Harry Kühnel Das Zeitalter Kaiser Franz Josephs Niederösterreichische Landesausstellung 1984 in Schloß Grafen Das Schloß Grafenegg bei Krems wurde im Auftrag des Niederosterreichischen Erblandkämmerers, Mazens und Kunstsammlers August Ferdinand Graf von Breunner-Enkevoirth in der Zeit von 1845 bis 1888 in eines der bedeutendsten romantischen Schlosser Österreichs umgebaut. Mit dieser Aufgabe war Dom- baumeister Leopold Ernst betraut worden, der freilich den Abschluß dieser gewaltigen Umgestaltung nicht mehr erlebte. Nach dessen Tod 1862 führte sein Sohn Hugo die Arbeiten in Grafenegg weiter. Das nach Been- digung des Zweiten Weltkrieges als USIA Betrieb geführte Schloß war weitgehend devastiert und wurde seit 1967 systematisch restauriert. Es gehört zu den Fügungen des Schicksals, daß in den nunmehr denk- malpflegerisch einwandfrei wiederhergestellten Rau- men, insbesondere der Beletage, dieser Zeitabschnitt präsentiert werden kann. Die Forschung hatdie Geschichte der Habsburgermon- archie bzw. seit 1867 der Österreichisch-Ungarischen Monarchie langeZeit nurvom Standpunktderverschie- denen Nationalitäten und der daraus resultierenden Probleme beurteilt. DerübernationaleCharakterdieses Staatengebildes,dienachund nacheinsetzenden sepa- ratistischenTendenzenunddiedamitverbundenenAuf- lösungserscheinungen standen im Mittelpunkt der Betrachtung, wofür etwa Robert A. Kann als Exponent Enivahnungfinden soll. Seitdem Endedes Zweiten Welt- krieges verschob sich das Interesse an der Monarchie, gewannen doch Fragen wirtschaftlich-struktureller und gesellschaftlicher Natur, ebenso solche der Bildung und Kultur immer mehr an Bedeutung. Die wissen- schaftliche Neubewertung der Architektur der Ring- straße, deren wirtschafts- und sozialpolitische Bedeu- tung mag hiefür als signifikantes Beispiel gelten. In der Tat gehört der Zeitabschnitt vom Regierungsan- tritt Kaiser Franz Josephs l. bis zum Beginn der achtzi- gerJahrezuden faszinierendsten Epochen derösterrei- chischen Geschichte. Faszinierend deshalb, weil um 1848 zwischen den einzelnen Kronländern und Regio- nen unglaubliche Spannungen und Disproportionalitä- ten bestanden und die Volker zwischen Nordböhmen und Dalmatien, zwischen Vorarlberg und der Bukowina ein stark divergierendes Entwicklungsniveau aufwie- sen und gleichsam in unterschiedlichen Zeitalfern leb- ten. Die Revolution des Jahres 1848 brachte die Aufhe- bung der Grundherrschaft und damit deren Ende als politische, polizeiliche und richterliche Institution. Die AbschaffungdesZunftzwanges unddieGewahrungder Gewerbefreiheit setzte mittelalterlichen Zuständen ein Ende. Die Reform des österreichischen Schul- und Bil- dungswesens, die Schaffung einer modernen Gemein- deordnung sowiedie Gründung von Ministerien anstelle der bislang tätigen wHofstellem stellen den nachhal- tigen Erfolg der Revolution unter Beweis. Den wirt- schaftlichen und sozialen Unterschieden, dem enor- men Nachholbedarf gegenüber den westeuropäischen Staaten versuchte der Neoabsolutismus durch Moder- nisierung des gesamten Staatswesens in Verwaltung, Unterricht, im Rechtswesen und durch geeignete Maß- nahmen in der wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik zu begegnen. Dies war um so dringlicher, als nur drei Zehntel der Länder der Monarchie über eine zeitge- maße lndustrialisierung verfügten, die übrigen Regio- nen aber in einer