rie, auf einen ästhetischen Zweck hin ausgerichtete (Joyce, Seite 51152). Joyce schrieb die angeführten Passagen 1903, da- mals 21 Jahre alt. in sein tagebuchartiges "Pariser Notizbuchß. Rund 40 Jahre später definierte der Kunsthistoriker Erwin Panofsky in einer amerikanischen wissen- schaftlichen Zeitschrift das Phänomen Kunstwerk ganz ähnlich als "einen vom Menschen angefertig- ten Gegenstand. der ästhetisch erlebt werden willw (E.P., Kunstgeschichte als geisteswissenschaftliche Disziplin; Erstveröffentlichung in englischer Spra- che 1940; deutsch als Teil der Aufsatzsammlung "Sinn und Deutung in der bildenden Kunst", Köln 1975. Seite 19). Vom Menschen angefertigte Gegenstände, die nicht ästhetisch erlebt werden wollen, nennt Panofsky kurz "praktischem Dazu gehören neben vielem an- deren "Kommunikationsmittel und Werkzeuge und Apparate. Ein Kommunikationsmittel hat die "Inten- tion-, einen Begriff zu übermitteln. Ein Werkzeug oder Apparat hat die ilntentiont, eine Funktion zu er- füllenu (Panofsky, Seite 17). Die Übergänge sind fließend. Ein Beispiel dafür. wie aus einem "prakti- schen" Gegenstand Kunst werden kann, stellt Pa- nofsky im folgenden vor Augen vor: "Wenn ich meinem Freund schreibe, um ihn zum Abendessen einzuladen, ist mein Brief in erster Linie Kommunikationsmittel. Doch je mehr Gewicht ich auf die Form meiner Schrift lege, um so mehrwird er ein Werk der Kalligraphie; und je mehr ich die Form meiner Sprache betone (ich könnte sogar so weit gehen, den Freund mittels eines Sonetts einzula- den). um so eher wird der Brief ein Werk der Litera- tur oder der Philosophie-i (Panofsky, Seite 18). Kunst sei "in erster Linie formale Gestaltung im Sinne der Schönheit. Damit kann sich, aber muß nicht. eine Darstellung von sachlichem Gehalt und ein Ausdruck von Gefühl oder auch nur eines von beidem verbinden-t. meinte der Wiener neopositivi- stische Philosoph Viktor Kraft mit viel Grund (V.K., Einführung in die Philosophie, Wien 1950, Sei- te 136). Kunst kann in (ungegenständlich-) formaler Gestal- tung nahezu völlig aufgehen, wie in den Ornamen- ten des Kunstgewerbes - der Tapisserie der Töpfe- rei, des Stoffdesigns zum Beispiel -, wie in abstrak- ter Malerei und Plastik. Kunst kann Gefühl und Stimmung ausdrücken, mit ungegenständlichen, mit gegenständlichen Mitteln, wie sie sich ja in wei- testem Maße auch imstande zeigt, die optisch un- mittelbar erscheinende Welt darzustellen. Die Grundprinzipien von Harmonie und Disharmo- nie (dieser als Steigerungsmittel innerhalb der das Werk beherrschenden Gesetze, als Charakteristik seines Gegenstandes), von Proportion und Flächen- teilung, von Rhythmus. von Einander-Zuordnung, Über- und Unterordnung der Teile und gegliederter Ganzheit sind überall dieselben. Sie machen die Schönheit eines Werkes auch noch bei grausigster Thematik aus- jene Beschaffenheit eines Werks, die Gefallen erregt (Kraft, Seite 134), jener ästhetische Zielsetzung. aufdieesJoyce ankommt, und auch die "Intention-i des Kunstwerks, welche Panofsky meint. 5, "Die Kunst geht aufs Ganze" Die Grundsätze des Schönen, die Gesetze der Ei- genart des Ästhetischen überhaupt sind für alle Zei- ten, alle Breiten dieselben. Was Schwierigkeiten be- reitet, ist der Gebrauch des Wortes Schönheit, nicht um eine Grundgesetzlichkeit, sondern um ldealität zu bezeichnen. einer Auffassung des Künstleri- schen, des Ästhetischen entsprechend, welche so gernediejeweils besonders geschätzte Richtung als die allein repräsentative und qualitative ansieht. Man kennt dies aus der Werkgebundenheit solcher Künstler, welche, wiewohl gleichrangig. einander nicht verstehen und ausstehen können, weil ihre 62 wechselseitigen Ideale der Schönheit so sehr von- einander verschieden sind (Goethe verstand Kleist nicht, Schiller hielt Haydns "Schöpfung-r für einen "charakterlosen Mischmaschw, Lenau fand in Schubert "zuviel Dissonanzen". Gottfried Keller hieß Zola "einen ganz gemeinen Kerl". Kokoschka hält Picasso heute noch