J. P. HodinlLondon Eros und Ananke - Das seelische Spannungsfeld des Malers Franz Luby Zum 80. Geburtstag des Meisters Das Werk von Franz Luby hat größtenteils autobiogra- phischen Charakter, Der Künstler hat die Schöpfung und sein Zeitalter durch den Seismograph der eigenen Persönlichkeit mißtrauisch und aufmerksam behorcht. dieses sein eigenstes Wesen eingestellt auf die großen Fragen des Seins. auf Leben,Verfall und Tod. auf Kultur und Untergang der Kultur. auf das Diesseits und das Jenseits. Er hat sich selbst als Luft- und Seefahrer kon- terfeit, der Vorsorge des Pegasus anvertrauf. mit ei- nem riesenhaft wirkenden Teleskop. durch das er ge- spannt blickt und das Geschaute bedenkt und mit sei- nen tiefgründigen Erkenntnissen beleuchtet. er. der Wurm. derdie Erdkruste durchbricht. um aus dem Dun- kel ans Licht zu gelangen. in das strahlende Licht einer Weisheit vorzudringen. die in seinem Werk meteoren- halt aufleuchtet und die er. weil er ein Österreicher ist. mit einem humorvollen, heiteren Kichern begleitet- denn was er entdeckt hat, umfaßt Lust und Grotesk- Tragisches. Sein Humor ist Ausdruckseines Stolzes ein Mensch zu sein. der sich den ewigen Mächten zwar un- terordnet. aber doch darauf besteht, daß ihm das Schicksal nach menschlichen Maßstäben. dieja für ihn gelten. ungerecht und oft grausam erscheint. fast un- tragbar für die schwachen Schultern eines Sehers des 20.Jahrhunderts. Erstelltsich imiiGastmahlrr, 1969, dar als der siebenmal zum Sterben verurteilte Mensch. Er istderSatyr.dersich hoffnungslosderschon verholzten Daphne nähertoßDaphne und Satyrii, 1967). er ist derJo- chanaan. der sich selbst den Kopf abschneidet und der Salome großherzig anbietet (iiSammelikone mit Distelii. 1968), er ist iiDer Spielerw. 1964. dessen Leben im Stun- denglas sinnlos abläuft. Er ist der Engel, der auf dem Teufel als Instrument spielt, um mit der Harmonie das Böse zu besiegen ("Überwindung des Bösenk. l-IV, 1969). er ist der Künstler. der den vUntergang der Hie- rarchiert. 1973. beklagt und unser lndustriezeitalter in Flammen aufgehen laßt. Keiner der wohlbekannten Meister des sogenannten Wiener phantastischen Realismus weist eine derart ge- schlossene und durchbildete Weltanschauung auf wie Franz Luby. der reichlich verspätet von den Kunsthisto- rikern und -kritikern in den Kreis dieser kreativen Rich- tung mit einbeschlossen wurdez. trotzdem er wohl der erste in Wien war, der auf das Paradox der modernen Anschauungs- und Phantasieweit hinwies. ehe man noch von einer Richtung sprechen konnte. schon gar nichtvoneinerSchule. Romantisch-MystischesmitSur- reaIistisch-Psychoanalytisch-Unterbewußtem wird im Wiener phantastischen Realismus geboten. ein poeti- sches Zerrbild des als Wirklichkeit erkannten und ange- deuteten Universums, talmudisch Ertüfteltes oder tie- fenpsychologisch Gequältes. Phantasmagorien des Absurden mit Semen übergossen. ein sexueller Pud- ding mit nekromantischen Visionen vermengt, wie sie einem Marquis de Sade anstehen und von denen Para- celsus auszusagen wußte, selbstbewußte iiLunaticiw dies? Lubys Werk hat sich aus dem drastischen Ansturm von Erlebnissen mühevoll und langsam. von unsäglichen Verzögerungen praktischer Art gehindert. in die Klar- heit des Dualismus von Eros und Ananke hlndurchgear- bettet. den er als grandiose Einheit letztlich, wenn auch schmerzerfüllt. bejahte. Denn sein fast mönchisches Bestreben. Sinn in das verwirrende Geschehen um ihn und in ihmzutragen. eine höhere Ordnung. eine Koordi- nation der Sphären zu entdecken und zu bewahrheiten. 