Manfred Koller
Der unbekannte
Künstlerkreis von
J. L. Hildebrandts Frühwerk
Der 300. Geburtstag des großen österreichischen
Barockarchitekten im Jahre 1968 ist - im Ge-
gensatz zu den mit großen Ausstellungen be-
gangenen Jubiläen seiner Antipoden Johann
Bernhard Fischer und Jakob Prandtauer wenige
Jahre zuvor - ohne iede öffentliche Würdigung
vorübergegangenL Auch in der Kunstpublizistik
ist es seit dem Tod von Bruno Grimschitz
(1966) f, des unermüdlichen Erforschers und Ver-
mittlers von Hildebrandts Kunst, um dessen Werk
still geworden. Dabei reicht dieses in seltener
Spannweite von der kaiserlichen bis zur dörfli-
chen Architektur und von Franken bis zum Bal-
kan, wobei die Donouländer mit Wien den
geographischen und künstlerischen Mittelpunkt
in der Reihe seiner Aufträge bilden f.
Der Umfang seines Guvres wird noch zahlreiche
Erweiterungen erfahrent. Zum ursprünglichen
Aussehen (vor allem der Farbigkeit) seiner Bau-
schöpfungen wird die Denkmalpflege neue Er-
gebnisse präsentierens. Die reiche Ausstattung
der Profanbauten an Gemälden, Skulpturen oder
Mobiliar ist iedoch - von wenigen Ausnahmen
abgesehen - in Anbetracht der ursprünglichen
Vielfalt und Pracht nur in Resten erhalten und
historisch kaum erfaßt. Dabei setzt aber die
gerade an den Bauten Hildebrandts so faszinie-
rende Einheitlichkeit auch der Innendekoration
als barockes Gesamtkunstwerk nicht nur kon-
krete Vorstellungen über Funktion und lkonogra-
phie der Räume vorausß, sondern konnte auch
nur durch das Zusammenwirken von Bauherr und
Architekt (samt Bauführer) mit einer größeren
Zahl von Bildhauern, Malern und Dekorateuren
verwirklicht werden. In Vielschichtigkeit und Um-
fang dieser Vorgänge gewährt nur selten eine
günstige Quellenlage nähere Einsicht. Die kunst-
geschichtliche Bearbeitung der Brüder Strudel
und ihrer Nachfolge war unter anderem gerade
für die diesbezügliche Kenntnis von Frühzeit und
erster Reife Hildebrandts fruchtbar'.
Eine Zusammenarbeit Peter Strudels (von Stru-
dendorf) mit dem um acht Jahre iüngeren Jo-
hann Lukas Hildebrandt ist seit 1710 bis zu Stru-
dels Tod im Herbst des Jahres 1714 archivalisch
und in erhaltenen Werken faßbar. Sie muß aber
schon früher begonnen haben und hängt mit
einer persönlichen wie künstlerischen Affinität
zwischen dem Ingenieur-Architekten und dem
vielseitigen Maler und Akademiegründer zusam-
men, der antithetisch das enge Verhältnis des
älteren Fischer von Erlach zu Johann Michael
Rottmayr gegenübergestellt werden kann.
Der 1696 aus Piemont nach Wien gekommene
noch nicht dreißigiährige Hildebrandt gewann
in der Koiserresidenz rasch Ansehen, wie seine
1699 gegen Paul Strudel erfolgreiche Bewerbung
um die Hofarchitektenstelle Giovanni Pietro Ten-
calas beweiste. Die Verbindung mit Peter Stru-
del könnte über beider oberitalienische Schu-
lung, die gemeinsame Rivalität zum ersten Hof-
architekten Fischer? sowie durch adelige Patrone
beider Künstler, wie Heinrich Graf Mansfeld
Fürst Fondi, Adam Andreas Fürst Liechtenstein
oder Franz Anton Graf Berka, zustande gekom-
men sein. Ähnlichkeiten beider in Temperament
und Charakter kamen dem entgegen: Hilde-
brandts weltoffene, gebildete Kavaliersart, seine
in künstlerischen Fragen kompromißlose Beses-
senheit und eine konstitutionell bedingte Emp-
findlichkeit begegneten bei Strudel verwandten
Anlagen. Das 1720 über den Architekten gefällte
Urteil: „Vir hic mihi valde difficilis videtur""'
läßt sich einer 1709 gegebenen Charakteristik
Strudels: „. . . oft aber sticht der Gek dem Mah-
Ier und der Welsche einem sonst practicablen
Mann vor" durchaus an die Seite stellen.