für einen Scharlatan usf.). Man kennt das Phänomen schließlich und vor allem auch aus dem Wechsel der Zeitalter, weiß, daß die Gotik von der Romanik nichts hielt und sie, wo sie nur konnte, abmurkste, der Barock, wenn sich's nur irgendwie machen ließ, die Gotik erdrückte, der Klassizismus den Barock mißachtete usw, Erst die im Verlauf des 19. Jahrhunderts aufkommende hi- storische Betrachtungsweise hat da einigermaßen Wandel geschaffen. Schönheit als ldealität greift immer einen Aspekt der Kunst aus der unendlichen Vielfalt des Möglichen in derKunst heraus, stellt ihn gewissermaßen auf ein Piedestal. Wer das erkannt hat, weiß schon viel, steht auch dem Pluralismus im heutigen Kunstbetrieb mit einiger Fassung gegen- üben 22 Meister Bertram, Petri-Altar: "Erschaffung der Tieren 1371-1353. Hamburg, Kunsthalle Die Kunst ist aber nicht allein ästhetisch. S Sprache. Auch alles das, was Hofmann in 1 Ausstellung als Leistungen von Kunstwerke führte, und noch eine ganze Menge dazu läßts jener Auffassung von Kunst als "polyfunktic System" unterbringen, welche der russische} tiker Mossej Kagan pflegt, indem er in großen pen eine kommunikative von einer aufkläre bildenden. einer erzieherischen und einer h: stischen Funktion der Kunst unterscheidet Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen i tik, deutsch, Berlin, Seite 510 ff.). "Nicht alles an der Kunst ist ästhetisch. Hierg vielmehr außerdem noch intellektuelle, sozial: giöse, sittliche Momente, illustrative, demonst kultische, spotropäische (abwehrende) und pi tische (zur Tat aufrufende) Funktionen", hi auch schon bei Friedrich Kainz (F.K., Vorlesi über Ästhetik, Wien 1948, Seite 17). Kunst ist immer das vom Menschen zu ästheti Zwecken Gestaltete, würde ich, Joyce, Panofsl folgend, selber vor allem sagen und mir dabei einreden lassen, daß dies eine ähnlich willkü Setzung sei wie das famose Sprüchlein "Alle: als Kunst betrachtet werden", das jajeglichei nünftigen, auf Orientierung in der Welt, auf l scheidung ausgehenden Sprachgebrauch i spricht. Der Orientierung in derWelt zu dienen ist schli auch eine der Funktionen des "polyfunktior Systems Kunst (davon handelte schon Arist: als er das Vergnügen, das die Menschen empfi wenn sie Kunstwerke genießen, von den Fr: der Erkenntnis herleitete, die ihnen dadurch würden). Kunst ist Selbstinterpretation und Weltinter tion des Künstlers im Medium von etwas Sinnli und schließlich-auch die spielerische Freuc Umgang mitdiesem Medium selber. Sie ist nic Spiel, sondern auch Arbeit. erstens mit St worin etwas ausgedrückt oder dargestellt zweitens mit Gegenständen, Sachverhalten, Vl es bei dieser Auseinandersetzung geht: Dinge lnnen- oder Außenwelt, vorgestellten oder n Wo die griechische Poesie zum erstenmal vo Aufgaben des Dichters spricht, in Hesiods "Th nie-i, nennt sie dieWahrheit, und diese schließi das Haßliche im physischen und moralischen mit ein. Das ideal der Wissenschaft ist die Fassung vr kenntnissen in mathematische Formeln. ii Kunst aber bejaht sich der Mensch mit dem D: und allen seinen Sinnen. Kunst will nicht I'll kenntnis, sondern auch das Erlebnis. Sie "geh Ganze, dringt vor bis zu den letzten unbewußte innersten Gefühlsregungen. wendet sich an Denk- und Gefiihlswelt zugleichß (J.R. Bechi Manfred Naumann, Gesellschaft, Literatur, L Berlin 1973, Seite 27). Daß die Sache mit Kadishmans Schafen unc Stier Paradisos überhaupt nichts mit Kunst z hat, wird man nach dem Gesagten nicht noc sondert unter Beweis stellen müssen. Rück Stein, an dem ja zu w-künstlerischens Zwecke: Weile hin und her gerückt wurde, und Boyles! und Erdcollagen und in Rahmen gebrachte M abgüsse darf man in jene Kategorie einreihe Wladimir Weidle bei dem Salzburger Humani: gespräch von 1967 mit einem glücklichen Aus "das minimale ästhetische Objekte genannt h: den Spurensicherern aus Frankreich und Holla weitgehend nicht einmal das erlaubt. Ü Anschrift des Autors. Prof. Johann Muschik Kunstkritiker Kegelgasse 401115136 1030 Wien