34 als Zeuge der Schöpfung, das war die Mission die ihm auterlegtwar. seine wahre Aufgabe. Nicht nur Bilderzu malen. sondern Wissen zu vermitteln und aufGrund die- ses Wissens die Zeit zu züchtigen. wie nur ein klassi- scher Apokalyptiker es vor seiner Zeit bewirkt hat. je- doch ohne das Schalkhafte. das in Lubys Wesentiefver- ankert ist, so tief wie sein Streben nach der Wahrheit selbst. Und er ist ein Baumeister im Sinne von lbsens Baumeister Solness: "Er (Gott) wollte mir Gelegenheit geben. ein ganzer Meisterzu werden in meinem Fach - um ihm um so glorreicher Kirchen zu bauen- durch nichts anderes gebunden weder durch Liebe noch durch Glücku, Ich sollte nur Baumeister sein. Nichts anderesiß Und im Sinne der Freimaurer. Luby baut an dem geistigen Gebäude der initiation zum Höchsten. und weil er Luby ist. sarkastisch und voller Selbstironie. lehrt er Insekten byzantinische Baukunst. wdenn Insek- ten werden immer überleben und die Baukunstsoll doch tradiert werden für kommende Geschlechtem (MDQY Baumeister", 1971.) 1 Franz LubymDaphneund Silenw. HarzIÖlauf Holz. 53 X 23cm Eros und Ananke! Zwischen ihnen spielte sich das Le- ben von iiJedermannii ab, auf der Bühne des Weltthea- ters - das Lebenswerk Lubys umfaßt beide. Und auch hierin ist er ein Österreicher. denn er spann den Faden weiter. der in Salzburg zu einem mächtigen Gemälde gewoben wurde und auf Europa zurückwirkte, das sei- nen wesentlichen Beitrag vor Jahrhunderten schon ge- liefert hatte im Spanier Calderon und im wiEverymanr des mystisch-moralisierenden Engländers. So sagt auch Hugo von Hofmannsthal: iiMusikalisch theatralische Festspiele in Salzburg zu veranstalten. das heißt: uralt Lebendiges aufs neue le- bendigmachen;esheiBt:anuraltersinnfällig auserlese- ner Stätte aufs neue tun. was dort allezeit getan wurde; es heißt: den Urtrieb des bayrisch-österreichischen Stammes gewähren lassen. und diesem Volk. in dem die Gabe des Liedes. des Menschensachenspielens, des Holzschneidens. des Malens und des Tonsetzens last allgemein verteilt ist, den Weg zurück finden helfen zu seinem eigentlichen geistigen Elementxs Die sachlichen Römer übersetzten den Begriff der An- anke nüchtern als necessitas. Notwendigkeit. Für die Griechen jedoch, in ihrem kosmogonisch-mythischen Denken, das dem Anfang der Dinge ihretiefsinnig poeti- sche Deutung verlieh. damals als Himmel und Erde aus dem Chaos entstanden. verbanden die Vorstellung der Ananke. und auch der Tyche (Fortuna) mit den Moirai, den Schicksalsgöttinnen (Parcis). Sie alle entstammen der Nacht, die nach Hesiod auch die Muttervon Schick- sal und Verhängnis ist. von Tod (Thanatos) und Schlaf (Hypnos) und den Träumen. Weiters der Nemesis. den Alterserscheinungen. dem Schmerz, auch der Streit- sucht mit all ihren üblen Nachwirkungen wie Toschlag und Krieg. Tief schürlen die griechischen Dichter und Künstler? Und wenn wir uns in diesem Aufsatz mit dem Leben und Werk des Malers Franz Luby befassen. er- kennen wir, wie sehr tief die Wurzeln seines bewußten und unbewußten Seins in die Lebenssubstanz reichen und wie er mit den dunklen Mächten der Nacht ringt, um sie schließlich in der höheren Erkenntnis einer Einheit von Lichtund Dunkel. derconjuncfio opposirorurnin sei- nem Werk zugestalten und uns zugänglich zu machen. Tief reicht auch sein Gespür in der Erkenntnis der fast unwirklich scheinenden Wirklichkeit unserergemarter- ten Gegenwart. und nichts kommt seiner Vision des Kul- turverfalls unseres Zeitalters näher. als der Vergleich mit Hieronymus Bosch oder Desiderio da Monsu. Und dieses Zeitgemäße hat Luby ergreifend geschildert. Die Todes- und Verfallsgedanken in seinem Werk nehmen. in ihrer bitteren Weisheit die Proportionen von Novalis iiHymnen an die Nacht". und die von Bonaventuras "Nachtwachenrr an. wo derAutor bei Betrachtung eines CraniumsindieWorteausbricht: ßWas istnundieserPa- last, der eine ganze Welt und einen ganzen Himmel in sich schließt; dieses Feenschioß. in dem der LiebeWun- der bezaubernd gaukeln; dieser Mikrokosmos. in dem alleswasgroßund herrlich. und alles Schrecklicheund Furchtbare im Keime nebeneinander liegt, der Tempel gebar und Götter, Inquisition und Teufel; dieses Schwanzstück der Schöpfung 7 das Menschenhaupt! --v die Behausung eines Wurmes. 7 O was ist die Welt,wenn dasjenigewas sledachte, nichts ist und alles dann nur vorüberfliegende Phantasie! - Was sind die Phantasien der Erde. der Frühling unddie Blumen. wenn die Phantasie in diesem kleinen Rund verweht. wenn hier im inneren Pantheon alle Götter von ihren Fuß-