Schon am ersten großen von Hildebrandt auf
Wiener Baden entworfenen Bau, dem 1697 bis
1704 errichteten Gartenpalast Mansfeld-Fondi,
war Peter Strudel mit Supraporten an der Aus-
stattung beteiligt. Der Bauherr besaß auch Ge-
mälde Strudels und wollte 1713 „ein ganz Zim-
mer per Strudel" samt seiner „noch nicht aufge-
hängten GaIlerie" verkaufen. Der auf die Er-
werbung des Palastes durch Johann Adam An-
dreas Fürst Schwarzenberg im Jahre 1715 fol-
gende Umbau dürfte von der bis dahin fertigen
Einrichtung des westlichen Flügels wenig übrig-
gelassen haben. Möglicherweise haben aber
auch erst die 1857 an Friedrich Schilcher (1811
bis 1881) bezahlten vier Supraporten mit Kin-
dern und Blumen im Speisezimmer neben der
Galerie Strudels Bilder ersetzt, da Schilcher auch
an anderer Stelle dem Barockmaler nachzuemp-
finden versucht hat ".
Die zeitlich nächste Berührung Hildebrandts mit
Peter Strudel ergab sich bei der anläßlich der
Vermählung König Josefs im Jahre 1699 errich-
teten Triumphpforte auf dem Kohlmarkt in Wien.
Hildebrandts Entwurf, der an die Stelle des 1690
durch Strudel gestalteten trat, behielt wie dieser
das alte Dreibogenschema bei, während im Ge-
gensatz dazu damals wie ietzt die beiden an-
deren, Johann Bernhard Fischer übertragenen
Ehrenpforten mit weitgeöffneten Tempiettogebil-
den brillierten I1. Zu dieser Hochzeit des Thron-
folgers war Peter Strudel anderweitig voll in
Anspruch genommen. In weniger als einem Jahr
hatte er „in aller Eyl" die Gemächer des iungen
Paares in der Wiener Burg mit „148 Gemähl
groß und klein" auszustatten. Zu diesen etwa
zu einem Drittel in Depots erhaltenen Decken-
gemälden des Leopoldinischen Traktes der Hof-
burg haben wir uns Spiegelgewölbe mit Stuck-
decken von zartem Akanthusdekor und ge-
schwungenen Rahmenprofilen vorzustellen, in
denen Leinwandbilder geschweiften Formats
symmetrisch verteilt sind "t. Diese aus den ge-
telderten Stuckdekorationen des oberitalieni-
schen Seicento unter Verarbeitung des franzö-
sischen Berain-Stiles hervorgegangene Dekora-
tionsform beginnt ab dem ersten Jahrzehnt des
1B. Jahrhunderts die Deckengestaltung der Wie-
ner Adelspaläste und besonders der Schlösser
Hildebrandts zu bestimmen. Die Stuckarbeiten
werden noch ausschließlich von Oberitalienern
(Lombarden) ausgeführt".
Zu Ende des Jahres 1699 wurde der Grundstein
für die vom Statthalter Bähmens, Graf Berka, in
seiner Herrschaft Gabel durch Hildebrandt er-
baute Dominikanerkirche St. Laurenz gelegt. Im
Juli des folgenden Jahres vollzog der Bauherr
mit drei von den Brüdern Strudel entworfenen
Prunkgondeln (Abb. 1) seinen „solennel entree"
als kaiserlicher Botschafter in Venedig. Nach-
dem Berka im April 1706 in Wien gestorben
war, wurde der Bau in Gabel erst im Herbst
1713 für die Inneneinrichtung fertig. Beide Um-
stände verhinderten eine sonst wahrscheinliche
Beteiligung Strudels, über dessen Lebenszeit auch
die großen Kirchenbauten der folgenden Jahre
(Piaristen- und Peterskirche in Wien) mit ihrer
Vollendung hinausreichen.