nrelativen wirtschaftlichen Rückstän- digkeitu verharrten. Das Bürgertum. zunächst durch das Regime von einer politischen Mitwirkung ausge- schlossen, erlangte im ökonomischen Bereich Einfluß und Ansehen. Die liberale Wirtschaftsauffassung der maßgebenden Regierungkreise und die von West- europa ausstrahlende Konjunkturbewegung haben zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt, an dem das industrielle Unternehmertum, eine sozial hetero- gene Schicht, durch zahlreiche Erfindungen und tech- nische Neuerungen nicht unwesentlich Anteil hatte. Anton Dreheretwa entwickelte nach einer Studienreise inBayernund EnglandeinneuesHerstellungsverfahren für ein lagerungsfahiges Bier. Der aus Krems gebürtige Kaulmannssohn Franz Wertheim setzte seine in Eng- fand und Frankreich gemachten Erfahrungen um, als er begann, feuerfeste und einbruchsichere Kassen und Panzerschranke zu produzieren. Ludwig Lobmeyr brachte es in der Glaskunst zu Weltruhm, beschritt er doch neue Wege der künstlerischen Gestaltung des Glasgerätes. Peter Tunner, der erste Direktor der 1840 in Vordernberg eröffneten Montanistischen Fach- schule, sorgte nach dem Studium hüttentechnischer Einrichtungen in einigen europäischen Ländern daßdie modernen Verfahren der Stahlgewinnung lich der Bessemer- oder Siemens-Martin-Ofen, ' der Monarchie Eingang fanden. Viele der Unterni waren von auswärts zugezogen, so Alexander S ler, Bankier und lndustriegründer, der Möbelfal: Michael Thonet (Bugholzmöbel) und Heinrich l (Fahrzeugbau). Auf den Erfindungen des Peter von Rittinger im Berg- und Hüttenwesen basieren heute viele Aufbereitungsverlahren im Bergba bedeutender österreichischer Industrieller au Gebiet des Maschinenbaus war Georg Sigi, de seineerste Lokomotivebauteundmit3700Arbeit zum März 1870 tausend Lokomotiven herstellte Wilhelm Fr. Voigtländer entwickelte gemeinse Josef Pefzval die früheste Porträtkamera, mit di Aufnahmen mit einer Belichtungszeit unter Minute machen konnte, für die damalige Zeit eir sation. In das Zeitalter Franz Josephs fallen at Versuche des Wahlösterreichers Siegfried Marc Auto mit Verbrennungsmotor zu bauen. Der bruch gelang freilich erst Carl Benz, der einen C tor in seine drei- und vierrädrigen Wagen eir (1885). Am Aufbau und der Modernisierung des östei schen Geld- und Kreditwesens waren die Sch Bankiersfamilien Geymüllerund Fries wesentlicl ligt. Griechischer Herkunft waren der Bankier von Sina und der industrielle Nikolaus Dumt Bedeutung dieser zugewanderten Familien lai, allein im wirtschaftlichen Bereich, sie waren gl maßenvongesellschaftlicherRelevanz,weilsie. zu RepräsentantenösterreichischerKulturundL art wurden und diese dank ihrer nationalen Eigei und religiöser Toleranz ergänzten und nuanciei Es ist dabei kennzeichnend, daß ein großerTeil d schaftlich führenden Unternehmerschaft jüc und reformierten Kreisen entstammte. Diese e che Aufwärtsentwicklung wurde jedoch einig unterbrochen, und zwar 1854 während des Ki ges, bei der Weltwirtschaftskrise 1857 bis 1859 Kriegsjahr 1866. Die Wiener Weltausstellung vc sollte unter Beweis stellen, daß die Österreict 1 Peter Fendi, Die Erzherzoge Franz Joseph und Ferdinand Max beim Spiel, 1833, Aquarell. 47 x 67 cm. Wien, Graphi- sche Sammlung Albenina. lnv. Nr. 28333 2 Josef Kriehuber, Kaiserin Elisabeth mlt ihren Kindel Aquarell. 32,8x41,5 cm. Wien, Graphische Sa Albertina. lnv. Nr. 34670 16