die Behauptung aussprach, daßdiese vom ehemaligen Swieten-Grabmal in der Augustinerkirche stamme." Tatsächlich aber war diese am Anfang der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts entstandene Büste, die sich im Direktorenzimmer der Österreichischen Nationalbi- bliothek befand, wohl für diesen Raum, die ehemalige ricamera praefectiir bestimmt, in der Gerard van Swie- ten 27 Jahre als Vorstand der damaligen Hotbibliothek residiert hatte. Mit dem ehemaligen Grabmal hängt sie in keiner Weise zusammen. Dieser Irrtum tradierte sichauchdann noch weiter, als in dem inzwischen publi- zierten kunstgeschichtlichen Material aus den gehei- men Kammerzahlamtsbüchern des 18. Jahrhunderts Balthasar Ferdinand Moll als Urheber des Grabmals nachgewiesen wurde." Man hatte sich den Sachver- halt dann so ausgelegt, daß Moll zwar das Grabmal in Auftrag bekam und es auch ausführte, die Büste, der Mittelpunkt des Aufbaues, aberdennoch an einen ande- ren Künstler vergeben wurde, eben Franz Xaver Messerschmidt - eine Vermutung, die in Anbetracht der gegenüber seinem ehemaligen Schüler überlege- nen gesellschaftlichen Position Molls nicht sehr wahr- scheinlich ist. Das Grabmal für Gerard van Swieten, das nach den bekannten Quellen genau datierbar ist, entstand in einer Zeit, in der sich die Gedanken Winckelmanns in Wien aul theoretischer Ebene voll durchgesetzt hatten und auch das Schaffen einzelner Künstler zu beeinflus- sen begannen. In demselbenJahr1772ianddie Reorga- nisation der Akademie der bildenden Künste nach neuen Prinzipien statt, ein Jahr später begann Johann Friedrichwilhelm Beyer mit einem ganzen Stab von Mit- arbeitern die groß angelegte plastische Gestaltung des Schönbrunner Parkes. Die neue Kunstentwicklung hin- terließ in dieser Zeit auch im Werk Balthasar Ferdinand Molls ihre Spuren. Er versuchte sich der neuen Ästhetik anzupassen - sich zu modernisieren, Seine Beweg- gründe entsprangen wohl weniger einer inneren Über- zeugung, sondern waren eher pragmatisch, wie bei den meisten seinerAltersgenossen, die noch im Spätbarock aufgewachsen waren und mit den neuen Kunstidealen nicht viel anzufangen wußten, sich aber dennoch ver- pflichtet fühlten, mit der Zeit Schritt zu halten. Die Anpassung an den Klassizismus äußerte sich beim Denkmaldes Gerard van Swieten schon im Gesamtkon- zept. Trotz beachtlicher Maße wählte der Künstler ein verhaltnismäßig schlichtes NischerrGrabmal mit über- sichtlichem aber auch etwas simplem Aufbau. Den Mit- telpunkt bildet die Büste des Verstorbenen, aufgestellt auf einem eigenen Sockel und umgeben von derglatten HüllederNische. SiebildetsoeineArt Denkmal fürsich. ihre Präsentation ist der damals üblichen Denkmalauf- stellung nachempfunden. ' Das einzige "belebenden Moment, das die strenge. aber auch etwas leere Sym- metrie der Architektur durchbricht, ist der Unterschied im Bewegungsmotiv der beiden vGenienii, zwei überdi- mensionierten Nachzüglein barocker Putti, aber schon mit verhaltenen, iigesetztenii Gebärden. Bei der Büste van Swietens, dem einzigen bis heute erhaltenen Teil desGrabmals, zeigtsich MollsAnnäherung an den Klas- sizismus ebenso deutlich, wie im Aufbau selbst. Wir erkennen sie im Konzept des Büstenabschrtittes, das auf den für die früheren, iibarockenii Büsten Molls cha- rakteristischen Überschwang an schmückenden Ele- menten verzichtet und eine glatte Silhouette anstrebt. Der i-Umhangii, der den Büstenabschnitt in flachen Fal- tenumhülltundaufderrechtenSchultermiteinem Ende nach vorne fällt, ist wohl als eine Art Toga zu verstehen. Mit einer ähnlichen, unverbindlichen Draperie stattete Moll auch zwei Bronzebüsten des Kaisers Franz I. von Lothringen aus. Eine davon befindet sich heute im Kunsthistorischen Museum, die zweite in der Österrei- chischen Galerie." Beide sind undatiert, ihre Ähnlich- keit mit der Büste van Swietens erlaubt die Vermutung, daß sie ebenfalls in der ersten Hälfte der 70erJahre ent- standen sind." Bezeichnend ist, daß Moll keine wesentlichen Unterschiede bei derGestaltung des Sou- verans und seines Untergebenen macht, die Rangord- nung ist nur durch Attribute zum Ausdruck gebracht, So tragt der Kaiser am breiten