Walter Zettl Kunst und Architektur als Spiegel und Kulisse der Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende en des Übergangs gewinnen durch ihre Viel- chtigkeit, mit Abstand betrachtet, an Bedeu- 1. Es genügt aber nicht, diesen Abstand allein zh die zeitliche Entrttckung herzustellen, wir isen vielmehr trachten, diesen auch zu unse- eigenen zeitgebundenen Standpunkt zu erlan- . um zu den großen Zusammenhängen zu fin- und damit eine möglichst objektive Wertung h jener Geschehnisse zu erreichen, die Gegen- 1d unserer Untersuchung sind. Nur zu leicht nten wir uns bei einem Thema, wie dem mir ge iten, zu einer emotionelI-retrospektiven Be htung hinreißen lassen, wie wir sie in Reinhold neiders (1903-1958) Notizbüchern aus den 'en 1957158 nach seinem Besuch des Burgthea- lesen können, die er während seines Wien- Historismus im 19. Jahrhundert zurückß. Mit dem Wohnpark in Alt-Erlaa wird hingegen ein Anliegen von Adolf Locs (1870-1933) - wenn auch nur zum Teil und unter den heute ganz anders gearte ten sozialen Voraussetzungen - realisiert, der von sich sagt: vEs war immer meine Sehnsucht, ein solches Terrassenhaus für Arbeiterwohnun- gen zu bauen. Das Schicksal des Prcietarierkin- des vorn ersten Lebensjahr bis zum Eintritt In die Schule dünkt mich besonders hart. Dern von den Eltern in die Wohnung eingesperrten Kinde sollte die gemeinschaftliche Terrasse, die eine nachbar- Iiche Aufsicht ermöglicht, den Wohnungskerker öffneniu Wie sich in dieser Wunschvorstellung politische, soziale und künstlerische Elemente verbinden, so können wir eine ähnliche Symbiose in jener Zeit feststellen, in der wir beginnen, mit unseren Untersuchungen einzusetzen. Zwei Kräfte bestimmten nach der Mitte des 19. Jahrhunderts die Entwicklung der Künste in Wien: der Neuabsolutismus mit seiner zentralisti- schen Staatsgesinnung, welche sich in der Stadt- planung und in den Monumentalbauten äußerlich manifestierte, sowie das zu Ansehen und Geltung gelangte Großbürgertum. Dieses etablierte sich in den Ftingstraßenpalais neben den Residenzen der Erzherzöge und des Hochadels in dem Bemühen, ihrer Existenz ein seiner Bedeutung entsprechen- des Dekor zu verleihen. Den Hintergrund für diese Vorgänge bildete der Wandel in der politischen und gesellschaftlichen Struktur der schnell an- wachsenden Großstadt. ..........L 5:5: kg" Ü; 52:52.... 0 ..... V zzäzzz; :___::::W __:::::_._.W W ; 25.52: :_::::: .. w! w M M M :._:::::. ::::.::_ _s,_._,_.,.w ::: i 1231m .. L inthaltes, wenige Wochen vor seinem Tod, ndruckt von der dortigen vKaiserstiegeu, auf- aichnet hat: vDie Stiege wartet auf den Kaiser, nicht wiederkehrtki Und weiter: "Der Kaiser imt nicht. Er geruht nicht die Stiege zu betre- Das Klima der Welt sagt ihm nicht zu. Und wir Regisseure und Autoren und das düpierte Pu- 1m, treiben wesenlcs durch den glänzenden tesaall." Aber das Wien von Heute ist nicht die ehemalige Kaiserstadt und ein Denkmal mitteleuropäischen Koine des hinabgesunke Vielvülkerreiches, es hat auch ein sehr gegen- tiges Eigenleben, in dem das Wunschdenken. i Metropole zu sein, wachgeblieben ist. Auf un- Thema eingehend, brauchen wir unseren Blick einer der eigenartigsten Schöpfungen zuwen- nämlich der vieldiskutierten Hochhaussied- 1 in Alt-Erlaa am Südrand von Wienz. Mit ihr l ein unserem Zeitalter entsprechender Ver- 1 unternommen, Architektur, Malerei und Gar- xaukunst zu einem funktionellen Gesamt- stwerk zu verbinden: mit den terrassenförmi- Hochhäusern, den weiten Parkanlagen und Monumentalgemälden von Georg Eisler (geb. i), Adolf Frohner (geb. 1934), Alfred Hrdlicka l. 1923) und Fritz Martinz (geb. 1924). vird uns dabei der weite Weg bewußt, den der imunale Wohnbau in Wien seit seinen Anfän- bis in die Gegenwart durchgemacht hat. Die nlichen Ausmaße der Trakte und Hofe des 3 entstandenen Hanusch-Hotes oder die :htigkeit der Baumassen des 1930 fertigge lten Karl-Marx-Hofes weisen durch ihre Monu- italität in die Denkräume des ausklingenden 1 Neues Hofburgiheaier, Wien 1, DL-Karl-Lueger- Ring 2. Südliches Feststiegenhaus gegen Norden, sog. "Kaiserstiegew 2 Hauptansicht der Hochhaussiedlung in Alt-Erlaa am Südrand von Wien 3 Hauptfront des Karl-Marx-Hofes in Wien 19, Heiligen- Städter Straße Anmerkungen 1- 5 s. S. 29 Die Fladikalisierung der über die anfänglich be- scheidenen liberal-konstitutionellen Wünsche hin- aus nach demokratisch-soziallstischen Zielen vor- stoßenden Massen ließ das um seine wirtschaft- lichen Interessen besorgte Bürgertum rasch zu einem pseudoliberalen Konservativismus zurück- kehren und machten nBesitz und Bildung" zu Bun- desgenossen der Gegenrevolution. Schon die Märzverfassung und die anderen großen Geset- zeswerke der Jahre 1849150 waren auf das politi- sche Übergewicht des wohlhabenden Bürgertums abgestellt, in dem an Stelle des Vorrechtes der Geburt jenes des Besitzes gesetzt wurde. Mit der Rückkehr zum Absolutismus ging die nBOUFQBOÜ- Siell in Opposition. Diese war um so wirksamer, als auch der reaktionäre Staat an der nun schon überlieferten liberalen Wirtschaftspolitik festhielt und das in seiner Daseinsgrundlage gesicherte Großbürgertum in der Beamtenschaft über viele Freunde verfügte. Die bürgerliche Oberschicht dankte es dieser Ver- bindung mit der Bürokratie und ihrer erstarkenden Wirtschaftskraft, daß es trotz des Mangesl Jegli- cher gesetzlicher Vertretung 1859 nach dem Zu- sammenbruch des v-Bachschen Systemsu durch die in Italien erlittenen Rückschläge ohne Verzug das Erbe der absolutistischen Ära antreten konnte5. Die Arbeiter standen damals in ohnmächtiger Ver- einsamung. Das sich gegenüber aller höfischen und hochadeligen Widerstände durchsetzende Bürgertum, dessen Führung sie sich in den März- tagen 1848 bereitwillig unterstellten, hatte sie im Stiche gelassen. Trotzdem wurden sie sich all- 27