I Aktuelles Kunstgeschehen, Wien Albertina Arnulf Rainer Nach mehrmaligem Umdispanieren verdiente Albertina-Ehren für Arnulf Rainer, dem in der Summe seiner künstlerischen Leistungen wohl stärksten und extremsten österreichischen Maler und Graphiker nach 1945. Die Auswahl des Radier- werkes umfaßte Arbeiten von 1956 bis herauf zu Blättern aus 1973, in denen Rainer in der Manier seiner expressiven „Face-Farces" Körper-Fotos von sich gleichermaßen raffiniert wie vehement überzeichnet. Schade, daß man die Gelegenheit nicht wahrnahm, den Bogen weiter zu spannen und über die dominierenden Uberdeckungen hinaus auch Rainers Lithographien und Siebdrucke in entsprechender didaktischer Spannweite zu zeigen. Ein weiteres Manko: der fehlende Katalog, den auch das verdienstvolle Werksverzeichnis der ge- samten Druckgraphik, herausgegeben von Otto Breicha in der Edition Tusch, nicht entschuldigen konnte. Museum des 20. Jahrhunderts Tomi Ungerer Mit dem 1931 geborenen Straßburger holte Dr. Al- fred Schmeller einen der führenden Stars unter den gegenwärtig aktuellsten und vielseitigsten Illustra- toren, Cartoonisten, Plakatentwerfern und Zeichnern von Kinderbüchern nach Wien. Mehr als 200 Arbei- ten ergaben in ihrer Vielzahl kritischer Anlässe einen sehr kompletten Spiegel gesellschaftlichen Verhaltens und seiner zwischen Sex und Freßsucht pendelnden Tatbestände. Ungerer, der heute auf einer Farm in Kanada lebt seziert die Snobiety beiderlei Geschlechts, er attackiert Kommerz und Politik, die Auswüchse des Sports und gibt sich auch sonst nicht zimperlich, wenn es gilt, eine aus den Fugen geratene Umwelt in übersteigernder Ungeschminktheit festzuhalten. Ungerer macht das mit den Mitteln des gebrauchs- graphischen Vollprofi, zu denen nun einmal eine gewisse Lautstärke und Direktheit, notwendiges Simplif eren und sicheres Zupacken im richtigen Moment gehören. Es wäre daher falsch, den harten Satiriker und humorvollen Plakatdesigner innerhalb künstlerischer Gewichtsklassen mit anderen, vielfach wesentlicheren Voraussetzungen vergleichend zu reihen. Tomi Ungerer ist ein Großer der Kleinkunst ein Könner mit brillanten Ideen, ein Mann, der schnell schaltet, Kritikfähigkeit besitzt und Selbst- ironie beherrscht, der die Schmutzfinken aufscheucht und in Beulen sticht, die andere bloß streicheln (Abb. 1). Galerie Schottenring Fritz Steinkellner Die heute nicht nur im Bereich der Bildkünste, sondern auch in Literatur, Theater und Aktionismus immer öfter und ausgeprägter feststellbare dia- lektische Vielschichtigkeit findet in den Arbeiten des 1942 geborenen Kärntners wesensgemäße Ent- sprechung. Als Vertreter einer neuen Gegenständ- lichkeit, die das Andeutungsweise, Lapidare und Fragmentarische bevorzugt und nicht mit Patent- lösungen aufwarten will, zeigt Steinkellner vor allem in seinen - auch technisch hervorragenden - Sieb- drucken und ähnlich komplexen Gouachen Konse- quenz und Geradlinigkeit. Steinkellners Arbeiten [einschließlich der beiden mitausgestellten großen Obiekte) suchen nicht das Abbildhafte, sondern provozieren durch die Autonomie des Neugeschaf- fenen Assoziationsketten. Trotz einer gewissen geistigen Verwandtschaft zu Gironcoli, Walter Pichler und dem Franzosen Titus Carmel bestidit Steinkellner durch klar abgrenzbare Eigenständig- keit und ein durch Verfremdungen gekennzeichnetes „Vokabular", das