mit dem Hinweis auf Andrea Pozzos Deckenge- mälde im Gartenpalais Liechtenstein zu Wien (1704-1709)"erklärtwerdenAußerdem erreichtdas Motiv in gemalter und stuckierter Form um 1720 seine größte Verbreitung"). Doch abgesehen von der Weitergabe des Motivs innerhalb derselben Künstlerfamilie. kommt der Balustrade als integrier- tem Bestandteil des Wandaufbaus, wie sie in Kremsmünster erscheint, der Rang der Erstmalig- keit zu. Als die wesentlichste Gemeinsamkeit dieser Dekorationen in Ludwigsburg und Kremsmünster ist festzustellen. daß sie trotz des Abstandes von mehr als einer Generation diese unvenivechselbare Eigenart in der bildräumlichen Verflechtung von Stuckdekoration und Deckenmalerei beibehalten, die beide Elemente als unmittelbar aufeinander be- zogene und kontinuierlich sich steigernde Einheit auffaßt. Die Verwirklichung dieser biidräumlichen Grundkonzeption in der Form. wie sie erstmals in der Wiener Servitenkirche und in der Stiftskirche Kremsmünstererscheint, und die damit verbundene Doppelnatur des Stuckornaments in der Schwebe zwischen Bild- und Lichtraum findet in der Balu- strade ihren sinnfälligsten Ausdruck. Diese Ambiva- Ienz der Balustrade bekundet sich in ihrer Ver- tauschbarkeit zwischen den Bereichen der Stuck- dekoration und der Deckenmalerei. Die in der Fen- sterzone des Mittelschiffs der Stiftskirche Krems- münster vorgebildete Lichtbezogenheit findet bei Fischer v. Erlach in der oberen Gruftkapelle des Grazer Mausoleums und der Salzburger Kollegien- kirche durch die Ausdehnung auf die gesamte Stuckdekoration ihre konsequente Weiterentwick- lung und eine großartige Steigerung. Die Weiterbil- dung dieser schwebenden Ornamentstruktur bei Diego Francesco Carlone in Lambach. die bereits wesentliche Elemente des Kremsmünsterer Dekora- tionsstils mit einbezieht, wird in Ludwigsburg zur Synthese aller dieser Stilkomponenten geführt. Der abgebildete größere Dekoraticnsausschnitt aus dem Saal des Spielpavillons zeigt bei den Putten- gruppen auf dem Kuppelgesims die höchste Diffe- renzierung der Lichthaftigkeit im Kontrast zum Kremsmünsterer Balustradenmotiv, das nun im Deckengemälde Colombas eine ausschließlich bild- räumliche Funktion besitzt (Abb. 11). Die Ausbil- dung dereinzelnen Dekorationsstrukturen und ihrer wechselseitigen Beziehungen erfolgt mit einer Aus- gewogenheit und Klarheit, daß die einzelnen Stil- komponenten in ihrerSynthese völlig überschaubar und strukturell homogen bleiben. Die hier beobachtete Wanderung des Balustraden- motivs in der Zeit zwischen 1680 und 1720 und die Expansion seiner räumlichen Struktur im weitesten Sinne auf den Dekorationsstil dieser Epoche cha- rakterisiert durch die außerordentliche Vielschich- tigkeit der Erscheinungsformen die Entfaltung des spätbarocken Gesamtkunstwerkes in einer Weise. wie sie nur auf der höchsten künstlerischen Rang- stufe möglich ist. Die Spannweite der motivischen und strukturellen Variation innerhalb der Künstler- gruppen Barbarino-Colomba und Fischerv. Erlach - Carlone, die an der Spitze dieser Epoche stehen, läßt bei der Vielfalt ihrer individuellen künstleri- schen Ausdrucksmöglichkeiten ein Maß an struktu- reller Homogenität und immanenter künstlerischer Konsequenz erkennen, welche die innere Gesetz- mäßigkeit des Epochenstils und des Personalstils stets einhält. Dieses Gleichgewicht und die innere Übereinstimmung von Personalstil und Epochensfil ist die Ursache dafür. daß die konstanten Grund- strukturen, aus denen sich das spätbarocke Ge- samtkunstwerk entfaltet, stets transparent bleiben. Daraus erklärt sich das Festhalten an bestimmten Dekorationsmotiven, wie die Balustrade oder die Girlande, die für die Ausbildung der Grundstruktur von maßgeblicher Bedeutung sind. Nur so läßt es sich erklären, daß bei Diego Francesco Carlone in der westlichen Spiegelgalerie von Schloß Ludwigs- burg 0715116)" das Motiv des Puttos mit dem verlorenen Profil auftaucht (Abb. 12). das Barbarino ein halbesJahrhundert zuvorzu Seiten der Zwickel- gemälde in der Kuppel der Wiener Servitenkirche erstmals angewandt hat. Das vornehmste Beispiel für die weiträumige Aus- strahlung dieser Ornamentmotive und bildräumli- chen Strukturen sind neben Schloß Ludwigsburg die italienischen Stuckdekorationen im Kloster Ot- tobeuren. Es wäre sehr verlockend, die Stuckdekora- tionen jener Räume zu untersuchen, in denen die Balustrade eine wesentliche Rolle spielt. Allein schon die Aufzählung dieserRäume besagt viel über Hang und Bedeutung des