Halsband den Orden des Goldenen Vließes, während der berühmte Arzt den St-Stephans-Orden zeigt. Das Haupt des Kaisers wird von einem Lorbeerkranz bekrönt, während die genau gleich gestaltete Perücke bei Gerard van Swieten ohne diese Zierde bleibt. Die Haltung der etwas zur Seite gewendeten Köpfe ist aber gleich, ebenso die Gesamt- erscheinung des Büstenabschnittes - eine Gleichset- zung, die im barocken Bildnis nicht in diesem Maße üblich ist. Mit dieser Tendenz zu typologischer Nivellie- rung steht Moll keineswegs allein, sie ist allgemein im Porträt des späten 18. Jahrhunderts zu beobachten und hat ihre Gründe wohl teils im Fehlen von differenzierten klassizistischen Porträttypen. welche die traditionelle barocke Typologie hätten ersetzen können, teils aber sicher auch in den sittlichen Postulaten der klassizisti- schen Kunsttheorie, diesich besonders stark inder Dar- stellung der Persönlichkeit bemerkbar machten. Beim Porträt des Gerard van Swieten spüren wir dieses Bemühen um ethisches Pathos auch im gesammelten Gesichtsausdruck, der die geistige Überlegenheit des Dargestellten wiedergeben soll. Im Konflikt mit dieser Heroisierungstertdenz steht aber die nüchterne, des- kriptiveSchilderungderindividuellen Gesichtszüge,die Moll als Porträtisten schon bei früheren Bildnissen aus- gezeichnet hatte, dort aber noch durch äußere Pracht- entlaltung ausgeglichen wurde. Jetzt tritt sie unverhoh- len zutage, und der pedantische Zug, den Molls Bildniskunst damit erhält, ist wenig geeignet. die menschliche Größe des Porträtierten zu vermitteln. Seine Büste Gerard van Swietens ist also ein zwiespäl- tiges Werk, das nicht völlig befriedigt, das unsere Auf- merksamkeit aber dennoch verdient, weil es in Wien einen der frühesten Versuche darstellt, die klassizisti- sche Kunstanschauung in einem Porträt anzuwenden, das zugleich auch Denkmal sein soll. In der Zeit, als Balthasar Ferdinand Moll die Büste für das Grabmal van Swietens schuf, existierten in Wien mehrere Porträts dieses berühmten Mannes, und es stellt sich die Frage. ob und wie sich Moll von diesen Werken für sein postumes Bildnis anregen ließ. Eine direkte Verbindung zu anderen bekannten Darstellun- gen Swietens ist nicht nachzuweisen, auch wenn damals schon graphische Blätter mit ebenfalls denk- malhaften Porträts Gerard van Swietens existierten. Hervorzuheben ist vor allem das bekannte Werk von Augustin Cipp, einem Arzt und Kupferstecher, der sein Porträt als tlächenhalte Projektion eines dreidimensio- nalen Denkmales wiedergibt. " Dieses Werk, das meh- rere weitere graphische Porträts van Swietens an- geregt hatte, ist aber noch ganz der barocken Überlieferung verpflichtet. Selbständig verarbeitet und mehr klassizistisch verbrämt finden wir es in einem gra- phischen Blatt von Ägid Verhelst" d. Jüngeren, dessen Entstehungstermin nicht bekannt ist," Aber auch wenn es vor 1 772 geschaffen wurde. hatte es Balthasar Ferdi- nand Moll offensichtlich außer acht gelassen. In Jener Zeit existierte aber bereits die erwähnte Bleibüste van Swietens im Medizinischen Hörsaal der Wiener Univer- sität von Franz Xaver Messerschmidt, und etwa gleich- zeitig mit dem Werk Molls entstand auch die zweite genannte Büste Messerschmidts für das Präfektenzim- mer der Hofbibliothek. Moll fühlte sich wohl von diesen beiden Werken herausgefordert und bemühte sich sicherlich auch deshalb um eine ähnliche heroisierte Darstellung und um eine eigene Formulierung eines klassizistischenPorträts.SiegerbliebaberderJüngere, der eine überzeugende Antwort auf die ihm gestellte Aufgabe zu finden wußte. Anmerkungen 25 - 27 (Anm. 19 - 24 s. Text S, 26, 27) ß eeioewerkeweidenmanchmaiauchirngindrescerJahredes18 Jahr- hunderts datiert Nach u Kdriig ia a 0.. S 147) sind SIE aber wahr- scheinlich i775 entstanden 1' Der nicht datierte Stich ist mir in zwei seiienverkehrlen Versionen no bekannt (beide befinden sich im Biidarchivder österreichischen Natid riaioibiiothek), Die vorzeicriniirig iiir die graphische Darstellung befin- qei sich im Graphischen Kabinett des Rriksmuseiims in Amsterdam 1' Uber diesesWerk des Mannheimer Kuplerstecrters A. Verheist d. J, ist nichts Naheres bekannt.