Gerhart Egger Agostino da Musi und das Verhältnis zur Antike im Ornamentstich des Cinquecento Friderike Klauner gewidmet. Es ist allgemein bekannt, daß Raffaeilo Santi und mit ihm alle bedeutenden Künstler der Rinascita des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts sich in entscheidender Weise um die Aufnahme und Kenntnis antiker Bildwerke bemühten und aus die- sen Elemente, gleichsam als System für ihre eige- nen Werke, bezogen. Um das aber in die Tat um- setzen zu können, benötigten die Künstler jener Zeit zweifelsohne eine möglichst genaue Kenntnis der von ihnen aufgefundenen Altertümer. Daraus ergibt sich die problematische Frage, was an den neuen Werken der Rinascita Kopie und was Erfin- dung sei. Die Auseinandersetzung mit antiken Werken war keine Neuerung des 15. und 16. Jahr- hunderts, denn zahlreiche, vor allem römische Bauwerke wurden seit dem Untergang des Römi- schen Reiches weiter benützt, Fragmente in neue Gebäude eingemauert, antike Systeme weiterge- bildet. So lebte die antike Tradition, wenn auch fast im verborgenen, so doch durch Jahrhunderte weiter. Dazu kam die literarische Tradition unter dem Bestreben, diese mit den Ideen des Christen- tums in Einklang zu bringen. Alles war dazu angetan, die Antike, den antiken Geist einmal mit erneuter Kraft wieder auferste- hen zu lassen. Der Zeitpunkt dazu war während des 14. Jh.s unter den Namen wregeneratio, re- stauratio und restitutioii für Italien gekommen. Cola di Ftienzo machte im Jahre 1347 den wie eine Absurdität erscheinenden Versuch, als iiVolkstri- bunu in Rom die römische Republik zu neuem Le- ben zu erwecken. Wenn auch dieses Unternehmen scheitern mußte, so war es ein Zeichen dafür, daB die Zeit bereit war, sich zu verändern. Schon in der Divina Commedia hatte Dante (1265-1321) ein phantastisches Weltgebaude errichtet, das in christlichem Geist an antike Epen anschließt. Giotto (1266-1337) setzte in seinen Bildern spät- antike Traditionen und Gedanken weiter fort. Die- se gewaltige Veränderung der gesamten europä- ischen Kultur bereitete sich ohne Zweifel bereits seit der Zeit um 1200 vor, ausgelöst durch die Wie- derentdeckung der Werke des Aristoteles. Alber- tus Magnus (um 1200-1280) und nach ihm Tho- mas von Aquino (1225-1274) schöpften aus den Schriften der antiken Philosophen die Grundlage für ihr neues geistiges Weltsystem, in dem vor al- lem das Verhältnis zur Natur und die Einordnung natürlicher Dinge in das Weltbild neu formuliert wurden. Der Aristotelismus bildete seitdem die Grundlage weiteren Denkens und auch die Grund- lage für das Verständnis der Antike. Florenz war seit dem ausgehenden 14. Jh. so sehr Zentrum der neuen Denkart geworden, daß das Ostreich knapp hundert Jahre vor seinem Zusam- menbruch weiter von der Antike entfernt war als das sich dem Traum eines Wiedererstehens einer heilen antiken Welt immer mehr hingebende Ita- lien. Es waren zwar durch das ganze Mittelalter hindurch an den Schulen die iistudia humanioraii, die Studien der antiken Quellen, betrieben wor- den; im Sinne der Humanitas Giceros aber wurden sie erst im 14. Jh. gefördert und an die Spitze der neugegründeten Universitäten gestellt. Dante, Pe- 1 Agostino Musi, Blatt aus der Frühzeit mit Ranken und Vögeln Anm. 1 s. S. 12 trarca (1304-1374) und Boccaccio (1313-1375) waren erste Humanisten gewesen. Andere such- ten in deren Nachfolge die Verbindung zu jenen Gelehrten aus Byzanz, die die griechische Litera- tur erhielten und immer mehr nach ltalien abwan- derten, wie Manuel Chrysolares (1350-1415), der 1396 die erste Humanistenschule in Florenz ge- gründet hatte, oder Gemisthos Plethon (1355 bis 1452), der durch seine Vortrage in Florenz Cosimo de Medici zur Gründung der Platonischen Akade- mie angeregt hatte. Die großen Humanisten des Quattrocento, Poggio Bracciolini (1380-1459), Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), der spätere Papst Pius ll., und Gio- vanni Giovianc Pontano (1426 - 1503), um nur eini- ge zu nennen, wurden von Mächtigen wie Cosimo und Lorenzo de Medici oder den Päpsten Nico- laus V., Pius II. und Sixtus lV. gefördert. Sie fan- den Nachfolge nördlich der Alpen in Deutschland in Rudolf Agricola (1444- 1485), Erasmus von Rot- terdam (1466-1536), Regiomontanus (1436 bis 1476) oder Willibald Pirkheimer (1470-1530), in England in Thomas Morus (1478-1535). Einen Höhepunkt erreichte die Bewegung in der "Platonischen Akademien in Florenz. Angeregt durch den griechischen Platoniker Gemisthos Plethon, hatte sie Cosimo Medici, Nil Vecchioii, 1459 gegründet. Sein Enkelsohn Lorenzo Magnifi- co war neben Marsilio Ficino (1433- 1499) und Pi- co della Mirandola (1463-1494) ihr prominente- ster Vertreter. Flclno baute das platonische Denk- system im Sinne des christlichen Ethos um, es ge- lang ihm, den platonischen Begriff der unsterbli- chen Seele in das Licht des christlichen Totali- tatsanspruches zu rücken. In Pico della Mirando- las Rede "Über die Würde des Menschen-i sah Ja- kob Burckhardt die höchsten Ahnungen des Re- naissance-Denkens angedeutet. Vasari nennt die künstlerische Entsprechung zu alledem die iiRi- nascitari, die Erneuerung, und laßt diese mit Giot- to beginnen. Eine Erkenntnis, die allerdings vor ihm schon Boccaccio und Ghiberti gefaßt hatten. iiEr hat die Kunst wieder ans Licht geholt, die viele Jahrhunderte begraben gewesen wann Zu "pa- tresii des neuen Stiles aber wurden erst ein Jahr- hundert später Brunnelleschi (1376-1446), Ma- saccio (1401 - 1428) und Donatello (1386- 1466) in Florenz, die unter mediceischer Förderung die neuen künstlerischen Prinzipien zum Durchbruch brachten. Antike Schriften und Kunstwerke wur- den wohl auch schon vorher im Norden studiert und Maßverhaltnisse ebenso wie Proportionsge- setze aus ihnen abgeleitet. Das Bestreben aber, die Antike zu neuem Leben, zu einem Weiterleben zu erwecken, war neu. Man sah im antiken Kunst- werk literarisch wie bildnerisch wohl ein Vorbild, aber man wollte es nicht nachmachen und kopie- ren, sondern weiterleben lassen. Nicht als totes. bloß historisch erfaßbares nMaterialu sollte die Antike erkannt werden, sondern man versuchte vielmehr, sich mit seinem neuen Werk in die Reihe der Alten zu stellen, das Abgebrochene fortzufüh- 11