Michael W. Fischer Salzburg im Skizzenbuch des Züricher Romantikers Johann Jakob Ulrich 1 Johann Jakob Ulrich, Ansicht von Salzburg aus der Ge- gend vor dem Bürgistein aus. Bleistift, 99 x 166 mm Das geistige Gefüge einer jeweiligen Epoche fin- det unter anderem in den Motiven der Malerei sei- nen sichtbaren Ausdruck. Fürdas 19. Jahrhundert ist das frei gestaltete Landschaftsbild wesentlich. Als Reaktion auf die einseitige Verstandeskultur der Aufklärung kam es zu einem erneuerten reli- glösen Bewußtseln, das in der Natur das Sichtbar- werden Gottes anerkannte. Für die Romantiker ist 1a die Außen- und Umwelt nicht bloß eine geprägte Form, sondern die Biiderschrift eines Schicksals, in der sich geheimnisvolle Beziehungen zwischen Mensch und Natur offenbaren. Es geht um verbor- gehe Bedeutungen, um die Fähigkeit, in der Dar- stellung stiller Naturformen eine Vision überzeu- gend zum Ausdruck zu bringen. Gerade die Romantik entdeckte die Schönheit der Stadt Saizburg und ihrer Umgebung aufs neue. Das Bewußtsein der Romantiker kann angesichts der iichtumflossenen Silhouette der Stadt im glücklichen Augenblick schweigen, in der kurzen Ewigkeit, die ein verganglicher Traum ist. Die her- be Umgebung, die Landschaft bei Föhn bedeutet dem Romantiker leidenschaftlichen und verzwei- feiten Weltschmerz, und gerade in dieser Erfah- rung der Meianchoile kann der schöpferische Mensch nicht mehr übersehen, daß es gestalteri- scher Wille ist, der sich in der spontanen Freiheit der Kunst verwirklichen muß. Eine Fülle romanti- scher Veduten der Stadt und ihrer Landschaft ist beredtes Zeugnis von Nesseithaier über Runk, Waliee, Michael Sattler, Jakob Alt, Schlctterbeck, Schoppe, Loos bis hin zu Pezolt. Für die Romanti- ker aus den verschiedensten Landern ist Salzburg ein unwiderstehilcher Magnet, so auch für den Zü- richer Johann Jakob Ulrich, der innerhalb der schweizerischen Landschaftsmalerei eine hervor- ragende Stellung einnimmt. Die vorliegenden Ab- bildungen stammen aus einem bisher unveröffent- lichten Skizzenbuch dieses Malers (Blattformat le- wslis 9,9 x 16,6 cm), das sich in Züricher Privatbe- sltz befindet. Aus den biographischen Quellen geht hervor, daB dieses Skizzenbuch auf einer Rei- se von Zürich über Konstanz durch Bayern, Salz- 1 burg und Tirol zwischen 1840 und 1844 entstanden sein dürfte. Ulrich wurde 1798 in Andeiflngen ge- boren und war Aitersgenosse von Deiacrolx. Er trat 1816 in ein Pariser Handelshaus ein, ent- schloB sich aber dann zur Aufgabe seines kauf- männischen Berufes und besuchte die Ateliers von Gudin und den Brüdern Le Prince, daneben war er gleichzeitig mit dem um zwei Jahre älteren Oorot Schüler von Bertin. Paris war ja immer noch die Stadt revolutionärer Experimente, und Ulrich erlebte dort elementar den Aufbruch der romanti- schen Malerel, die spitze Polemik der Klassizlsten gegen die Vertreter der iungen Schule. Die span- nungsvolie Dichte damaliger Verhaltnlsse prägte Ulrichs künstlerischen Gestaitungswillen: Die Dichter und Denker zeichneten mit scharfer Kritik die Größen und Schwachen der menschlichen Ge- sellschaft auf, die Bürger kampften zum zweiten Mai um eine liberale Weltordnung. Die bildenden Künstler traten in Wettbewerb mit den Meistern der Vergangenheit und vereinigten sich im leiden- schaftlichen Drang zur Schaffung einer neuen, na- turbetonten Ästhetik. Für die Romantik ist das Genie nicht mehr, wie in der Aufklärung, ein Licht des Geistes oder eine bloße Fähigkeit verstehenden Gestaitens, viel- mehr verbindet Kunst und Künstler die schöpferi- sche und göttliche Macht der Natur, die Ihr Werk dank der Vermittlung des Künstlers welterführt. Kant, der ln einigem die Romantik vorbereitet, sieht im künstlerischen Genie ndie angeborene Gemütsiage (lngenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibtc. Statt einfach eine Fa- higkeit zu sein, das wahre ideal zu denken und zu finden, wird die Genialität in romantischer Sicht zur wirkenden Gegenwart der höchsten Kraft: die Kunst wird als menschliche Fortsetzung einer kosmischen Fruchtbarkeit gesehen. Goethe teilt diese Ansicht; die Natur verleiht dem Menschen die höchste Gewalt der Schöpfung, um über sich selbst hinauszusteigen und sich zu betrachten. Der Künstler verewigt eine Schönheit, die sich oh- ne ihn nur für die Dauer eines flüchtigen Augen- 21