Karl Kosel Barbarino und Fischer von Erlach Bedauerlicherweise erst nach der Drucklegung des ersten Teiles meiner Studien zu Stuckdekorationen des Barocks in Heft 153 dieser Zeitschrift kam mir die grundlegende Abhandlung von Leonore Pühringer-Zwa- nowetz über die Barockisierung der Stiftskirche Kremsmünster zu Gesicht'. Nach der Lektüre dieser vor- bildlichen Ouellenarbeit konnte von einem Bedauern meinerseits nicht mehr die Rede sein, da die Verfasse- rin bei derstilkritlschen Analyse des lnnenraumes der Stiftskirche zu einer Beurteilung der Bedeutung Bar- barinos als Architekt gelangt, die mit meinen Forschungsergebnissen bezüglich der Stuckdekoration völlig übereinstimmt. Noch mehr! Auch bezüglich der römischen Stilquellen Barberinos als Architekt und Stukka- tor, vor allem im Hinblick auf den Einllul) Borrominis, ist dieselbe Übereinstimmung festzustellen? Dies gilt auch lür den vorliegenden zweiten Teil meines Aufsatzes, der ohne Kenntnis der Publikation von Pührin- ger-Zwanowetz verfaßt wurde. Wenn die Übereinstimmung in der Benennung der Stllquellen nicht nur hin- sichtlich der römischen Barockbauten besteht, sondern sich sogar auf bestimmte Raumteile erstreckt, wie dies am Beispiel der Seitenschiife der Lateransbasilika ersichtlich ist, so bedeutet dies angesichts der Ver- schiedenartigkeit der Ausgangspunkte eine erfreuliche Bestätigung der beiderseitigen Forschungsergeb- nisse". UWARÄVIA. . n, m m u. Ohne Zweifel kommt in der Erforschung der Zu- sammenhänge zwischen Barockarchitektur und -stukkatur der Zeit des italienisch geprägten öster- reichischen Hochbarocks unmittelbar vor dem Auf- treten Fischers v. Erlach zentrale Bedeutung zu. Be- trachtet man die rhythmisierte Girlande mit Engeln als Einzelmotiv, so gelangt man zu den Auswirkun- gen bei den Mitarbeitern Barbarinos und Colombas. Sie bildet das Hauptmotiv der Stuckdekoration im Kapitelzimmer von Stift Kremsmünster. die Giro- lamo Alfieri und Wolfgang Grinzenberger 1684 aus- führten (Abb. 1)'. In verwandter friesförmiger An- ordnung finden wir dieses Motiv bei den Stukkatu- ren der Katharinenkirche am Mausoleum Kaiser Ferdinands II. in Graz (Entw.: Johann Bernhard Fi- scherv. Erlach 1687)? wo mit Antonio Quadrio einer der Kremsmünsterer Stukkatoren an der Ausfüh- rung der Stuckdekorationen beteiligt war (Abb. 2). Die Übereinstimmung ist hier zwar nur typologi- scher Art, doch weist die Stuckdekoration der obe- ren Gruftkapelle des Mausoleums (1888-95) erheb- lich größere Gemeinsamkeiten mit Kremsmünster auf. Die rhythmisierte Kelchblattgirlande unterhalb des Kuppelgesimses besitzt ihre wesentlichste Funktion darin, die vielfach unterteilte Wand des Kuppelraumes in einen möglichst homogenen rhythmischen Zusammenhang zu bringen. Ohne Zweifel übersetzt damit Fischer v. Erlach dieselbe Funktion derdurchgängigen Girlandenform vor den kleinteiligen Kuppelkassettierungen in den erwähn- ten römischen Kirchen von Bernini und Pietro da Cortona in die vorgegebenen Möglichkeiten der un- ruhigen nmanieristischent- Wandgliederung des ' teren Kuppelraumes. Doch in der rhythmischen Zu- sammenfassung eines älteren Baubestandes durch die Gesamträumlichkeitder Girlande ist eine grund- legende strukturelle Übereinstimmung mit demsel- ben Dekorationsmotiv in den Seitenschiffen der 16 Stiftskirche Kremsmünster gegeben. Dasselbe gilt auch für die Stellung der querovalen Kartuschen zwischen dem Scheitel der Rundbögen und dem Kuppelgesims (Abb. 3). Sie entsprechen nicht nur funktionell den Kartuschen am Übergang zwischen den Jochtrennungsbögen und den Gemälderah men in den Seitenschiffgewölben, sondern zeigen auch weitgehende formale Übereinstimmungen mit die- sen. Daher liegt die Annahme nahe. daß diese Ana- logien auf die Beteiligung von Antonio Quadrio und seine Reminiszenzen an die Kremsmünsterer Stuk- katur zurückzuführen sind. Auch das Hineinziehen der Kelchblattgirlande in den Übergang zur Kuppel, wo das Gesims als Konsole für die Atlanten angeho- ben wird. ist in diesem Sinn zu deuten (Abb. 4). Man bemerkt hier eine enge strukturelle Verwandtschaft in der Anordnung der sich raumplastisch steigern- den Dekorationsmotive mit dem Übergang der Gir- lande vom Bogenunterzug in die Kapitellzone und mit der Anhebung der Atlanten in den Gewölbezwik- keln der Seitenschiffe von Kremsmünster (Abb. 5). Die rhythmisierte Girlande erscheint auch in der Sockelzone der Kuppel zu beiden Seiten der Atlan- ten als vermittelndes Motiv zu den Gemälderahmen. Die Stellung neben den Stuckplastiken und das Her- abhängen der Girlande von Voluten ist mit dem Ar- rangement der figürlichen und pflanzlichen Dekora- tion in Kremsmünster beinahe völlig identisch. Da- mit ist bereits das Verhältnis derStuckdekoration zu den Deckengemälden angesprochen. Hier kann vorweg festgestellt werden. daß die Grazer Kuppel- dekoration die unmittelbare und konsequente Wei- terentwicklung der in Kremsmünster geschaffenen dekorativen Grundstruktur ist. Diese Verwandt- schaft geht von zwei Voraussetzungen aus: 1. Die Anhebung der Dekoration im Kuppelscheitel durch die Atlanten der Sockelzone und die über ihnen ste- henden Engel mit den Leidenswerkzeugen unter 1 Kremsmünster. Kapltelzlmmer. G. Alfleri, Slukkatur in der Hohlkehle. 2 Graz, Mausoleum Kaiser Ferdinand: Il., Katharinenkir- cneJoh. Bernhard Fischer v. Erlach, Stukkalur in einem Querarm.