Von der ersten Arbeit Hildebrandts für den Prin-
zen Eugen, dem 1702 begonnenen Sommerschloß
von Räckeve auf der Donauinsel Czepel, hat
die Zeit nur einen Torso und offenbar nichts
von der Ausstattung übriggelassen. Das Schloß
des kaiserlichen Feldherrn in Ungarn müßte für
den um die Türkenbekämpfung verdienten, in
diesen Jahren selbst um seine ungarischen Gü-
ter streitenden Baron Strudel ein lohnendes Ar-
beitsziel gewesen sein. Wie für Räckeve so fehlt
auch für den noch vor 1706 auf der Wieden in
Wien errichteten, der Bauform nach eng ver-
wandten Gartenpalast von Thomas Gundacker
Graf Starhemberg, der oft mit der Überprüfung
von Strudels hohen Geldforderungen an den
Kaiser beauftragt war, ieder Hinweis auf die
sicher vorhanden gewesene Gemäldeausstattung.
Die Aufsatzgruppe des 1705 von Hildebrandt
entworfenen Castrum Doloris für Kaiser Leopold I.
in der Wiener Augustinerkirche stellt die das
Bildnis des Kaisers vor dem Zugriff der Zeit
schützende Ewigkeit (Abb. 2) dar. Sie ist von
Paul Strudels Glauben-Pest-Gruppe an der Wie-
ner Grabensäule (Abb. 3) und von seinen Por-
trätreliefs des Kaisers und seiner Söhne, aber
auch von Peters Triumphallegorien für die Hof-
burg inspiriert. Es wäre durchaus denkbar, daß
Teilnehmer von Strudels Akademie an der Aus-
führung dieses ephemeren Pompes beteiligt wa-
ren'5.
Durch die umfangreichen Aufträge des neben
Prinz Eugen bedeutendsten Bauherrn Hilde-
brandts, Friedrich Karl Graf Schönborn, erhält
die Beziehung beider Männer zu Peter Strudel
besondere Vertiefung. Hildebrandt wurde ab
1706 der Architekt des Reichsvizekanzlers, der zu
dieser Zeit schon mehrere Bilder Strudels besaß
und von dessen Talent als „peutetre le plus
dignier ouvrier de l'Europe" (1707) und „incom-
parable peintre" (1708) überaus eingenommen
war. Durch Friedrich Karls Drängen war der
Maler, obwohl teuer und „touiours en besoin
de gran ortisan" (1708), viele Jahre vor Hilde-
brandt auch für den Mainzer Erzbischof und
Reichskanzler Lothar Franz von Schönborn tätig.
Fast scheint es, als ob Peter Strudels Arbeiten
ein vermittelndes Vorspiel für die Ausstrahlung
von Hildebrandts „Wiener" Kunst nach Franken
gewesen wären. Als Beleg dafür, der sich auf
eine selten so ausführliche Überlieferung stützen
kann, soll auf die beiden Schönborn-Schlösser
Hildebrandts in Wien und Göllersdorf beson-
ders eingegangen werden.
Der „Wiener Garten" Friedrich Karls (ietzt Volks-
kundemuseum in der Laudongasse) wurde nach
1710 durch Peter Strudel und Schüler seiner
Akademie mit Deckenbildern auf Leinwand aus-
gestattet (Abb. 4 und 5). Diese werden mit der
übrigen Einrichtung in dem bisher wenig beach-
teten, 1744 aufgenommenen und erst nach dem
Tode Friedrich Karls im Jahre 1746 gedruckten
Inventar des Palais ausführlich beschrieben".
Danach stammten 14 Deckenbilder von Peter
Strudel und eines von seinem Hauptschüler und
„Viceprofessor in der Academia" Johann Georg
Schmidt („Wiener" Schmidt). Zu Ende des Jahres
1714 kopiert bereits Johann Joseph Scheubel
(der Ältere) aus Bamberg, den Lothar Franz von
Schönborn als seinen künftigen „Hofmaler" zur
Ausbildung an die Akademie Strudels geschickt
hatte, „in dem Schönborner Saal zu dem oberen
Plafond nach dem Strudelschen curiosem Stück
in meinem hiesigen Garten ...", wie Friedrich
Karl seinem Oheim Lothar Franz über dessen
Schützling berichtet". Zwei weitere Gemälde,
eines von und eines nach Strudel, wurden in das
dem Schönbornschen Gartenpalais in der Josef-
stadt benachbarte und 1725 von Friedrich Karl
als „Neuen Garten" erworbene ehemalige Haus
des Hofzahlmeisters von Wiesenburg übertra-
gen ". Leider läßt sich dieAufzählung der Räume
durch das Inventar von 1746, deren geschilderte
Einrichtung uns zahlreiche Stichabbildungen im
Sammelband Schönborn-Schlösser vor Augen
führen "', mit der an der heutigen Bausubstanz
(Anmerkungen 1-19 s. S. 30)
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