu konkreti-
sieren. Nach der Matura wollte Annelise Karger
Medizin studieren. Nach zwei Semestern gewann
aber ihre alte Liebe zum Gestalten die Oberhand,
sie ging auf die Akademie der bildenden Künste
in Wien, zuerst bei den Professoren Dachauer
und Fahringer, später bei den Professoren
R.C. Andersen und Herbert Boeckl.
Eine immer wiederkehrende, in fast allen ihren
Arbeiten durchbrechende Anteilnahme an den
Menschen und an allen menschlichen Lebensau-
Berungen ist auch das Hauptmotiv der Künstle
rin geworden. Es ist ein Festhalten von Wesens-
aspekten, die, von den meisten Menschen kaum
beachtet und geachtet, doch bedeutende Schlag-
lichter auf die menschliche Existenz werfen.
Ausgenommen eine Reihe von Ölbildern, 1950
bis 1955 entstanden, wird das Schaffen der Kar-
ger von der Graphik gekennzeichnet. Es geht
hier um die Transparenz des Daseins. In den im-
mer wieder und immer aufs neue aufgegriffenen
Aktstudien können wir eine Hauptkomponente
gründlicher Erfahrung des Menschenbildes se
hen. Die Linien tasten ununterbrochen diese Er-
scheinungen ab, den Mann, die Frau, das Kind,
in jeder Situation, in jeder Stellung, in jeder Al-
tersstufe. Es sind die Menschen, die der Künstle-
rin unter Tags begegnen: Frauen beim Ein-
kaufen, wartend bei der Straßenbahnhaltestelle,
Mütter mit Kindern im Park, Kaffeehausbesucher
an ihren runden Tischen, und immer wieder sind
es einfach schreitende, einander begegnende,
mehr aber noch: aneinander vorbeischreiiende
Menschen. Bei vielen aus dem Gedächtnis ge-
zeichneten Blättern der Begegnungen werden die
Striche strenger, sammeln sich zu wesentlichen
Bündeln oder werden von einer kräftigen Resul-
tierenden überlagert. Die konstruktiven Hilfsli-
nien sickern überall durch die Körperlichkeit. Im-
mer sind diese Menschen in einer gewissen Zu-
ordnung den anderen gegenüber, immer ist es
ein Sichnähern und ein Entfernen, oft nur ein
schemenhaftes Aneinandervorbeigehen. Diese
Menschen werden also weder in ihrem Zueinan-
derstehen noch in ihrem Aussehen beschönigt.
Da und dort lassen sie ihre Menschlichkeit ver-
missen, da und dort läßt auch eine Linie, die sie
zeichnet, aus. Die Kontur wird unscharf. Wir
müssen uns den Rest denken. Was wissen wir
von dem anderen Menschen, was wissen wir von
jenen, die uns begegnen? Von dem einen kennen
wir die Hand, von dem anderen die Augen, vom
dritten vielleicht nur die Waden. So ist es auch
bei den Gestalten der Künstlerin, ein Körperteil
ist gegenwärtig, der andere tritt mehr zurück. Die
Hilfslinien sickern überall durch. Doch nicht nur
diese Linien dringen immer wieder durch, auch
die des Körpers. Die Leiblichkeit dieser Men-
schen stoßt ganz einfach durch alle sie verhül-
lenden Kleider, läßt uns immer wieder den Men-
schen von seiner fleischlichen Substanz her be-
wußt werden. Und hier ist nichts zu beschöni-
gen, aber auch nichts bewuBt zu verunstalten.
Hier sind nicht nur die vschönenw Menschen,
aber auch nicht, wie bei manchen anderen Ma-
lern, nur die verlebten, zerquälten Gestalten ver-
sammelt. Hier ist das Bild des Menschen, wie er
eben ist: jung und alt, schön und häßlich, ge-
qeund und krank, voll Spannkraft und unendlich
müde, zur Herde aneinandergedrängt und allein
gelassen. Der Mensch! Alois Vogel
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