Balustradenmotivs: Bi- bliothek, mittleres Haupttreppenhaus. Theatersaal, Kaisersaal und dessen Vorsaal. Hier sei nur das Mit- teltreppenhaus herausgegriffen. dessen Stukkatur vom Trupp des Andrea Maini (1722123) geschaf- fen wurde". Die Balustrade erscheint hier als Ein- fassung der Deckengemälde in stuckierter und ge- malter Form (Abb. 13). Die Einbeziehung der stuk- kierten Balustrade als schwebender Bildsockel in das Deckengemälde entwickelt ihre bereits in Kremsmünster ausgeprägte Lichtbezogenheit kon- sequent weiter und verschmilzt sie, teilweise an die Stelle der Scheinarchitektur tretend. mit der Bild- räumlichkeit. Der Schwebezustand wird durch die Adler unterhalb der Zwickelkartuschen betont und gesteigert. Diese Synthese von Lichtbezogenheit und Bildräumlichkeit steht eindeutig unter dem Ein- fluß der Dekoration Carlones und Colombas im Spielpavillon von Schloß Ludwigsburg. Die Kartu- sche am Übergang von der Mittelarkade zur Balu- strade weist durch ihre Verwandtschaft mit Carlones Kartuschenform in Lambach unmittelbar auf das- selbe Ornamentmotiv in der Kollegienkirche zurück. In der rhythmischen Anlage der Girlande, die von der Kartusche ausgeht. ist aber immer noch das Vorbild von Kremsmünster erstaunlich stark wirksam. Es bestätigt sich hier wieder die starke und nachhaltige Wirkungskraft der konstanten Grundstrukturen in der Integration von Stuckdekoration und Decken- malerei, deren weitreichende Wirkung aus der Re- zeption des Dekorationsstils Barbarinos durch Fi- scher v. Erlach und Carlone hervorgegangen ist. Daß diese Beziehung zu Kremsmünster keine Einzel- erscheinung ist, beweist die Stuckdekoration des Raumes Nr. 189 im 1. Obergeschoß des Südflügels (um 1721-1723)". Das Zentrum des Deckenspiegels wird von einer rhythmisierten Girlande umrahmt, die von Putten und Adlern gehalten wird (Abb. 14). Die rhythmische Anlage der Girlande entspricht völlig jener am Vorhallengewölbe der Stiftskirche Krems- münstern. Von einer unmittelbaren Vorbildlichkeit der Kremsmünsterer Vorhallenstukkatur kann selbstverständlich nicht die Rede sein. da zu diesem Zeitpunkt dieser Dekorationstyp in Süddeutschland allgemein verbreitet war. Doch an derTatsache, daß hier in typologischer und struktureller Hinsicht die Auswirkung des Kremsmünsterer Dekorationstyps festzustellen ist. ändert dies nichts. Die Weiterent- wicklung dieses Dekorationstyps durch die Schüler Barbarinos veranschaulicht Girolamo Alfieri im Kremsmünsterer Kapitelzimmer. Hier erscheint er in der Hohlkehle, bereichert durch das Eckmotiv des Adlers (Abb. 15). Ohne Zweifel spielt auch die Fries- dekoration in der Katharinenkirche des Grazer Mau- soleums als Vorstufe eine wesentliche Rolle. Cha- rakteristisch für den Rhythmus der Girlande an der Ottobeurer Decke sind die Putten, die mit senkrecht erhobenem Arm die Girlande halten und dadurch ihr Gesicht verdecken. Wegen des besseren Erhal- fungszustandes wird hier ein Stuckdetail mit einem völlig übereinstimmenden Putto aus dem Kanzlei- treppenhaus abgebildet, das dem Raum Nr. 189 un- mittelbar benachbart ist und offensichtlich vom gleichen Trupp stuckiert wurde (Abb. 16)". Die mo- tivische und strukturelle Verwandtschaft mit dem abgebildeten Stuckdetail aus der Kuppel derWiener Anmerkungen 18-27 ll I. z: z: zr Bernhard Kerber. Andrea P0110 (Beitrage zur Kunstgeschichte S). Berlin- Navii York 1971. S, 75-82. Tafel 58. Kloster Ebrach. Treppenhaus (Ballhnsar Neumann 1716); Unteres Belvedere Wien, Deckengemälde im Marmorsaal (Martino AItO- mdnta 1715): Stift St Florian, Deckengemälde im Marmorsaal (M. Altcmonte 1723l1724); Klosterkirche Aldersbach, Deckenge- mälde iin Langhaus (cosmas Damian Asarn 1720). W. Fleischhauer, a. a. 0., S. 35. Tilmann Brauer. Stadt und Landkreis Memmlngcn. Kurzinventar (Bayerische Kunstdenkmale IV). München 1959. s 188. T. Breuar, a. 10.. 5.199. Leonore Pühringer-Zwanowetz. Die Barockisierung der Stiftskir- che von Kremsmünster. in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 12 (Cremllarium 777-1977. Festschrift zur 1200- Jahr-Feier des Stiftes Kremsmünster), 1977. Abb, 22. T. Brauer. a. e 0.. s. 194. Richard Schmidt. Schloß Ludwigsburg, München 1954, Abb. 2c. OKT XLllll1 Teil, Die kunstdenkmaier des Benediktinerstlftes Kremsmünster. Das Stift - Der Bau und seine Einrichtung. Wien 1977, S. 337, 414. Abb. 247. K. Kosel. Barbarino, Fischerv. Erlach und die Stuckdekoration des Spatbarock in Österreich: alte und moderne Kunst 23. 1978. Heft 156, Abb. 4.