Poesie mit Distanziertheit verbindet (15. April-M. Mai 1973) - (Abb. 2). Dom-Galerie Wilhelm Traeger Start einer neuen, von Dr. Rudolf H. Hintermayer geleiteten Galerie mit einer auf frühe Linolschnitte, Zeichnungen und Pastelle konzentrierten Werks- 38 auswahl des 1907 in Wien geborenen Künstlers. Traegers ausdrucksstarke Linolschnitte der 1932 ent- standenen „Wien-Falge" ergeben eine geschlossen wirkende Suite von 18 Darstellungen aus dem Wien der Zwischenkriegszeit. Der in Ried im lnnkreis wirkende Maler und Druckgraphiker erweist sich darin als genauer Beobachter gesellschaftlicher Zustände. In Straßenszenen des Alltags läßt er Revue passieren, was für eine Zeit materieller Armut, großer Arbeitslosigkeit und politischer Frage- zeichen kennzeichnend war. Seine Zeit-Bilder schil- dern Tatbestände, ungeschminkt und realistisch, handwerklich beherrscht und mit sicherem Ein- fühlungsvermögen für die Kontrastwirkungen des reinen, harten Schwarzweiß. Eine verdienstvolle Ausstellung, die nicht zuletzt im historischen Konnex zur Druckgraphik der deutschen Expressionisten zu betrachten war. (12. April-12. Mai 1973) - (Abb. 3). Nebehay-Art-Gallery Brigitta Malche Nach erfolgreichen Personalen in der Schweiz die erste Einzelausstellung der Linzer Malerin in Usterreich. Ausgehend von Erkenntnissen des Kubismus und der klassischen Geometrischen Abstraktion, gelangt die Künstlerin zu sehr beherrschten, malerische Noblesse mit formaler Ausgewogenheit verbindenden Abstraktionen. Die Darstellungen im engeren Sinn sind Kreisen einge- schrieben. Sie greifen verschiedentlich Architektur- details der Antike und Gotik auf und führen diese in durchaus persönlicher, eigenständiger bildneri- scher Synthese fort. Am überzeugendsten: iene Arbeiten, in denen Malche formal und von der Farbe her um möglichste Reduktion und Klarheit bemüht ist (MailJuni 1973) - (Abb. 4). Galerie Ariadne Reimo S.Wukounig Innerhalb der zahlreichen realistischen Tendenzen der iüngeren österreichischen Kunst nimmt der Kärntner einen der vordersten Plätze ein. Seine neuen Farbstiftzeichnungen sind Gleichnisse mensch- licher Isolation. Anders als bei dem „abstrakteren" Steinkellner verbinden auch sie kühle Poesie mit Distanziertheit, die zum Nachdenken zwingt. Ein Werk, das zunehmend an Profil gewinnt und nicht zuletzt Einsatz und adäquat genütztes handwerk- liches Können beweist (Mai 1973) - (Abb. 5). Galerie in der Passage Dietmar Kiffmann Die thematischen Ausgangs- und Bezugspunkte der Zeichnungen und Radierungen des 1940 geborenen Grazers sind Landschaft und Ted1nik. Kiffmann, der erstmals in Wien ausstellte, faßt sie als einander bedingende Gegensätze auf, die den Arbeiten nicht nur in graphischer, sondern auch in inhaltlidi- assoziativer Hinsicht Spannung verleihen. Kiffmann kommt in seinen umweltbezogenen Darstellungen mit wenigen Requisiten aus: mit Röhrensystemen und riesigen Zylindern, mit Sperren und Mauern, die er in Täler und Hügellandschaften verpflanzt. Neben der Landschaft gilt dem Schicksolhaften des Menschen - aufgezeigt an Variationen der mensch- lichen Figur - sein Hauptaugenmerk. Er inter- pretiert das existentielle menschliche Sein in verschlüsselter Symbolik (3. Mai-B. Juni 1973) - (Abb. 6). Galerie in der Blutgasse Wolfgang Denk, Peter Carer Zwei iunge Realisten in knapper Aufeinanderfolge. Denk, 1947 in Seitenstetten in NO. geboren, ent- wickelte sich als Autodidakt; in den letzten Jahren mit erfreulicher Folgerichtigkeit, die zu einem plakativen Personalstil führte, der Elemente der amerikanischen Pop-Art innerhalb zeitgemäßer Möglichkeiten eines neuen Landschaftsbildes ein- setzt. Carers iüngst entstandene Zeichnungen stellen als Abbilder der Realität den Alltagsmenschen von heute weniger in Frage, als sie ihn typisieren. Sie geben die Wirklichkeit in Ausschnitten und Szenen in einer dem Fotoschnappschuß vergleichbaren Sicht wieder (12. März-31. März 1973 bzw. 2-22. April 1973) - (Abb. 7). Z-Hauptanstalt Porträt - heute Eine im Prinzip verdienstvolle, in der Durchführung allerdings zu breit geratene und vielfach auch zu- wenig qualitäfsvolle, von Belanglosigkeiten durch- stückte Festwochendokumentation zu dem inter- essanten Thema. Unabhängig von grundsätzlichen Möglichkeiten zeitgemäßen Porträtierens, über die die Ausstellung allerdings kaum eine Aussage machte, weil sie nicht zuletzt extreme Standpunkte wie etwa Rainers Face-Farces vermissen ließ, gab es immerhin manches von Qualität und Interesse, darunter die Arbeiten von Schänwald, Pakasta, Fleck, Eisler, Stark, Karger, Martinz, Zadrozil, Rusche, Atanasov, Helnwein, Gansert, Klanisek- Bratke, Pangratz, Bramer und Hausner. Positiv: der mit zahlreichen Abbildungen versehene Katalog (14. Mai-ö. Juni 1973) - (Abb. B). Galerie auf der Stubenbastei Erhard Sföbe Eine insgesamt erfolgreiche Ausstellung des 1943 geborenen Wieners. Am stärksten Stöbes durchweg beherrscht gemalte Aquarelle ironischer Bezug- nahmen. Ein expressiver Realist, der sich trotz weiterentwickelter Stilistik und Handschrift den nötigen malerischen Freiheitsraum bewahrt. (6. bis 31. März 1973) - (Abb. 9). Galerie Euro-Art Ivan Generalic Anläßlich der Herausgabe einer aufwendigen Farb- reproduktion in Siebdruckmanier auf Seide (Auflage 5400 Exemplare) präsentierte die Edition eine kleinere Auswahl von Hinterglasbildern und Zeichnungen des weltberühmten iugoslawischen Naiven. Generalic kam aus diesem Anlaß erstmals nach Wien (14.-18. Mai 1973) - (Abb. 10). Galerie in der Dommayergasse Jascha und Leitner Jaschas emotionsgeladene Niederschriften von Landschaftsfragmenten, Porträts, Menschen und anderen ihn bestimmenden Umwelteindrücken als verdienstvolle Entdeckung einer Serie technisch raffinierter Graphitstiftzeichnungen. Zweiter Aus- steller neben dem Oberösterreicher war d'er Steirer Heinz Günter Leitner, dessen subtile Blätter mit dem Generaltitel „Zeichnungen für 1 bis 2 Augen" Analogien zur Konzept- und Proiektart, gelegentlich aber auch Effekte der 3-D-Graphik und den Einbezug von Fotos aufweisen (März 1973) - (Abb. 11). Akademie der bildenden Künste Edelbert Köb Die erste Fersonalausstellung des 1942 geborenen Bregenzers, der seit 1966 als Hochschulassistent am Institut für zeichnerische und malerische Darstellung der TH Wien tätig ist. Köbs den Zeitraum von 1970 bis 1972 umfassende Plastiken aus Gips und Stuck sind herausfordernde Formulierungen des Kreatürlichen, die in einer gewissen geistigen Verwandtschaft zu den Radierungen Gotthard Muhrs stehen, die vor kurzem in der Künstlerhaus- Galerie zu sehen waren. Ebenso bemerkenswert wie die Ausstellungen: die von Köb und Muhr herausgegebenen bibliophilen Werksverzeichnisse (Mai 1973) - (Abb. 12). Peter Baum